In einem leeren Haus, da spukt’s

Ein Jahr nach Pandemiebeginn besuche ich das TAG und unterhalte mich mit Gernot Plass und Georg Schubert über weggeworfene Drucksorten, Netztheater und die Abwesenheit von Publikum.

Ausnahmsweise wird mir heute eine Tür geöffnet, die für die meisten bereits seit vielen Monaten verschlossen ist. Ich betrete das Foyer des Theaters in der Gumpendorferstraße. Auf dem Weg zur Bühne im Tiefgeschoss, wo heute „Ich, Galileo“ geprobt wird, schaut es ein bisschen aus, wie auf der Sperrmüllsammelstelle. Denn auch im TAG wird die freie Zeit dazu genutzt, um mal das Haus aufzuräumen und die Kleiderschränke auszumisten. Was man eben so macht, im Lockdown.

Drei fertige Produktionen warten auf dem Abstellgleis auf ihre Premiere

Proben dürfen auch stattfinden, momentan zumindest. Für das Monodrama „Ich, Galileo“ muss praktischerweise nur einer auf die Bühne: Georg Schubert. Und der spielt, mit kaum mehr als einem Sessel und einer Truhe als Requisiten, die ersten Szenen des Stücks. Vor Gernot Plass, der Regie führt, Alexandra Burgstaller (Ausstattung), und heute eben auch vor mir. Eine ganz normale Probe eigentlich. Nur, dass alle wissen, dass die Premiere im April nicht stattfinden wird. Nach einem Jahr Pandemie ist man im TAG wie auch anderswo diesbezüglich schon leidgeprüft. Schauspieler:innen, Technik, Administration, Publikumsdienst, alle sind in Kurzarbeit. Während das Team zunächst noch aus der eigenen Tasche des Hauses bezahlt werden konnte, versiegte die Liquidität ohne die Einnahmen durch den Ticketverkauf schnell. Bereits drei Produktionen sind fertig geprobt und gelangten nie zur Aufführung. Jetzt warten sie wie am Abstellgleis auf ihre Premieren.

Gernot Plass: Im Jänner gab es ja tatsächlich einen festgelegten Öffnungstermin. Das war von uns vielleicht auch naiv daran zu glauben, aber wir haben darauf hin geplant. Es wurden sogar Drucksorten gedruckt. Die haben wir dann ins Altpapier geschmissen. Vor kurzem hatten wir auch eine große Produktion mit Susanne Lietzow, da hat das Haus gebrummt: Regieteam, Technik, Licht, vier Schauspieler auf der Bühne, alle waren da. Dann kam es zur Generalprobe, alles war super, es war ein toller Abend und am nächsten Tag – war keine Premiere. Sondern es pfiff hier der kalte Wind durch. Das hat natürlich viele Leute frustriert.

Zu Beginn der Pandemie ging es dem TAG noch ein wenig anders. Da waren zwar alle zuhause eingesperrt, nichtwissend, wann wieder Theater stattfinden könne. Doch diese erste Orientierungsphase wurde auf vielfältige Weise genutzt, um das fortzuführen, was man zu tun gewohnt war. Es wurden Videos produziert, Hörspiele und jede Menge anderer digitaler Content erzeugt, um mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben. Georg Schubert empfand diese Versuche teils als sehr skurril.

Georg Schubert: Wir sind sehr glücklich, dass wir jetzt wieder proben dürfen, weil Theater wirklich von der Präsenz eines anderen Körpers lebt und der eigene Körper auch die Präsenz des Kollegen braucht, um sich selbst zu trainieren. Also home office ist für einen Schauspieler schwierig…

Hinter verschlossenen Türen wird im TAG geprobt. Georg Schubert (li.) als Galileo, Gernot Plass führt Regie. Foto: Mira Krall

Wir kennen und schätzen das Theater als eine Kunstform, die sich insbesondere durch ihre Ephemerität, also Ihre Flüchtigkeit sowie durch die Ko-Präsenz von Körpern in einem gemeinsamen physischen Raum auszeichnet. Diese Ko-Präsenz ist aktuell jedoch brandgefährlich und hinterlässt an den Orten, an denen sie für gewöhnlich zuhause ist, eine klaffende Lücke. Das Leben ist aus den Räumen verschwunden und man fühlt die Abwesenheit dessen, das einst dieses Leben erweckt hat. Es beginnt zu spuken.

