Fräulein Else: 1924 – 1929 – 2021

Die großartigen Franui und Maschek servierten bei der Neuvertonung des Stummfilms von Paul Czinner Gustostückerln ihrer Kunst.

Dieser Blick! /// babylonberlin (c)

Als die aus dem Osttiroler Bergdorf Innervillgraten stammenden Musiker*innen der Musicbanda Franui vor einem Jahr gefragt wurden, ob sie im Konzert den 1929 erschienenen Stummfilm live vertonen wollten, waren sie sich - so ist es dem Programmheft zu entnehmen - zuerst nicht ganz sicher, wie sie an die Sache herangehen sollten. Die Entscheidung, die Synchronisationskünstler Robert Stachel und Peter Hörmanseder, besser bekannt als Maschek, für das Projekt ins Boot zu holen, erwies sich daher als goldrichtig.

Willkommen Österreich lässt grüßen

Eine Eins-zu-eins-Abhandlung der Schnitzler’schen Novelle durfte man sich also nicht erwarten. Dafür nimmt sich allein schon das von Paul Czinner und der Stummfilmlegende Carl Mayer verfasste Drehbuch zu viele Freiheiten. Maschek und Franui entfernten die meisten Zwischentitel des Films und unterteilten diesen in sieben Akte, die so zwar optisch zusammenhängend die Geschichte der Else erzählten, Maschek aber gleichzeitig die Möglichkeit boten, in jedem Akt andere Schwerpunkte zu setzen und ganz unterschiedliche Narrative zu entfalten. Und dies gelang hervorragend.

In den wöchentlichen Maschek-Episoden in Willkommen Österreich synchronisiert das Duo ja Ausschnitte aus dem Fernsehen neu, wodurch sich natürlich eine Verbindung, ein Spannungsfeld zwischen Originalton und Neuvertonung auftut. Anders im Falle eines Stummfilms, der ja per se über keinen Ton verfügt und somit viel mehr Deutungsmöglichkeiten bietet.

Quintett für Geige, Spinett und drei quietschende Tellerwäscher

Was Maschek also aus dem Stummfilm machte, war oftmals zum Brüllen komisch. Die eigenen Lachmuskeln wurden jedenfalls genug trainiert. Köstlich, wie am Anfang des Films bei einem Hausmusikabend eine Violinsonate Schuberts kurzerhand zu einem Quintett für Geige, Spinett und drei quietschenden Tellerwäscher wurde - bloß weil auf der Leinwand immer wieder zwischen dem Musiksalon und der Küche (mit drei Tellerwäschern) hin- und hergewechselt wurde.

Oder wie die Schauspielerin Adele Sandrock - im Originalfilm Tante Emma, gespielt natürlich von der Sandrock - in einem Zugabteil mit forsch entgegengestreckter Hand begrüßt wurde: „Ich bin ungeimpft!“. Nichtsdestotrotz, und das ist ja eigentlich das Großartige an Maschek, artete die Angelegenheit nicht in eine 90-minütige Banalität aus, sondern schafften es die beiden, auf humorige Art einige ernste wie aktuelle Themen zu behandeln. Von der Schredder- bis zur Chataffäre der ÖVP, von der marktbeherrschenden Stellung, die Netflix in der Unterhaltungsindustrie einnimmt, bis hin zur natürlich schon im Original vorhandenen #metoo-Thematik.

Klassik x Volksmusik x Jazz

In perfekter Symbiose dazu gesellten sich die Musiker*innen von Franui, nach einem grandiosen Reigen-Projekt mit Sven-Eric Bechtolf ja immerhin schon Schnitzler-erfahren. Die Klänge, die die vielseitigen Musiker*innen an der Schnittstelle von Klassik, Volksmusik, Jazz, Kammermusik und so vielen anderen Einflüssen erzeugen, sind urkomisch, schräg, grotesk, schaurig und wunderschön zugleich. Zumeist nahmen sie Melodien klassicher Komponisten (Mozart, Schubert, Bartók etc.) als Ausgangspunkt und stellten die Themen dann mit ihrem ureigenen Instrumentarium zwischen Geige, Holz- und Blechblasinstrumenten, Hackbrett und Spinett erst recht wieder auf den Kopf.

Im 6. Akt des Films, als Else die Überdosis Veronal einnimmt und sich Herrn Dorsday präsentiert, wurde schließlich von Maschek nichts gesprochen und Franui durften mit der musikalischen Unterlegung des Films allein glänzen. Nicht nur hier wurde mir bewusst, wie gut und emotional eindrücklich ein mit der passenden Musik unterlegter Stummfilm sein kann. Ein spannender Abend!

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