Frau Wirtin hat auch ein Parteibuch

Vom Herrn Karl zu Franz Antel oder warum Fett immer oben schwimmt. Über Opportunismus und braune Flecken in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft.

Franz Antel /// Harald Schneider, APA (c)

Das Kreuz mit der österreichischen (Film-)Geschichte ist ja, dass man um das Thema Nationalsozialismus nur schwer herumkommt, ohne sich vollständig zu verrenken. Das Ganze wird vor allem dann nicht einfacher, wenn selbst über 75 Jahre nach Ende des zwölf Jahre andauernden tausendjährigen Reichs immer noch neue Facetten zutage treten. So berichtete erst unlängst das Magazin Profil von der bisher unbekannten, wenn auch nicht sonderlich überraschenden NSDAP-Parteimitgliedschaft von einer der bekanntesten österreichischen Filmregisseur:innen der Nachkriegszeit, Franz Antel. Ausgerechnet jener Franz Antel, dessen bekanntester Film wohl der Bockerer (1981, Franz Antel) darstellt! Seine Biografie - die auch schon davor bei weitem nicht 1A lupenrein war - liest sich wie der klassische Werdegang eines Opportunisten wie er im Buche steht. Dieses Fazit zieht auch die Historikerin Hanja Dämon. Wie nur allzu oft bei uns, wahrlich kein Einzelfall.

„Wie man diese gutgläubigen Menschen in die Irre geführt hat…“

Man kann nur mehr erahnen, wie sehr die Telefone am Küniglberg am Abend des 15. November 1961 geglüht haben mussten. An jenem Tag strahlte der ORF zum ersten Mal den bis heute berühmt-berüchtigten Monolog aus der Feder von Carl Merz und Helmut Qualtinger aus: !!! Der Herr Karl (1961, Erich Neuberg). Alles Gute im Nachhinein zum 60er übrigens an dieser Stelle.

Der Herr Karl ist Feinkostmagazineur, er hat schon viel erlebt, und hat schon viele Farben getragen, mal rot, mal schwarz, mal braun, je nachdem. Frei von der Leber erzählt er einem jungen Menschen, wie das so war, damals, in der Zeit vor 1945. Im Krieg war er nie, war immer ein feiner Mensch. Aber er wundert sich, dass der Herr Tennenbaum ihn seit ein paar Jahren nicht mehr grüßt, dabei hat er ihm doch nie etwas getan, nur hingeführt, und irgendwer musste ja schließlich den Trottoirs schrubben, damals. Mit seiner Mischung aus Wiener Charme, einer Prise Bösartigkeit und vor allem einem gesunden Gespür dafür, wie der Wind gerade steht, personifizierte der Herr Karl die unangenehme Seite des Durchschnittsösterreichers zu jener Zeit. Das Stück war ein Skandal. Bis man sich offen zu seiner eigenen Mitschuld bekannte, vergingen trotzdem noch Jahrzehnte.

Mit der tatsächlichen Aufarbeitung der eigenen Rolle während der NS-Zeit war es damals noch weit hin, die Affäre Waldheim fand gute 25 Jahre später statt. Man war es in Österreich damals nicht gewohnt, einen solchen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Man war das erste Opfer, punkt. Und überhaupt, irgendwann musste auch mal Schluss sein mit dem Ganzen. Die Entnazifizierung war zwei Jahre nach dem Krieg so gut wie abgeschlossen, acht Jahre später war man sogar endlich die leidigen Russen los. Man wollte in die Zukunft denken, und nicht mehr an das erinnert werden, was oder wer man mal war.

“Kennen Sie Mein Kampf?“ „Ihna Kampf? I kenn ja ned amal Ihna, wie soll i Ihna Kampf kennen.

Deutsches Bundesarchiv (c)

Franz Antel, Regisseur von über 80 Filmen, vor allem bekannt für eher seichte Unterhaltung wie Hallo Dienstmann (1952), Frau Wirtin hat auch einen Grafen (1968), 00Sex am Wolfgangsee (1966) oder Vier Mädels aus der Wachau (1957), war einer der prominentesten und geschätzten Promis seiner Zeit. Sein bekanntester Film ist wohl der Bockerer, über einen an sich unparteiischen Fleischhauer, der sich aus reiner Menschlichkeit und Moral dem System und dem Fanatismus seiner Familie entgegensetzt. Franz Antel machte es sich da deutlich einfacher. Zuerst angeblicher politischer Flüchtling in Deutschland aufgrund seiner braunen Gesinnung, dann später im Wehrmachtsgefängnis (nicht wegen seines angeblichen Widerstandes, sondern weil er heimlich Benzin der Wehrmacht am Schwarzmarkt verkaufte) und zu guter Letzt angebliches Opfer des Nationalsozialismus mit treuer ÖVP-Nähe.

