Ein Blick, der tötet

100 Prozent weibliche Hauptrollen - Sofie Vinnik, Ekaterina Protsenko und Anita Rosati sind ein rein weibliches Dreamteam in Philipp M. Krenns gelungen inszenierter Orphée et Eurydice in der Kammeroper.

Orphée in der Unterwelt /// TAW, Hediwg Prammer (c)

Orphée in der Unterwelt /// TAW, Hediwg Prammer (c)

Wann hast du das letzte Mal eine Oper mit 100 Prozent weiblichen Darstellerinnen gesehen? Oder einen Film? Immer wieder das Gleiche, Frauen werden benachteiligt. Orphée et Eurydice in der Kammeroper ist (auch) in dieser Hinsicht ein Lichtblick. Nur im Chor sangen Männer mit, sonst war es ein Kammerspiel zwischen drei tollen Frauen: Sofie Vinnik (Orphée), Ekaterina Protsenko (Eurydice) und Anita Rosati (Amour). Das war Regisseur Philipp M. Kren zu verdanken, der aus Orpheus eine Orphée zauberte.

Der Orfeo-Stoff wurde unzählige Male als Oper vertont und wird den meisten von euch geläufig sein. Orfeo gelangt dank Amor und seiner überirdischen Musizierfähigkeit in die Unterwelt, um seine tote Geliebte Eurydice zurückzuholen. Er darf sich nur ja nicht umdrehen, sie anschauen, sonst bleibt sie für immer da. Glucks Version ist eine Reformoper, er wollte die ausartende Virtuosität der Zeit bändigen, die Handlung vereinfachen und der Musik näherbringen. Wie bitte? Die fetzigen Virtuosenarien streichen? Schade, ich stehe auf sowas...

Wie ein Miniorchester in deinem Wohnzimmer

Und tatsächlich könnte man der Musik stellenweise vorwerfen, etwas langatmig, etwas zu einfach zu sein. Wenn man aber darauf eingeht, dem guten Gluck eine Chance gibt, wird man unter anderem mit aufregenden Orchesterpassagen belohnt, die das Bach Consort Wien unter Raphael Schluesselberg straff und elegant darbot. Es ist immer wieder allein dafür einen Abend wert, große Werke in der Wohnzimmerakustik der Kammeroper zu erleben (ok, so ein großes Wohnzimmer hätte ich gerne...), wo die einzelnen Orchesterstimmen deutlich vernehmbarer zu einem filigranen Ganzen verschmelzen.

Die Art, das musikalische Geschehen gerne ins Orchester oder in den Chor zu verlegen, relativ einfache, oft tragische Gesangslinien zu schreiben, erinnerte an Wagner. Deutsche Oper, diese nationale Tradition ist doch älter als gedacht. Der Verzicht auf den virtuosen Gesang brachte die Stimmen der drei Frauen in den Fokus. Sofia Vinniks dunkel gefärbten, fein vibrierten Mezzo, Anita Rosatis spielerischem Sopran und Ekaterina Protsenkos helle, stets gut geführte Stimme.

Krenns Regie kam bei mir sehr gut an: gerade aufregend genug, ohne mit irgendwelchen kaum zu deutbaren Symbolen überladen zu sein. Er setzte die Handlung zunächst in ein Hospizzimmer. Die dämonischen Beschützer*innen der Unterwelt (der Chor) rissen sich bei Orphées Ankunft durch die Papierwand, optisch wie musikalisch großartig (1:42). Nur die elektrisch eingespielte Harfe, mit der Orphée die Furien besänftigte, zog die Szene etwas runter. Die höchstens mittelmäßige Qualität erinnerte an irgendeine Provinzoper.

Die Furien der Unterwelt reißen sich durch die Papierwand /// TAW, Hedwig Prammer (c).

Die Furien der Unterwelt reißen sich durch die Papierwand /// TAW, Hedwig Prammer (c).

Was in der Unterwelt zwischen dem Liebespaar passiert, könnte man als Paradebeispiel von Misstrauen und Misskommunikation an der internationalen Beziehungshochschule anführen. Die wiedererwachte Eurydice verlangt sofort ein Zeichen der Liebe, zweifelt gleich an Orphée. Sie kämpft mit ihren Gefühlen, versucht, zu widerstehen, küsst sie am Ende aber doch. Welch ein herzzerreißender Moment! Bei mir liefen die Tränen.

Theaterkribbeln im Bauch auf dem Heimweg

Gluck traute seinem Publikum nicht zu, die originelle tragische Endung zu ertragen. Bei ihm beschert Amor den Liebenden am Ende doch noch das ersehnte Glück. Krenn deutete den Schluss etwas um. Laut Programmheft sollte es ein offenes Ende sein, was wir sahen, kam mir aber recht eindeutig rüber. In der letzten Szene sahen wir Eurydice wieder im Hospizzimmer, sterbend. Orphée wiederum wandelte (per Video) alleine und scheinbar zufrieden durch Wien. Damit gab Krenn der Oper den nachdenklichen Schluss, den sie verdient; ich lief mit starkem Theaterkribbeln im Bauch und Gedanken über Liebe und Vergänglichkeit nach Hause.

Previous
Previous

Von Atomkraft bis Tonkunst

Next
Next

A voice sweet as your mother’s milk