Ich glaub daran, Saigon

Eine tragische Geschichte, packende Musik und spektakuläre Bühnendesigns: Miss Saigon im frisch renovierten Raimund Theater hat alle nötigen Zutaten für einen großen Musicalabend.

Vanessa Heinz als Kim /// Johann Persson (c)

Das Genre Musical hat bei Klassik-Enthusiasten ein Image-Problem. Zu wenig Tiefgang, die Musik sei zweitrangig. Operngeher*innen mit dieser Meinung werden in Miss Saigon aber eines Besseren belehrt. Das Stück vereint Klassik mit Modere. Das spiegelt sich auch in der Musik von Claude-Michel Schönberg wider, der mit ganz viel Talent asiatische Klänge mit europäischer Musik verflechtet. Eine Thematik, die in ihrer Feinfühligkeit so dermaßen unter die Haut gehen, dass einem eigentlich die Worte nun schlichtweg ausgehen. Hier ein Versuch.

 Als es die Amis waren, die Zivilist*innen bombten...

Wir drehen am Rad der Zeit und lassen uns ins Jahr 1975 in die Provinz Saigon verwehen, in die letzten Tage des Vietnamkriegs. Bereits die ersten Klänge der Ouvertüre ziehen einen sofort in den Bann. Dunst legt sich über die Bühne, man spürt die stehende Luft und das tropische Klima Vietnams wahrhaftig. Es herrscht reges Treiben auf den Straßen Saigons. Das Leben wird unterbrochen durch Bombenangriffe. Starke Soundeffekte, echtwirkendes Spiel. Und auf einmal ist nichts mehr so, wie es mal war.

Die zwei Protagonist*innen /// Johann Persson (c)

Die 17-Jährige Kim verliert alles und sieht ihren letzten Ausweg in der Prostitution. Der Soldat Chris ist von Kims Schüchternheit in den Bann gezogen. Sie gestehen nach einer gemeinsamen Nacht ihre Liebe zueinander und Chris fasst den Entschluss, Kim aus diesem unwürdigen Leben in Vietnam zu befreien. Doch die Lage spitzt sich zu, Chris muss ohne Kim mittels einer Hubschrauberevakuation fliehen – ja! Ein echter Hubschrauber. Doch auch noch drei Jahre nach der qualvollen Trennung können sie einander nicht vergessen. Das gemeinsame Kind, von dem Chris nichts ahnt, wird zum Wendepunkt und (Spoiler-Alarm!) zum tragischen Finale.

Give me more Orchesterpower!

Die große Stilfülle von Schönbergs Musik ruft große Emotionen hervor – inklusive mehr als nur einem Gänsehautmoment. Dennoch wäre es wünschenswert, seine Klänge von einem größeren Orchester zu hören. Totie Driver (Produktionsdesign) versteht ihr Handwerk: Das Bühnendesign verschafft eindrucksvolle Bilder, die uns zufolge der jüngsten Ereignisse in Europa noch viel mehr in Nachdenken versetzen.

Ein Helikopter auf der Bühne /// Johann Persson (c)

Der eben angesprochene Hubschrauber ist zwar beeindruckend aufwendig, für die Story aber keineswegs notwendig. Die Geschichte ist so echt und unmaskiert, dass sie solcher aufwendigen Spezialeffekte gar nicht bedarf. Das Stück lebt von der Atmosphäre, die ein hochgradiges Ensemble bildet und die Protagonist*innen erst so richtig zum Glänzen bringt. Die 23-Jährige Vanessa Heinz schlüpft in die beinahe allzeit präsente Rolle der Kim. Eine sehr fordernde noch dazu, sie wandelt sich vom naiven Mädchen hin zu einer starken Frau, die nur der Liebe wegen am Leben bleibt. Heinz überzeugt sowohl gesanglich als auch darstellerisch, sodass zum tragischen Ende so manche Augen nicht trocken bleiben.

Doch ihre Kollegen*innen geben Konter: Publikumsliebling Oedo Kuipers als GI Chris beeindruckt mit äußerst realem Spiel, trotz der wenigen Auftritte. Ebenso top-besetzt sind die Rollen von John, Chris‘ Kollege und Freund, mit Gino Emnes, der mit Bui Doi große Gefühle vermittelt, sowie Annemarie Lauretta als einerseits starke, aber innerlich an ihrem Schicksal zerbrechende Prostituierte Gigi. Sehr präsent ist die Rolle des Engineers (Christian Rey Marbella). Leider konnte dieser nicht ganz mit seinem Akzent überzeugen. Positive Überraschung des Abends ist James Park. Er verkörpert Thuy, Kims Cousin, dem sie schon als Kind versprochen wurde. Mit seinem klassischen Gesang setzt er sich gut ab von den anderen, trotz der undankbaren Rolle.

Würdevolle Einweihung des neu renovierten Raimund Theaters

Casting Director Dominik Penner und sein Team haben jede einzelne Rolle mit viel Feingefühl besetzt: Das aufwendige Casten hat sich ausgezahlt (in 4 Ländern wurden fast 1.800 Menschen angehört). Christian Struppeck, Intendant und selbst Theatermacher, zeigt mit dieser Inszenierung, dass es sich lohnt, groß zu träumen. Wien sichert sich mit diesem Ausnahmestück weiterhin seinen Platz in der internationalen Musicalwelt. Hoffentlich ist dies Grund dafür, in Zukunft mehr geschichtsträchtige Stücke mit Tiefgrund zu zeigen. SO muss Musical, und nicht anders.

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