Die Bühne, eine Geisterbahn

Zwei Redakteurinnen sitzen zusammen in der Premiere von Drei Schwestern im Volkstheater und versuchen ihre gemeinsame Erfahrung in einem Chatverlauf zu teilen. 

Volkstheater, Nikolaus Ostermann (c)

Volkstheater, Nikolaus Ostermann (c)

23.09.2021, 15:01 Uhr

Marie-Theres Auer: “I think I remember something that happened to me yesterday” - so hat gestern unser gemeinsamer Theaterbesuch begonnen - So, what do you remember? 

15:03 Uhr

Alisa Guberman: Mir kommen einzelne Bilder der Inszenierung in den Kopf, die dystopische Musik und die unzähligen Blacks, die jede Szene eingeleitet haben. Woran erinnerst du dich?

15:06 Uhr, 1. Nachricht

M: Ein hängendes Telefon und eine Stimme die sagt, dass in 200-300 Jahren das Leben auf der Erde unglaublich schön sein wird. Das könnte ich mir auch vorstellen (ohne Menschen und so) aber die Frage ist schon, ob das eine Utopie oder eine Dystopie ist.

15:10 Uhr, 2. Nachricht

M: Eigentlich geht es ja um die “Drei Schwestern” von Tschechov, um drei Frauen, die ihr Ziel, nämlich zurück nach Moskau zu reisen, nie erreichen. In der Inszenierung werden aber nur einige wenige Sätze (generell gibt es sehr wenig Text) aus Tschechovs Vorlage verwendet, und es geht, finde ich, nicht mehr nur um drei Schwestern, sondern um Frauen* generell, oder um uns alle als Menschen, die nicht aus ihrer Realität ausbrechen können.

15:15 Uhr

A: Stimmt, man kann sich das Stück anschauen, ohne jemals von den “Drei Schwestern” Tschechovs gehört zu haben. Apropos nicht aus der Realität ausbrechen können: was Realität, was Simulation, was echt und was unecht ist, war ein Thema des Stücks. Am deutlichsten kam die Thematik durch die Ausstattung zum Ausdruck. Diese befremdlichen Kostüme und die Bühne! Sowas habe ich noch nicht gesehen…

15:17 Uhr

M: Ich war mir nie sicher, ob ich echte Menschen auf der Bühne sehe. Also natürlich waren da echte Schauspieler*innen aber irgendwie auch nicht, es gab zum Beispiel keine natürlichen Stimmen und die Gesichter waren fast durchgehend mit Masken verdeckt…Ist mir aber auch abgegangen, keine Gesichter zu sehen. Wie ging's dir damit?

15:21 Uhr

A: Es war tatsächlich ungewohnt, keine Gesichter zu sehen, keine naturalistischen Körperbewegungen, wie ich es sonst kenne. Das, was Theater ausmachen kann, wurde dem Spiel der Schauspieler*innen entzogen. Fandest du das gelungen?

15:21 Uhr

M: Ich fand das gruselig.

15:22 Uhr

A: Gruselig triffts gut! In Kombination mit der Musik kam ich mir anfangs vor wie in einer Geisterbahn!

Volkstheater, Nikolaus Ostermann (c)

Volkstheater, Nikolaus Ostermann (c)

15:28 Uhr

M: Ich finde, da hat das Video (manchmal hatte man das Gefühl, selbst durch den Raum zu schweben) auch dazu beigetragen. Eine Geisterbahn, in der manche Sachen dann plötzlich nicht mehr funktionieren und du mitten im Tunnel stecken bleibst und der Geist nur immer wieder das Gleiche wiederholt. Generell wird ziemlich viel wiederholt….auch gruselig. “I am a strange loop” war einmal eine projizierte Textzeile, und irgendwie finde ich, war das ganze Stück so, als ob du immer das gleiche Youtube Video anschaust. Im Programmheft schreibt die Regisseurin (Susanne Kennedy) auch, dass es ihr darum geht die Zeit als einen Kreislauf zu denken, in dem sich das Leben immer wieder wiederholt. Ob man dann nicht anders leben würde? Also, falls sich jemand auf diese Gedanken einlassen will dann rein ins Stück, mir waren dann manche philosophischen Diskurse dann doch ein bisschen zu abgehoben.

15:35 Uhr

A: Voll, das war jetzt wieder seit längerer Zeit ein Stück, nach welchem ich mir nicht sicher war, ob ich es überhaupt verstanden habe. Die philosophischen Diskurse und die ganzen Fragen die gestellt wurden, haben mich zwischenzeitlich an die Netflix-Serie Dark erinnert...da habe ich mich zwischenzeitlich auch gefragt, was gerade abgeht…

Aber soll mal einer sagen, das Theater sei in seiner Analogizität steckengeblieben. Wir haben den Großteil der 80 Minuten auf einen riesigen Bildschirm gestarrt, meine Augen taten danach weh. Sind das längst etablierte Sehgewohnheiten oder ein Versuch das Theater “moderner” zu gestalten?

15:48 Uhr

M: Gute Frage, ich glaube, dass wir schon sehr gewohnt sind auf Bildschirme zu starren. Bildschirme sind ja auch überall in der Öffentlichkeit, aber im Theater ist sowas eben noch “neu” oder wird zumindest so betitelt. Ich frag mich nur, ob das Theater dann nicht etwas vergisst, wenn es die realen Menschen auf der Bühne und im Publikum irgendwie vernachlässigt. Ich starre für 80 Minuten auf den Bildschirm, meine Augen tun weh, und irgendwie bin ich trotzdem alleine geblieben. Es findet kein Dialog statt, weder zwischen den Menschen auf der Bühne noch zwischen Bühne und Publikum. Was vielleicht auch ein weiteres Thema des Stückes ist… Ich will aber jetzt nicht so dystopisch sein...Theater darf ja auch mal etwas gestört sein?

15:55 Uhr

A: Auf jeden Fall, es muss ausprobiert werden um letztlich zu sehen, ob es klappt oder nicht. 

Ich will die Inszenierung nicht verreißen, dafür war sie in ihrer Form zu besonders, außergewöhnlich und spannend. Wenn der Inhalt vielleicht nicht ganz so abgespaced gewesen wäre, hätte es mich noch mehr abgeholt und hätte mehr von Theater als leiblicher Kunstform beibehalten. Der Dialog zwischen Bühne und Publikum ist vielleicht bei der Masse an Digitalen erstmal in Schockstarre verfallen haha…schreckt dich so eine Art Theater ab? 

16:07 Uhr

M: Ich finde das ist eine gute Frage, die sich jede*r Zuschauer*in dann selbst stellen kann. 

Bohema Bohemowski

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