„Die Literatur wird nie verschwinden.“

Bernhard Pöckl ist seit Februar neuer Leiter der städtischen Büchereien Wiens. Der studierte Literaturwissenschaftler managet 300 Mitarbeiter*innen, 38 Zweigstellen und 1,4 Millionen Medien. Welches Credo ihn antreibt und wie kulturfreudig Wiens Politik ist – Bohema hat nachgefragt.  

Bernhard Pöckl /// Clemens Fabry (c)

Bohema: Herr Pöckl, wer geht denn heute noch in eine Bücherei?

Bernhard Pöckl: Von Studierenden über Eltern, Schulklassen, Pensionist*innen, bis zu arbeitenden Menschen, die sich fortbilden möchten, haben wir alle dabei. Viele Menschen kommen auch deshalb zu uns, weil sie die Räume nutzen möchten, sich hier treffen und aufhalten. Aber natürlich haben wir einen klaren Fokus auf Kinder und Jugendliche, weil wir in dieser Hinsicht sehr stark vernetzt sind mit anderen Bildungseinrichtungen der Stadt. 

B: Sie bezeichnen Wiens Büchereien als wichtigen Teil der kulturellen Grundversorgung der Stadt. Inwiefern?

P: Wir haben natürlich einerseits die Primärmedien, aber andererseits sind wir ein sehr großer Player im Veranstaltungsbereich. Wir bieten neben Lesungen auch Kino, Theater, Vorträge, Workshops. Und das wichtigste ist: Wir sind nicht nur sehr breit aufgestellt, sondern gleichzeitig eine extrem niederschwellige Einrichtung. Unsere Angebote sind kostenlos, sie sind für alle nutzbar. 

B: Glauben Sie, dass den Wiener*innen bewusst ist, wie privilegiert sie sind?

P: Bewusstsein bedingt ja immer, dass man weiß wie es anderswo ist. Ich glaube schon, dass die Wiener*innen wissen, was sie – nicht nur mit uns, sondern mit allen kulturellen Angeboten der Stadt – haben.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die verwöhnt da sitzen und sagen: „Naja, könnte besser sein.“

B: Welche Aufgaben haben Sie als Leiter?

P: Ich bin für die strategischen Entscheidungen zuständig. Ich entscheide, wohin sich die Büchereien bewegen. Aber ich agiere natürlich nicht in einem luftleeren Raum, ich habe eine tolles Team. Und die Büchereien sind Teil der Magistratsabteilung 13 (Bildung und Jugend), die klare Vorgaben gibt. Wir denken uns nichts aus und sagen einfach, dass wir es ab morgen so oder so machen. Wir stellen uns immer die Frage: Was sind die Bedingungen und Bedürfnisse der Stadt, wo bringen wir uns ein, wo platzieren wir uns strategisch. 

B: Das heißt aber auch, dass Sie in Ihrer Arbeit sehr stark von einer kulturfreudigen Regierung abhängig sind? 

P: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Die Büchereien gibt es jetzt wirklich schon sehr lange und unter den verschiedensten Regierungen und Stadträten. Ich habe nicht den Eindruck, dass es da ein mangelndes Interesse von politischer Seite her gibt, eher umgekehrt.

Wir sind ein fixes und gutes Angebot der Stadt, das nicht in Frage gestellt wird. 

B: Würden Sie sich denn als Menschen mit gesellschaftspolitischen Visionen bezeichnen?

P: Ich glaube das muss man sein, wenn man eine Institution wie die unsere leitet. Eine, die eine gewisse Haltung vertritt: Einen niederschwelligen Zugang zu Bildung, zu Medien, zur Kultur zu bieten, ist das Credo, das wir vor uns her tragen. Wie das ausgestaltet wird, das ist dann immer eine Detailentscheidung. 

B: Sie sprechen von einem „wir“. Wie hält man ein Team zusammen, das quer über Wien verstreut arbeitet?

P: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung, weil wir sehr kleinteilig sind. Aber ich kümmere mich zum Glück nicht alleine um alle unsere Leute. Wir sind intern gut organisiert und vernetzt und haben eine sehr lebendige Diskussionskultur. Das ist wichtig, um nicht das Gefühl für das zu verlieren, was am anderen Ende der Stadt passiert, wo man vielleicht nicht immer hinschaut. 

B: Kulturpessimist*innen prophezeien bekanntlich gerne den Untergang der Literatur. Was würden Sie diesen Menschen entgegen halten?

Das ist tatsächlich ein wahnsinnig pessimistischer Zugang, der gedanklich an den prophezeiten Untergang des Buches verknüpft ist. Aber die Literatur wird nie verschwinden, denn sie ist ja nicht an den Träger „Buch“ gebunden. Wenn wir sagen, dass die Narration der Kern der Literatur ist, dann findet Literatur in den diversesten Medienausformungen (wie Film oder Theater) statt.

Und sie erfüllt ein extrem starkes Grundbedürfnis von Menschen.

Nämlich Ereignisse in eine sinnstiftende Erzählung einzubetten. Das wird nie weggehen. Das wird dem Menschen immer wichtig sein. 

B: Wie haben denn Sie Ihren Weg in die Welt der Bücher gefunden?  

P: Puh, das ist lange her (lacht). Ich habe meine Eltern immer gezwungen, mir vorzulesen und relativ früh das Comic für mich entdeckt. Comics habe ich sehr lange, fast schon auf religiöse Art und Weise gelesen. Das ist dann irgendwann in einen breiteren Buchkonsum übergegangen. Und tatsächlich hat mich dann am Land, wo ich aufgewachsen bin, meine kleine Bibliothek angefixt. 

B: War die Erinnerung an diese kleine Bibliothek Ihrer Kindheit schlussendlich auch ein Ausgangspunkt für Ihren späteren Job?

P: Der Weg in die städtischen Büchereien war irgendwie aufgelegt: Als ich in Wien Literatur zu studieren begonnen habe, hat mich das mit Sinn erfüllt. Und dann war es naheliegend zu schauen, was es denn hier so für Möglichkeiten gibt. 

B: Birgt ihr Job nicht das Risiko, irgendwann die Lust an der Literatur zu verlieren?

Gar nicht! Es ist eher umgekehrt. Nur wird es leider irgendwann eine Frage der Zeit, die zum Lesen übrig bleibt… 

Zum Schluss noch kurz gefragt:

B: Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch? 

P: Die Wohlgesinnten von Jonathan Littell. Ein Skandalroman von vor zehn Jahren. 

B: Analoger oder digitaler Leser? 

P: Absolut beides. 

B: Elif Shafak oder Michel Houellebecq?

P: Weder noch. Da quäle ich mich immer mit einer gewissen Depression durch. 

B: Lesen am Strand oder im Schanigarten? 

P: Am Strand.

B: Vorlesen oder vorgelesen bekommen?

P: Vorgelesen bekommen – das ist immer schöner. 

Previous
Previous

The Big Funk Party

Next
Next

Alle Wege führen zum Bunker