„Wir brüllen durch leere Hallen”

Plass: Mittlerweile haben wir schon so lange geschlossen, dass der Kontakt zum Publikum immer unwirklicher wird. Normalerweise sieht man fast jeden Abend in der Woche Leute. Auch wenn der Saal nicht voll ist – es kommen Leute, die geben dir Feedback, die sagen, ob es ihnen gefallen hat oder nicht, oder sie gehen gleich; kurz: man hat Resonanz, man hat ein Gefühl, man kriegt Applaus und so weiter. Und mittlerweile ist das so: Wir proben hier, wir brüllen durch leere Hallen, aber auf der anderen Seite ist niemand. Schon seit einem halben Jahr nicht mehr und wahrscheinlich noch für weitere Monate. Und da beginnt man langsam so etwas gespenstisches zu spüren: Wo seid ihr alle? Gibt es euch da draußen noch? Ist da überhaupt noch ein Theaterpublikum?

Ja, das Publikum ist schon noch da, aber die Verbindung ist gewissermaßen gekappt. Außerdem brennen uns die Augen. Neben der Arbeit, die bei den meisten ohnehin nur noch am Computer passiert, finden seit einem Jahr auch Unterricht, Vorlesungen, Spieleabende mit Freund:innen und eben auch Theater fast ausschließlich am Bildschirm statt. Ich muss jetzt niemandem erklären, wie sich das anfühlt. Auch im TAG wurden Versuche gestartet, ganze Inszenierungen aufzuzeichnen und in einen Theaterfilm zu verpacken. Das Ergebnis sei dann, so Gernot Plass, eh „ganz schön und wunderbar“ geworden. Letztlich ist ein Theaterfilm dann aber doch nur die halbe Miete und Theater im Fernsehen ein bisschen „wie Fußball im Fernsehen“: Es kommt an das live-Erlebnis niemals heran.

Schubert: Was mit der Kultur gemeinsam unter den Tisch fällt, wird mir zu wenig öffentlich thematisiert: Es fällt die Lebendigkeit unter den Tisch, ebenso die Geselligkeit, die gesellschaftliche Reflexion, all das fällt mit unter den Tisch. Und da geht es mir als Bürger schlecht. Als Mensch weniger, denn ich erlebe einen fürsorglichen Sozialstaat, der sich kümmert, aber als Bürger mache ich mir Sorgen um all diese wesentlichen Dinge, die das Menschsein, für mich zumindest, ausmachen.

„Die Geselligkeit, und damit die Lebendigkeit, ist gefährlich geworden”

Plass: Wovon Theater lebt ist ja dieses fast magische miteinander atmen, miteinander fühlen, gleichzeitig etwas peinlich zu finden oder lustig zu finden oder gleichzeitig etwas tragisch zu finden, dieser gleiche Atem von vielen Leuten, all das hat eine spirituelle Kraft. Das ist, was der alte Aristoteles hier in unserer Kiste als Katharsis bezeichnet hat. Das englische Wort „live“ heißt ja nicht nur leben, sondern auch lebendig sein. Genau das kommt abhanden. Geselligkeit kommt abhanden. Denn die Geselligkeit ist gefährlich geworden. Die Lebendigkeit ist gefährlich geworden.

Georg Schubert wartet sehnsüchtig auf Publikum. Auch der alte Aristoteles muss fürs erste in der Kiste bleiben.             Foto: Mira Krall

Georg Schubert wartet sehnsüchtig auf Publikum. Auch der alte Aristoteles muss fürs erste in der Kiste bleiben. Foto: Mira Krall

Aristoteles muss wohl auf unbestimmte Zeit weiterhin in der Truhe verharren und dort auf die Rückkehr der dionysischen Kräfte, auf den gemeinsamen Rausch, die Ekstase und die Lebendigkeit warten. So wie wir. Dürfen die Freund:innen des TAG zumindest auf ein baldiges Wiedersehen unter freiem Himmel bei lauen Temperaturen hoffen?

„Die Kraft unserer Produktionen ist die Kraft unseres Ensembles”

Plass: Wir würden das Produktionsangebot im Sommer auch auf irgendeinem Brettl präsentieren. Das können wir als TAG sehr gut, denn wir sind ein Schauspieler- und Ensembletheater. Bei uns ist der virtuose Schauspieler im Mittelpunkt und es braucht ansonsten nicht viel Technik. Die Kraft unserer Produktionen ist die Kraft des Ensembles. Wenn die spielen, dann können sie das tun, wo sie wollen. Von mir aus auch vor dem Flakturm. Da reicht eine Truhe, so wie die hier, und das Magische entsteht. Daran glaube ich.

Und zum Abschluss ein Shout-Out an das Publikum.

Schubert: Haltet durch! Wir vermissen euch schmerzlich!

 

Gernot Plass, geboren 1966 in Wien, ist Schauspieler, Autor, Regisseur, Musiker und Komponist. Er ist Gründungsmitglied des TAG und seit der Spielzeit 2013/14 dessen künstlerischer Leiter.

Georg Schubert, geboren in Salzburg, ist Schauspieler, Improvisationskünstler und Sänger. Auch er ist Gründungsmitglied des TAG und seit der Spielzeit 2014/14 fixes Ensemblemitglied. 

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