Schubert auf dem Naschmarkt

Die unglaubliche Geschichte, wie ein ahnungsloser Tourist in den 90-ern Schuberts verschollene C-Dur-Messe auf dem Naschmarkt für 270 Schilling kaufte.

Foto: Alexandra Timofeeva, Ian Peezick/Wikimedia

Foto: Alexandra Timofeeva, Ian Peezick/Wikimedia

Gemütliches Treiben an einem grauen Samstag 1996 auf dem Naschmarkt. Vielleicht sind die Preise auf dem Flohmarkt schon damals etwas aus dem Ruder geraten. Die 270 Schlei (30€) die der spießige Deutsche (mein Gott, der Hut...) für ein Bündel altes Papier ausgibt, sind aber eine Lächerlichkeit: Auf den vergilbten Seiten werden Experten ein paar Wochen später Schuberts geübt-elegante Notenhandschrift identifizieren. Was Ernst Pattas aus Erfstadt bei Köln auf dem Naschmarkt fand ist tatsächlich ein verlorenes Spätwerk des pummeligen Genies, die zuvor nie aufgeführte Messe in C-Dur.

Guad, jetzt kaufma sich a Bier damit…

Aus der äußerst sehenswerten WDR-Doku über den Fund erfährst du ab Minute drei, wie die Entrümpelungsfirma Räumungsmax auf einem Dachboden unweit von Schuberts Sterbehaus eine Kiste mit doppeltem Boden und darin das Manuskript findet, welches dann zu einem Trödler gelangt. Der Typ mit Wampe und Strickpulli ist natürlich ein Original, „Guad, jetzt kaufma sich a Bier damit“ ist seine Reaktion auf den Verkauf. Mit etwas mehr Expertise hätte es auch für eine Villa gereicht...

Ab 14:30‘ kannst du dann der sensationellen Uraufführung in der vollgepackten (das gab’s auch mal...) Basilika St. Maria in Köln beiwohnen, ein wahrlich historischer Moment. Das spürte auch das erregt applaudierende Publikum; wer kann schon von sich behaupten, bei der Uraufführung eines bedeutenden Werkes der Romantik dabei gewesen zu sein?

Amnerkung: Leider kann man das Video dieses Mal nur direkt auf YouTube ansehen, lohnt sich aber!

Na, bist du auch reingefallen? Das taten die allermeisten. Diese am 1. April 1997 im WDR gesendete Sensation war ein Aprilscherz, vielleicht der Aufwendigste aller Zeiten. Geschrieben hat die Messe Ulrich Harbecke, WDR-Redakteur und Multitalent. Und zwar wegen einer Wette, ob es heutzutage noch möglich wäre, mit einem romantischen Stück in Dur und Moll Menschen zu bewegen.

Ein spätes Bekenntnis Schuberts zur katholischen Kirche?

Harbecke, der Kunst, sowie Musik- und Theaterwissenschaft studierte nahm sich Urlaub und schrieb das Stück ohne jegliche Kompositionserfahrung und nicht primär nach schubertschem Vorbild (deshalb musste er bei 10:07‘ erklären, warum „Et in unam sanctam catholicam“ in der Messe vorkam, der kirchenkritische Schubert ließ den Satz weg). Die Messe wurde in einer kleinen Kirche aufgeführt, am nächsten Morgen klingelte bei Harbecke eine fremde Frau mit einem Blumenstrauß, die Wette war gewonnen.

Als Harbecke wenig später mit dem WDR-Direktor in dessen Dienstwagen unter Smalltalkzwang die Story erzählte, kam dieser auf die Idee am ersten April des kommenden Schubertjahres die Massen zu veräppeln. Harbecke bekam also einen hochgeheimen Auftrag; nur die Leiter von Chor und Orchester wussten Bescheid, alle anderen Beteiligten und die halbe Bundesrepublik vor dem Fernseher waren ahnungslos. In Tübingen planten Musikwissenschaftler schon auf Hochtouren die Aufnahme in die Neue Schubert-Ausgabe. Der begnadete Erzähler Harbecke berichtet, ein älterer Mann in einer Probe hätte das Et Resurrexit auf seinem Sterbebett zu hören gewünscht.

„Diese vier Takte aus dem Et Resurrexit, die möchte ich auf meinem Sterbebett hören!”

Erst am nächsten Morgen wurde die Sache aufgedeckt, bis dahin gab es nur ein-zwei Anrufer, die nach einem Bruckner-Klavierkonzert oder der nach den letzten Sätzen der Unvollendeten fragten. Ein paar reingelegte Chormitglieder zerrissen die Partitur aus Wut, doch die Strichliste der Redaktion ergab, dass 95% der Reaktionen nach der Enthüllung positiv waren. In Österreich würden manche sagen, das sei deutscher Humor: Irrsinniger Aufwand für einen unspektakulären Aha-Moment der Besserwisserei. Wenn man aber etwas über unsere Hörgewohnheiten und den Umgang mit großen Namen der Musikgeschichte reflektiert, hat sich das Experiment schon gelohnt. Dass dabei auch noch ein beeindruckendes neues Werk heraussprang, das mittlerweile in verschiedensten Ländern mit Erfolg aufgeführt wurde, ist auch nicht zu verachten. Also: Chapeau, Harbecke!

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