Family Dinner: Na Mahlzeit
In seinem Horror-Spielfilmdebüt rechnet Peter Hengl mit einem in Österreich pikanten Thema ab: Das fast schon religiös praktizierte Essen.
Genre-Kino ist in Österreich immer eine delikate Angelegenheit. Der österreichische Film wird immer gern belächelt, denn die Österreicher haben mehr Bezug zu Skifahren und Essen als mit Theater und Kino. Und genau diese gustiöse Beziehung macht sich Filmemacher Peter Hengl zu Nutze, um einen neuen Eintrag ins Subgenre Austro-Horror zu liefern.
Simi (Nina Katlein) ist 14 und übergewichtig. Da sie unzufrieden mit ihrem Körper ist, besucht sie in den Osterferien ihre entfernte Tante, Ernährungsexpertin Claudia (Pia Hierzeger). Diese lebt mit ihrem neuen Lebensgefährten Stefan (Michael Pink) und ihrem Sohn Philipp (Alexander Sladek) in einem abgelegenen ehemaligen niederösterreichischen Bauernhof. Kalt ist nicht nur die Jahreszeit, sondern auch der Empfang. Vor allem Philipp benimmt sich Simi gegenüber ungehobelt. Nach anfänglicher Weigerung macht Claudia mit ihrer Nichte schließlich doch einen Diätplan. Und der beinhaltet tatsächlich, in der Karwoche nichts zu essen und nichts außer Wasser zu sich zu nehmen. Schließlich müsse man zuerst den Körper entgiften. Nur Liebling Philipp wird reichlich bekocht und darf beim abendlichen Dinner ordentlich zulangen. Die Tage bis zum sehnlich erwarteten Osterschmaus scheinen endlos, und der psychische Druck auf der gesamten Familie wird immer stärker. Je weiter die Zeit voranrückt, desto mehr beschleicht Simi der Gedanke, dass etwas auf dem Bauernhof nicht stimmt.
Kochen für Österreicher
Das Essen ist in Österreich ein gewichtiges Thema: Der Kärntner Wolfgang Puck bekocht seit Jahrzehnten die Gäste der Oscar-Gala in Hollywood. Eine richtige Kirchtagssuppe am Villacher Kirchtag enthält sieben verschiedene Sorten Fleisch. usw.
Während dem Schreiben dieser Zeilen gibt es einen Aufruhr wegen eines Plakats einer österreichischen Partei, weil darauf skandalöserweise ein Wiener Schnitzel mit – Oh Schreck – Ketchup anstelle der traditionellen Preiselbeeren abgebildet ist. Nachdem Klimaaktivist*innen jüngst ein Monet-Gemälde in einem Museum mit Kartoffelpüree beworfen haben, fokussierte sich Twitter mehr auf das Essensveschwendung als auf die Begründung dahinter. In Österreich nimmt man Bertold Brechts Zitat „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“ schon zu wortwörtlich.
Die unheile Familie
Genau dieses Mindset greift Hengl in seinem Langfilm-Erstling auf. Religion und Essen gehen Hand in Hand und kulminieren gemeinsam beim Osterfest. Je nach Region und Brauchtum werden 40 Tage oder 6 Tage lang kein Fleisch gegessen. Ob es extreme Variation, wie Claudia sie praktiziert, bei denen gar nichts gegessen wird, das kann ich leider nicht sagen. Allerdings tragen diese zu einem gewissen psychischen Druck bei. Und der ist in vielen Szenen im Film spürbar. Über weite Teile des Films werden die Figuren psychisch manipuliert und missbraucht. Der familiäre Raum ist hierbei nicht sicher, sondern toxisch. Nicht nur Simi wird diesem ausgesetzt, sondern auch Philipp. Es beginnt mit unterschwelligen Beleidigungen, geht über Anschreien, Verschwinden diverser Gegenstände und dem Ermorden und Darbieten von Tieren. Ein geköpfter Vogel auf dem Bett wird visuell die gleiche Bedeutung zugemessen, wie ein saftiger Hasenbraten. Jump Scares sucht man hier vergeblich, der Film setzt mehr auf Suspense und psychologischen Missbrauch.
An dieser Stelle muss man die Darsteller*innen lobend hervorheben. Das Psychospiele zwischen den beiden Schauspieldebütant*innen Katlein und Sladek funktioniert sehr gut. Die beiden sind ganz in ihren Figuren drinnen. Michael Pink ist bedrohlich und insgeheim unangenehm als Stefan, und man weiß am Ende gar nicht, ob die Alptraum-Version oder die (diegetisch!) reale Version unheimlicher ist.
Sie sind alle gut. Alles, was ich im vorigen Absatz geschrieben habe, trifft auf Pia Hierzeger als Claudia ebenso zu, wird aber von ihr sogar nochmal getoppt. Sie haucht einer faszinierenden Figur Leben ein und gibt eine ihrer bislang stärksten Performances ihrer Karriere ab. Ihr Spiel bleibt nach dem Film noch im Gedächtnis.
Welch cineastischer Augenschmaus
Die Kamera von DoP Gabriel Krajanak bietet schaurig schöne Bilder. Nicht nur das Wetter ist trist, auch die Bilder sind entsättigt. Beim feurigen Klimax aber und bei den Einstellungen auf die Gerichte werden die Bilder wärmer. Gleichzeitig lungert die Kamera zu lang auf scheinbar herkömmlichen Situationen, und schenkt ihnen vorab schon mal mehr Bedeutung.
Hengl orientiert sich auch an den alten Meistern. So könnte der Opening Shot 1:1 aus Kubricks The Shining stammen, wie auch die Datumsangaben während des Films. Das Sujet des Titels hat man in Hanekes Funny Games gesehen. Das zylindrig aufgestellte Osterfeuer erinnert an heidnische Götzengebilde aus The Wicker Man (Das Original). In diesem Sinne wirkt Family Dinner auch an einen Ari Aster Film (Hereditary / Midsommar). Gleichzeitig setzt sich der Film mit der Thematik rund um psychische Erkrankungen auseinander, was ähnlich wie Jennifer Kents The Babadook oder Mike Flanagans The Haunting of Hill House.
Fazit: Dieser Austro-Horror braucht weder fasten noch Diät
All diese verschiedenen Zutaten vermischt Hengl zu einem cineastischen Gericht a la Österreich. Ein guter Cast, ein bedeutsames Thema, eine Brise Altmeister, atmosphärisch schöne Bilder und viel frischen Wind machen Family Dinner zu einem passenden österreichischen Film. Mit Ostern wurde die richtige Jahreszeit gewählt, um diese Geschichte auf diese Art und Weise zu erzählen.
Family Dinner lief auf der diesjährigen Viennale und wird im Jänner 2023 in den Kinos starten. Ich wünsche einen guten - cineastischen - Appetit.