Heimsuchung: Sucht und Wahnsinn
Der erste Langfilm des Österreichischen Filmemachers Achmed Abdel-Salam hat es in sich: Ein Horror über Alkoholismus, der so richtig wehtut.
Michi (Cornelia Ivancan) ist Alkoholikerin. Die junge Mutter versucht ihr Bestes, um die Sucht in den Griff zu bekommen, ihrer Tochter und ihrer Ehe zuliebe. Doch die Beziehung zu ihrem Kind Hanna ist nach einem Unfall ordentlich zerrüttet. Als Michis Vater verstirbt, kehrt sie in ihre Heimatgemeinde zurück, um ein paar Angelegenheiten zu regeln. Das Herumkramen in Erinnerungen hinterlässt aber auch seine Spuren, und Michi wird nach und nach von Geistern der Vergangenheit heimgesucht, und verborgene Traumata kommen an die Oberfläche.
Ein Monster namens Ethanol
Was sich wie ein Drama liest, ist es auch. Mit ordentlich viel Grusel im Gepäck. Ursprünglich war das Langfilm-Regiedebüt von Achmed Abdel-Salam als reines Drama um familiären Alkoholismus angedacht, doch ein Perspektivenwechsel hat gezeigt, dass eine Sucht aus der Sicht eines Kindes der reinste Horror ist. Und es ist der perfekte Ausgangspunkt für einen neuen Austro-Horror. Der/ die Zuschauer*in beschäftigt sich konstant mit der Frage, ob Michis unheimlichen Begegnungen wirklich übernatürlicher Natur sind, oder nur ihrer gestressten Einbildung entsprungen sind.
Sehen und gesehen werden heißt die Devise in Horrorfilmen, doch das Monster, welches Michi heimsucht, will partout sein Gesicht nicht zeigen. Gemäß den japanischen Horrorfilmen aus den Spätneunzigern hängen lange, strähnige und verfilzte Haare ins Gesicht. Das Antlitz darunter bleibt verborgen. Dabei gibt es einen Namen für das Böse in diesem Film: Alkohol. Für Michi gilt es nicht nur, der monströsen Erscheinung zu entkommen, sondern auch, dem Drang zu trinken zu widerstehen. Im Supermarkt sieht sie in einer wunderbaren Kameraeinstellung bewusst nicht in Richtung der prall gefüllten Spirituosen, diverse Restbestände leert sie ins Waschbecken. Der Kampf gegen die Sucht ist ein vermutlich noch härter als gegen böse Mächte aus der Vergangenheit.
Pandoras Schuhkarton
Bilder spielen im Film eine besondere Rolle. Nicht nur für Michi, die den Film über versucht, Fotos ihrer verstorbenen Mutter zu entdecken, sondern auch für den Zuseher. Für das Publikum gibt es nur verzerrte Fotos, Einblicke in eine entstellte und geplagte Psyche. Das geht so weit, dass man Angst vor einer Kinderzeichung bekommt. Diese findet Hanna in einem verschlossenen augenscheinlichen Schuhkarton. Doch dieser Behälter ist alles andere als gewöhnlich, und hat viel mit dem griechischen Mythos um Pandora und ihrer Büchse zu tun. So gesehen bietet der Film dadurch eine fantastische Neuinterpretation mythologischer Sagen.
Braucht mehr Mut zu Horror
Beim Lesen der Synopsis bzw. beim Anschauen des Filmes möge man sich eventuell an den grandiosen Horrorfilm „The Babadook“ erinnert fühlen. Und das nicht nur zurecht, sondern ist auch gut so. „Heimsuchung“ wirkt vom australischen Meisterwerk inspiriert, ohne aber wirklich als ein dreistes Rip-Off zu wirken. Sucht und Trauer sind zwei passende Wegbegleiter für das Horror-Genre. „The Babadook“, „The Shining“, „The Ring“, „Hereditary“, „Lake Mungo“; „Heimsuchung“ hat einige tolle Vorbilder, allerdings auch einige große Fußspuren auszufüllen. Und hier liegt vielleicht eine kleine Schwäche des österreichischen Indie-Films: Die Gruselszenen sind zwar effektiv, könnten aber noch weiter gehen. Im Vergleich wirkt vieles noch relativ handzahm. Manchmal würden auch nur ein paar Sekunden länger an einem unscheinbaren Ort ausreichen, um Gänsehautmomente zu bescheren. Es braucht nämlich ein wenig, um Fahrt aufzunehmen, läuft aber selten zu Höchstgeschwindigkeiten an. Langweilig wird’s nie, vor allem Dank der tollen, geplagten und getriebenen Performance von Ivancan, die vor allem im Zusammenspiel mit Jungstar Lola Herbst überzeugen kann.
Horror sucht die Sucht heim
„Heimsuchung“ ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Der Film lebt von seiner Atmosphäre, welcher durch die Kamera Leben eingehaucht wird. Die eindrucksvolle Performance von Ivancan bereichert die Geschichte. Die Gruselszenen sind effektiv, aber dem Film fehlt etwas Mut zum Weitergehen, zum Ausloten seiner Grenzen. Dadurch ergeben sich ein paar vertane Chancen. Dafür bleiben aber einige Momente und Bilder noch haften, nachdem die Credits längst vorüber sind.