Worte - Sie sind alles, was wir jetzt haben

TAUSEND WEGE – Ein Telefonat: Das Volkstheater und 600 Highwaymen präsentieren ein Telefontheater für zwei Personen, das dem Potenzial des Formats letztlich nicht gerecht werden kann.

Foto: Ulrike Schild/Volkstheater

Foto: Ulrike Schild/Volkstheater

Die vielleicht beste Nachricht zuerst: Für das pandemietaugliche Theatererlebnis TAUSEND WEGE – ein Telefonat muss man nicht auf einen Bildschirm starren. Es reicht ein Telefon; sogar eines, das nicht smart ist. Man wählt einfach zum gebuchten Zeitpunkt eine Nummer und schon kann es los gehen, das Gesprächstheater, zwischen mir, der fremden Person am anderen Ende der Leitung und der mechanischen Tonbandstimme, die das Ganze anleitet.

Tonbandstimme als mürrischer Moderator

Für die nächsten sechzig Minuten sind wir Person A und Person B und erfahren allerhand Details von einander, unsere Namen gehören jedoch nicht dazu. Die Stimme richtet abwechselnd Fragen und kleinere Aufgaben an uns, lässt uns etwa bestimmte Gegenstände im Raum, unsere Sitzpositionen oder den Ausblick beschreiben. Zunächst sind die Erkenntnisse noch recht unpersönlich. Doch mit jedem Wort setzt sich ein Bild zusammen von dieser anderen Person, deren Stimme ich gerade höre. Ich erfahre, dass sie in Japan geboren wurde, gerne tanzt, aber niemals betet, dass ihre Eltern noch leben und dass wir beide die schlechte Angewohnheit haben, bei Nervosität an der Haut unserer Nagelbetten zu kratzen. Diese Gemeinsamkeit bringt uns kurz zum Lachen.

Doch sogleich unterbricht uns die Tonbandstimme, für weitere Ausführungen bleibt keine Zeit. Wir sollen uns vorstellen, wir hätten mit unserem blauen PKW eine Panne in der Wüste. Warum? Keine Ahnung. Aber dieses Narrativ kehrt immer wieder zurück und wird gleichermaßen unvermittelt wieder fallen gelassen. Beschreibe jetzt lieber ein Foto aus deiner Kindheit. Dann eine:n ehemalige:n Mitschüler:in. Und eine Person, die dir gezeigt hat, wer du bist. Und dann noch deine Vorfahren. Na gut.

Wie ein schlecht übersetzter Popsong

„Irgendwann werden wir uns an diesen Moment zurückerinnern und lachen“, so das Tonband, und es klingt, als würde es einen schlecht übersetzten Popsong zitieren. Hier, mitten in der Wüste, aus der Motorhaube des blauen Autos dringt Qualm und im Radio dudelt der Reckoning Song. Zumindest in meiner Fantasie. Warum, weiß ich immer noch nicht. Die Stimme spricht auch davon, dass dies eine Möglichkeit sei, einander zu begegnen. Und dass Worte alles seien, was wir jetzt haben. Oder hätten, wenn sie uns ausreden ließe.

TAUSEND WEGE – ein Telefonat ist die deutschsprachige Erstaufführung einer Produktion des New Yorker Theaterkollektivs 600 Highwaymen. Es ist als Experiment gedacht, als Experiment zwischen zwei Unbekannten, das „in Zeiten der Isolation und Distanz Begegnungen ermöglichen“ soll. Und zu einem gewissen Grad tut es das auch. Aber zu einem noch größeren steht es dieser Begegnung leider im Wege.

Wenn nur dieses depperte kaputte Auto in der Wüste nicht ständig vorkäme…

Am Ende bleibt mir das Kindheitsfoto einer fremden Frau im Kopf: Sie ist noch ein Baby, vielleicht sechs Monate alt. Ihre Mutter hat dunkle, kurz geschnittene Haare und hält das Mädchen mit ausgestreckten Armen über sich. Die beiden blicken sich and und strahlen um die Wette. Ich weiß nicht, wie das Foto tatsächlich aussieht, nur, wie ich es anhand der Beschreibung gestaltet habe. Gerne hätte ich mehr erfahren, doch wir mussten uns um das kaputte Auto kümmern. Die einzelnen, starken Momente des Abends sind der Qualität der Schilderungen meiner Gesprächspartnerin zu verdanken. Die Dramaturgie der Anleitung jedoch lässt mich ziemlich ratlos zurück.

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