Ein Sinnbild für die Jugend

Rote Beete Reden - Koch- und Talk-Format im Schauspielhaus mit Schwächen, Unsicherheiten und Potenzial.

(c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

(c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

Es ist 17.59 Uhr und ich bin schon im Zoom-Webinar. Zwei abgespacet gezeichnete, pinke Radieschen begrüßen mich und es wird angezeigt, dass die Vorstellung in Kürze beginne. Genauer gesagt um 18.05 Uhr. Die beiden Schauspieler*innen bzw. Moderator*innen Clara Liepsch und Arthur Romanowski laufen in einem Vorspann durch den 9. Bezirk zum Eingang des Schauspielhauses und erscheinen dann im „Rote Beete Studio“, wie sie es selbst nennen. Sie tragen Kleider aus einem Steppdecken-Material, die ich schon in einer meiner YouTube-Spiralen als Tutorials gesehen habe.

Begrüßungen bis zum Umfallen

Es wird begrüßt und sich gefreut, dass wir - die Zuschauenden - heute dabei sind. Es soll heute Abend um das Thema Jugend gehen. Aber bevor es damit losgeht, wird erst einmal das Live Publikum, bestehend aus 10 Personen, in das Studio gelassen. Und es wird noch einmal begrüßt und sich gefreut und mit Wodka angestoßen. Den hätte ich jetzt auch gerne neben mir stehen gehabt, denn der Abend beginnt chaotisch und dadurch schwierig für mich. Es wird auf einmal getanzt und ich weiß nicht so recht, was gerade da auf meinem Bildschirm passiert und schaue da wahrscheinlich zum ersten Mal auf mein Handy so ganz nebenbei.

Liepsch und Romanowski spielen erst Texte aus Sargnagels neuem Buch dicht, ziehen sich dann um, es entsteht eine etwas ungeschickte Pause und genau da trinkt eine Zuschauerin im Studio ein Stamperl Wodka - ich frage mich erneut, wo meiner ist. Bis Minute 25 war es ein Mash-Up aus Begrüßungen, Wodka-Ausschenken und kontextlosen Texten, das mich verwirrt hat. Es fehlen die konkreten Entscheidungen, was wann gemacht wird, es wirkt wenig gesetzt.

Das Rote Beete Studio (c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

Das Rote Beete Studio (c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

Was ich am Format an sich eher schwierig finde, sind die unzähligen Specials und Abstimmungen und interaktiven Möglichkeiten, die sich das Schauspielhaus-Team da ausgedacht hat. Ständig leuchtet eine Nachricht im Zoom-Chat von irgendwem auf, der oder die wieder jemand anderes irgendwo grüßen will. Ich bin genervt. Denn eigentlich soll es um das Thema Jugend gehen. Und sich miteinander verwandt machen, also Nähe suchen. Und Kochen, wobei unsere beiden Hosts da auch eher bescheidenes Wissen mitzubringen scheinen.

Sargnagel als Ruhepol im Küchenchaos

Auftritt Stefanie Sargnagel: Es wird über ihr Buch und die Beisl-Kultur gesprochen. Aus Sargnagels Ton klingt eine Mischung aus Faszination und Ironie, mich kriegt sie damit wieder in den Abend. Für sie sei ein echtes Beisl ein Ort der Erholung, an dem sie nicht funktionieren müsse. Anders als in Hipster-Lokalen, in denen es darum gehe, gut gelaunt oder besonders eloquent zu wirken. Für sie ginge es um das familiäre Flair, der Doppler wäre da irgendwo an die Stelle der Muttermilch getreten.

Ein anderes Kapitel in ihrem Buch beschäftigt sich mit dem Thema, dass sie ihre Mutter nur als Mutter kennengelernt habe und nicht als Mensch. Ich habe sofort tausend Assoziationen zu diesem Satz, aber leider wird da abgebrochen, denn es gibt noch viele, viele Punkte, die an diesem Abend abgearbeitet werden müssen. Und genau darin zeigt sich das Problem der Rote Beete Reden: Es steht ein unfassbar ausführlich Programm bevor, dass in gut zwei Stunden durchgeackert werden soll, mit allen Tricks und Kniffen, die wir über dieses Jahr Netztheater gelernt haben, aber der Inhalt, der im Moment entsteht, kommt dabei leider etwas zu kurz. Es fehlt wohl das Vertrauen in den Abend, in die Gäste, in die Geschichten, die diese zwei Stunden leicht ausfüllen würden.

Mit Romanowskis Oma über Jugend sprechen…

Es wird mit Arthur Romanowskis polnischer Großmutter gezoomt und es soll (immer noch oder wieder) über Jugend gesprochen werden. Die Sprachbarriere ist dabei das kleinere Problem, es werden tolle Geschichten von Brygida Najdowska erzählt. Dass sie die Welt durch Frontberichte und Europakarten und mit ihrer Fantasie bereist habe. Doch trotz der sehr interessierten und interessanten Fragen von Stefanie Sargnagel mag nicht so wirklich eine Verbindung zwischen allen Beteiligten entstehen.

Und es wird sich wieder der Kocherei zugewandt, denn es wird nicht nur Kartoffelsuppe, sondern auch Kartoffelpuffer gekocht. Die Bild- und Kameraästhetik, die den Küchenschlachten und Fernsehköchen unserer Hemisphäre entlehnt wurde, spricht mich persönlich sehr an. Es zeigt, dass es eben auch ein Kochformat sein soll. Mit sehr viel extra Inhalt on top.

Es bleibt Luft nach oben

Ich würde sagen, dass die Rote Beete Reden definitiv kultiges Potenzial haben, sich aber mehr auf ihr Stärken verlassen und weniger in derselben Zeit einplanen sollten. Denn heute Abend war alles etwas gehetzt, chaotisch und zu viel für mich. Und es wurde wenig über Jugend gesprochen. Ein Thema, das mich aber so interessiert hätte. Wie auch Stefanie Sargnagel, die am Ende die Ruhe in Person war und sich um die Kartoffelpuffer nach großmütterlichem Rezept gekümmert hat (und sich auch sonst als erfahrende Köchin gezeigt hat). In unserer Jugend sind wir auch alle etwas planlos, wollen alles sofort und ständig machen und erleben und verlieren dadurch den Überblick. Und auf einmal wird getanzt - in der Jugend sowie im Studio.

Die nächste und letzte Folge Rote Beete Reden findet am 06. Juni im Schauspielhaus Wien live vor Ort und auf Zoom statt. Als Gast wird die Musikerin Yasmo dabei sein.

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