Das Museum des Schweigens
Von einem Besuch in der Kirche, äh nein, in einem Museum, zur Forderung des fließenden Organismus. Der Museumsbesuch zweier Kunstgeschichtsstudentinnen wirft die Frage auf, für wen das Museum offensteht und wie wir uns darin bewegen können.
Das Museum des Schweigens sieht so aus: Von draußen, bepackt mit dicken Winterjacken, tritt man hinein, in einen Raum der Ruhe und der Beklommenheit. Es umgibt Person, ähnlich wie in der Kirche, Weirauch und Myrrhe, der Geruch von neuen Kassen und alten, verstaubten Wänden. Die Marmorsäulen erstrecken sich bis zu den mystischen Allegorien an den Decken, welche über Menschen wachen, ähnlich wie es dann Minuten später das Aufsichtspersonal gleichtut. Unbedingt alle Taschen ablegen. Die echten Leibwächter des Schweigens sind diese nicht, wenn man bedenkt, dass sie wahrscheinlich nur 10€ die Stunde bekommen. Nein, die wirklichen Verfechter*innen der Schweigekunst sind nicht das Personal des Museums, dass dich zur Garderobe bittet, weil es die letzten Wochen nur so vor klimaaktivistischen Tomaten-Zwischenfällen wimmelte, das studentische Aufsichtspersonal oder irgendwelche anderen Mitwirkenden der Institution Museum. Es sind die Gäste selbst.
Wir betreten den Ort der Ruhe und des Schweigens, in dem die Außenwelt nicht einzudringen scheint, um uns die Weltwerke der abstrakten Expressionist*innen anzuschauen. Kunstgeschichtsstudierende zahlen, genau wie alle unter 26, stolze 12,90 Euro. Die Räume sind fast leer, kein Gewusel, eine Ruhestätte der intellektuellen künstlerischen Erholung. Wir fangen an, die Eingangstexte zur Ausstellung zu lesen, springen dann über auf gegenseitiges Vorlesen, damit wir nicht schon in Raum 1 von 11 in Müdigkeit eingelullt werden. Es hilft gut und fühlt sich kommunikativ und produktiv an. Ähnlich, wenn ein Seminar im Museum stattfindet und 15 Personen den Vortragenden lauschen.
Vom Eingangstext ist nicht viel übriggeblieben, umso prägnanter haben sich die Malereien selbst in meine Gedanken eingebrannt. Das vielleicht auffälligste an fast allen Kunstwerken der Ausstellung “Ways of Freedom“ – Jackson Pollock bis Maria Lassnig ist das Format der Kunstwerke. Bei weitem größer als Ihre Betrachter*innen, schlagen die teils empfindlichen, teils aggressiven Farben, Linien, Striche, Tupfer und Flecken auf sie ein. Jackson Pollock und Lee Krasner nebeneinander in einen Raum geworfen, witzeln wir herum, dass der Künstler sich bei seiner Freundin damals sicher alles abgeschaut hätte. Jackson Pollock hatte damals wie heute eine größere Reichweite, wurde für mehr Geld verkauft, mehr ausgestellt und genoss mehr Anerkennung in der Szene, in der Lee Krasner sich ebenfalls fortbewegte. Das kann als Paar nicht einfach bzw. nicht unbemerkbar gewesen sein. Ausgegrenzt von dem männlichen Künstler-Genie-Modus-Mythos waren eigentlich fast alle Frauen, auch in den 1950er und 1960er Jahren. Es wäre in dem Fall bestimmt sinnvoll, die Werke von Lee Krasner und Jackson Pollock in unterschiedlichen Räumen aufzuteilen, um den Pärchen-Bezug auf die Kunst zu brechen. Davon abgesehen hätte mir ein Raum voll Krassners Malereinen persönlich besser gefallen, als Pollocks. Prophecy von 1956 gibt mir ein warmes Gefühl von Vertrautheit und Wärme. Es erinnert mich an den Stil, den eine gute Bekannte von mir, Sophie Esslinger, studierend an der Düsseldorfer Kunsthochschule, vertritt, der expressiv und ehrlich ist. Organisch, körperliche Formen aus deformierten Flächen zwischen Schwarz und Beige, wobei gelbe Kanten sie voneinander abtrennen. Expressiv, aber zugänglich.
Maria Lassnig nutzte, wie in den Museumstexten beschrieben, eine spezielle Technik, bei dem die Farbe auf die Leinwand auftragen wird und sich dann von selbst verteilt und dort trocknet. Von nahem sieht das aus, als wären Öl und Farbpigmente nicht richtig vermischt worden, es entsteht ein wässriger Rand um die offenen Körperformen. Diese Malereien sind gemacht, um sie von weitem anzuschauen, dann wirken sie auf dich, wie das Öl auf die Leinwand wirkt. Unser kunsthistorisch mittelmäßig einzustufendes Gespräch wird gestört von der Erkenntnis, dass wir im Gegensatz zu den Werken sehr, sehr klein sind.
Aus den meisten Großformatmalereien trieft die Dekadenz nur so heraus, ob Frau oder Mann oder Mensch oder Tier oder Wesen. Die Dekadenz kommt bei den Zuschauer*innen an, sie durchzieht sie wie die Eiseskälte, aus der sie zuvor von draußen in die Ruhestätte eintraten. Und wehe, jemand unterbricht dieses heilige Ritual der Dekadenzanschauung. Der Mystizismus, dass wir etwas Besseres anschauen als das, was wir in unserem Leben erreicht haben und jemals werden, scheint bei den meisten Euphorie auszulösen. Wir sehen den Ruhm, die Leidenschaft und besonders den Spaß, den die schaffende Person in dem Kunstwerk zu verkörpern versucht. Die Expressionist*innen haben diese Botschaft mir mehr als deutlich machen können. Die Hommage au Connétable de Bourbon von George Mathieu ist in Spaß nicht zu übertreffen…
…Über 600 x 250 cm erstreckt sich eine Komposition, eine Choreografie, ein komplettes Leben. Ich möchte in dem Bilde leben, am liebsten darauf ausrasten und es genauso schnell auseinanderreißen, wie es entstanden ist, in 40 Minuten zu den Klängen des Großvaters des Technos, Pierre Henry. Meine echte Gier besteht in Wahrheit aber darin, die Besucher auseinanderzureißen, die uns ermahnen, die Erfahrung ihres Museumsbesuches durch Reden und Kichern nicht zu stören. Ich sage euch, was ich stören möchte: Die Gelassenheit, mit der diese Personen ihrer eigenen Ignoranz begegnen, wenn zwei junge Frauen sich nachmittags im Wiener Museum der Moderne über die Kunst der wildesten und aufgeweckten modernen Kunstepoche unterhalten.
Das Museum muss leben gewinnen, es muss sich von einer Idee der religiösen Stätte unterscheiden. Das Museum muss einen eigenen Körper gewinnen, in dem ein Organismus lebt. Und im Gegensatz zum eigentlichen Körper müssen hier Fremdkörper willkommen geheißen werden, nein, sogar mit Erleichterung aufgenommen, bejubelt und ausgestellt werden. Alle Gäst*innen des Körpers, die als seine Nebenwirkungen anhängend dazugehören, sollten den Körper zum Bewegen bringen, bis er tanzt und die Ruhestätte zerstört.