Budapest calling

Prokofjew-Propaganda und Franz Josefs kleiner Pim**l: Bericht über eine unglücklich getimte Premiere und warum es (trotzdem) jede Menge gute Gründe gibt, die frisch renovierte Oper in Budapest zu besuchen.

Not bad, ay? /// Valter Berecz (c)

Sergei Prokofjew schrieb seine Tolstoi-Oper Krieg und Frieden ab 1941, als Reaktion auf den Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion. Der sowjetischen Zensur war keine Verherrlichung der russischen Verteidigung genug, sie forderten mehr und mehr glorifizierende Choreinlagen, um die Bevölkerung mitten im Krieg anzufeuern; Prokofjew schrieb auch, was von ihm verlangt wurde. Diese Propagandahymnen mitten im Ukrainekrieg auf einer europäischen Bühne in ihrer ganzen Pracht zu erleben, das lässt einen ziemlich baff zurück, wie man es auch am spärlichen Schlussapplauss in der Budapester Oper merken konnte. Darf man nach so etwas überhaupt jubeln? Soll man gerade sowas überhaupt spielen?

War da was mit einem Krieg, den Russland gerade führt?

Man kann, finde ich, allerdings ist es ein klassischer Fall, wo die kritische Einordnung der Regie essenziell ist. Das konnte in diesem Fall allerdings nicht erfolgen, da Calixto Bieitos Inszenierung noch aus 2021 stammt und über eine Kooperation mit der Oper in Genève nach Budapest kam. So kam es zur absurden Situation, dass diese Steilvorlage nicht genutzt wurde und die Propagandachöre unkommentiert stehengelassen wurden. Politisch war das der Orbán-Regierung wahrscheinlich sogar angenehmer so, bekanntlich versucht der oberste Ungar immer noch zwischen dem Westen und Russland zu lavieren. Wer eine aktuelle, sicherlich auch zeitgeschichtlich inspirierte Regie dieser Oper sehen möchte, muss am 5. März in die Premiere von Dmitri Tcherniakov Regie in München.

Prinzipiell sehenswert ist Bieitos schnell gealterte Regie trotzdem, besonders das performanceartige, abstrakte Spiel mit den Menschenmassen auf der Bühne. Oper ist sowieso surreal (wer singt schon ständig, statt zu sprechen…), dazu passt abstraktes Theater gut, zumindest wenn sie, wie hier, gekonnt umgesetzt wird.

Doch lehrreich

Am Ende war dieser Abend doch auch in Bezug auf den Ukrainekrieg lehrreich. Die immense, fast urzeitliche Stärke, die aus der Musik strömte, (ein Gefühl, das einen auch nach einer Schostakowitsch-Sinfonie oder einem Tolstoi-Buch ergreifen kann) schien mir im Moment ein Schlüssel zum Selbstverständnis dieser so faszinierenden wie gerade auch abstoßenden Nation zu sein.

Nachdem ich im letzten Herbst das klassische Konzertleben von Budapest schon vorgestellt hatte, sollte dieser Artikel auch eine Art Teaser für die Oper sein. Das historische Gebäude wurde bis vor kurzem jahrelang renoviert und strahlt nun nur so. Verglichen mit unserer hochverehrten Wiener Staatsoper bietet dieses Haus zwei Vorzüge. Ersterer ist Kaiser Franz Josef zu verdanken, der offensichtlich einen kleinen Dingdong hatte und zum Bau nur mit der Bedingung Geld beisteuerte, dass es kleiner sein sollte als in Wien. Die armen Ungarn brauchten das Geld und willigten ein, zu unserem Glück. So erklingt das Orchester nämlich nicht irgendwo in der Ferne, sondern gefühlt direkt vor einem; die Akustik dabei fast so saftig, wie im Musikverein. Hand aufs Herz.

Franz Joseph hat den Kürzeren gezogen. Literally…

Der zweite Vorteil hat nur mit Glück zu tun, nämlich, dass das Haus den Zweiten Weltkrieg so gut wie unversehrt überlebte und statt im sparsamen Nachkriegsstil wiederaufgebaut zu werden, immer noch in voller Pracht dasteht. Und was für eine Pracht! Die Verzierungen sind derart überbordend, dass sich das Auge kaum sattessen kann, auch nicht am pompösen Deckengemälde. Selbst Franz Josef soll bei der Eröffnung verlautet haben, er habe vergessen anzuordnen, dass das Haus nicht nur nicht kleiner, aber auch nicht schöner als das in Wien sein dürfe…

In Person noch krasser /// Attila Nagy (c)

Im online Ticketshop kann man auf Englisch shoppen und bekommt als Student*in 50% auf alle Plätze, so kostet der Spaß kaum mehr als 5 €, wenn man oben sitzt, wo der Sound fast sogar noch besser ist. Dafür hat man das Glück, die Wirkungsstätte solcher Legenden, wie Gustav Mahler, Otto Klemperer (beide ehemalige Direktoren) und Béla Bartók (seine Oper Herzog Blaubarts Burg wurde hier uraufgeführt), sogar Puccini hat hier zwei eigene Werke inszeniert. Also nichts wie hin, die 10 € für ein RegioJet-Ticket sind es definitiv Wert.

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