Screenshot aus Der Bockerer /// Filmarchiv Österreich (c)

„Hit me, Kate“

Dass Antel eventuell unter Umständen vielleicht etwas angebräunt hätte sein können, wusste man seit der „Watschenaffäre“ 1956 (für mehr Kontext siehe weiter unten). Oder wie es Profil-Chefredakteur Christian Rainer nannte, er hat schon immer ein bisschen „antisemitelt.“ Das Ganze war damals schon - salopp gesagt - wurscht und wird auch heute nur wenig zum Denken anstoßen. Dass gewisse – vermeintlich rein österreichische – Filme und Kunstwerke braune Flecken aufweisen, hatten wir schon. Dasselbe gilt natürlich auch für die dahinterstehenden Personen, so viel Persil kann ein Mensch gar nicht brauchen.

Man könnte jetzt dieselben Fragen wie zu Kunstwerken stellen: was jetzt? Ich fühle mich allerdings jetzt schon, als würde ich mich nur mehr wiederholen, schon wieder ein Text über den braunen Bodensatz, dem man scheinbar nicht entrinnen kann. Ebenso würde eine ernsthafte Behandlung des Themas das Format hier sprengen, ist das ganze doch eher für eine wissenschaftliche Untersuchung geeignet.

Es ist nur interessant zu beobachten, welche Wellen dieser Zeit immer noch nachwirken, und welcher Rattenschwanz sich noch immer durch alle Aspekte der Gesellschaft zieht. Manche halten die Affäre Waldheim immer noch für eine Kampagne der Sozialisten, der Herr Karl wird immer noch an Schulen gezeigt, und ist auch heuer live im Rabenhof zu sehen, und wurde jetzt sogar neu verfilmt. Franz Antel drehte seinen letzten Film – der Bockerer IV - im Jahr 2003, über die Geschehnisse des Prager Frühlings. Die interessanteste Frage ist wohl, was ihn dazu bewegt hat, den Bockerer überhaupt zu drehen? Als Schutzmechanismus, so wie er Jahrzehnte zuvor diversen Opferorganisationen beigetreten ist? Frage ist wozu, 1981 scherte man sich noch deutlich weniger um den „Opfermythos“, auch hat ihm der „alte Nazi“ bisher nur wenig geschadet. War er gar wirklich ein Gegner des Nationalsozialismus? Oder handelte er tatsächlich bloß aus reinem Opportunismus heraus und wurde nur zwecks besserer Jobchancen, wie viele andere auch, Parteimitglied, der rein zufällig nebenbei ein bisschen „antisemitelt“ hat? Die klassisch österreichische Lösung quasi.

Letztlich aber, macht es einen Unterschied, ob man aus Idealismus oder aus Opportunismus heraus tut, was man tut? Ob mit dem mittlerweile erleichterten Zugang zu diversen Archiven sich noch weitere Facetten ergeben, und neue Diskurse daraus entfachen? Bleiben wir gespannt.

BISSCHEN KONTEXT UND DERGLEICHEN

Im Bezug auf Persil: Mit einem durch eine integre Person ausgestellten „Persilschein“ konnte man sich gewissermaßen vom Verdacht einer nationalsozialistischen Gesinnung „bereinigen“. Der Name bezieht sich übrigens tatsächlich auf das Waschmittel.

Die Watschenaffäre: Der jüdische Kritiker Hans Weigel schrieb 1956 über die Burgschauspielerin Käthe Dorsch eine nicht sehr schmeichelnde Kritik, worauf diese ihm erbost eine Watsche verpasste, worauf dieser sie wiederum klagte. Der Kabarettist Gerhard Bronner schrieb dazu schließlich das Schmäh-Chanson namens „Hit me, Kate“. Franz Antel fragt ihn – laut Bronner – warum er sich denn für diesen „Saujuden“ einsetze. Bronner antwortete darauf, nach eigenen Angaben, er möge doch bitte eine andere Ausdrucksweise verwenden, schließlich nannte auch niemand Antel einen „alten Nazi“. Worauf Antel gesagt haben soll, er sei „ein alter Nazi und stolz darauf“! Die neuen Enthüllungen sind also keinesfalls vom Himmel gefallen.

Zur Einordnung des Titels: Bei der "Wirtin von der Lahn" handelte es sich ursprünglich um erotische Schmähverse, die im 19. Jahrhundert unter deutschen Soldaten erzählt wurden. Diese Verse liefen oft nach dem Schema "Die Wirtin hat auch..." ab. Franz Antel schuf daraus in den 60er und 70ern eine Reihe an Erotikkomödien, basierend auf der Wirtinnenfigur (z.B. "Frau Wirtin hat auch einen Grafen", "Frau Wirtin bläst auch gern Trompete", die feine Klinge eben.)

Die Neuverfilmung des Herr Karl von und mit Klaus Rott.

Ein weiterer interessanter Kommentar zur „Akte Antel“ von Stefan Grissemann.

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