The Leipzig Years — Kapitel 2 und 3

Mit jedem Schritt ins Dunkle, mit jeder Zigarette, frisst die Wahrheit den Kern der Sterne und wir tanzen weiter wie Motten ums Licht. Emil Bodmers Roman Debüt “The Leipzig Years” jetzt Exklusiv jeden 2. Sonntag als Fortsetzungsroman bei Bohema.

  • Was bisher geschah: Der Ich-Erzähler verbringt viel Zeit mit seinem Freund Dirk in der „Kutter“-Wohnung, einer Mischung aus Nostalgie und Chaos. Sie flüchten vor den drängenden Fragen des Lebens, wie dem Studium oder der Zukunft, und leben in einer Art fortgesetztem Jugendzustand, der von Bier, Playstation und Gesprächen über das Leben geprägt ist. Dirk ist ein talentierter Künstler, der wohl von seiner Kunst leben könnte, während der Erzähler sich in seinen eigenen Unsicherheiten verliert. Der Kutter bietet einen Ort der Unbeschwertheit, an dem sie ihre Sorgen verdrängen, bis der Ich-Erzähler sich schließlich in einer Kneipe im Leipziger Westen wiederfindet, allein und betrunken, und mit der Leere konfrontiert wird, die er zu vermeiden sucht. Das Kapitel endet, als er in der Kneipe, nach einigen unangenehmen Begegnungen, endgültig entscheidet, nach Hause zu gehen, um die Leere in seinem Zimmer zu ertragen.

ZWEI

 Dirk und ich haben uns zum Frühstücken (14 Uhr) bei “Brothers”, einem kleinen Bistro an der Eisenbahnstraße getroffen. Kleines Bistro. Das ist eine maßlose Untertreibung und wird dem Laden nicht im Ansatz gerecht. Bei “Brothers” hängt das Who is Who des Leipziger Ostens ab. Für die Erstis ist daran vorbeizulaufen, der Sehen-und-gesehen-werden-Catwalk, für uns, die wir mittlerweile die Schattenseiten der Leipzig Ost Eingepferchtheit kennen, bedeutet das Brothers, einen Kapuze-ins-Gesicht-Spießrutenlauf. Aber hilft alles nichts, für ein billiges Frühstück muss man da durch. Am Tisch hinter mir sitzt meine ehemalige Kollegin Aisha, DJ Hackfleisch holt sich grade was zu essen, Frühstück Nr.3, Menemen, genau wie ich, das nehme ich immer, Dirk immer Pide, mit Feta.

‘’Wie war dein Date, Dirkl?’’

‘’Nett wars! Waren lange spazieren und sie hat erzählt, dass sie eine ganz krasse Obsession mit Elektropunk hat, was ich natürlich gut fand. Ich kann übrigens immer noch nicht verstehen, dass du den nicht gut findest. Naja, die Anna und ich, wir haben dann auch rumgeknutscht bei der Straßenbahnstation, dann kam die Straßenbahn und lauter Leute sind ausgestiegen. Wir haben dann aufgehört rumzuknutschen und sie ist heim. Aber das war in Ordnung und ich bin echt glücklich über den Abend.”

Ich habe Dirk mal gesagt, ich mag keinen Elektropunk, dabei wusste ich einfach nicht ganz genau, was das ist. Das ist jetzt zur Realität geworden, in der wir leben. Eine kleine Lüge. Makes you think, huh?

‘’ Das klingt echt in Ordnung, Mann. Das klingt sogar gut. Das freut mich.’’

‘’Wie war dein Abend noch?’’

‘’War dann doch noch in der Kneipe, hatte nicht so Lust auf zuhause, hab wieder über Hanna nachgedacht.’’

‘’Ach Digga, eigentlich hätte ich nicht fragen müssen, ich kenn dich doch’’

‘’Hm, ja. Vielleicht red ich nochmal mit ihr, irgendwie sind…kratakatakatakkkkkkatak….. wir nicht so gut auseinander gegangen beim letzten Mal. Ich weiß nicht, ich glaub wenn ich da paar Sachen nochmal richtig stell, dann…’’

Die Straßenbahnen an der Eisi sind unsagbar laut, unterbrechen jedes Gespräch.

‘’Emil. Die Frau hat dir gesagt wies ist. Nicht nur einmal. Ich glaub nicht, dass da nochmal reden was bringt. Sorry, du willst das sicher grad nicht hören, Kater, schlecht drauf undso, aber lügen kann ich ja auch nicht, das verstehst du sicher.’’
‘’Ja…’’ sage ich, ‘’Du hast doch keine Ahnung Dirk, du warst nie dabei, du weißt nicht was ich für sie fühle, was sie für mich fühlt, wie besonders das alles ist’’ denke ich.

‘’Anderes Thema, Mann. Ich hab echt nicht so Bock auf heute Abend. Schon wieder nur bei Max und …krakkktakatatakkk...Pablo in der Bude rumhocken, alle ballern Keta, das wird scheiße ich sags dir, das war die letzten sechs mal schon scheiße.’’

An der Eisi fahren drei verschiedene Linien in, selbstverständlich, zwei verschiedene Richtungen.

‘’Ja Dirkl, da hast du recht.’’ sag ich, ‘’Alter Dirk lass mich jetzt nicht hängen, Hanna ist da, ist mir egal obs scheiße wird, ich muss da hin.’’, denke ich.

‘’Ey Dirk. Wir machens uns schon gut, Du, Lou, Kaja, Salma, Stan, ich. Vielleicht kommen Malte und Jasmin, digga das wird super.’’

‘’Malte und Jasmin sind in Rostock.’’

‘’Egal, Digga, das wird super. Ich hol mir noch n Kaffee, magst du irgendwas?’’

‘’Ne”, ....krakkktakkatakk...... “danke Mann.’’

Eigentlich weiß ich, dass Dirk recht hat, eigentlich weiß ich genau, was mich heute Abend zu erwarten hat: Ich werd mich viel zu sehr betrinken.. Das hat vier ganz einfache Gründe.

Elena Debachinsky © für Bohema

Grund 1

Eigentlich mag ich große Menschenansammlungen nicht. Ich kann das Überdenken nicht abstellen, fühl mich dauernd beobachtet, hinterfrage die ganze Zeit, ob ich mich vielleicht gerade komisch verhalte.

Also, Alkohol.

Grund

Die Leute bei Max und Pablo kenne ich schon seit Jahren, teils von der Schule noch. Früher war ich im Zentrum dieses Kreises, kannte jedes Geheimnis, war im engsten Zirkel, war in jedem Zirkel, der sich so auftat. Ich weiß, das klingt komisch, wegen dem ganzen ‘’ich fühl mich nicht so wohl in großen Gruppen’’, ich kann halt aber auch nicht ohne große Gruppen. Das Leben ist nicht so schwarz und weiß, wie es Filme und Bücher sind.

 Jetzt hören alle Techno, machen alle Techno, ziehen alle Keta, reden alle nicht mehr miteinander, sondern liegen nur rum oder tanzen wie wild und es ist der perfekte Abend für die. Ich will irgendwie nicht akzeptieren, da nicht mehr so richtig dazuzugehören, will irgendwie nicht akzeptieren, nicht Teil dieses TechnoKetaLiebeModus zu sein. Ich muss doch auch irgendwie auf deren Film kommen, muss das doch irgendwie kompensieren können.

Also, Alkohol.

Grund 3

Ich will mit Hanna quatschen, will mich einfach noch einmal erklären, noch einmal die richtigen Worte finden. Ich trau mich nicht, ich muss den perfekten Moment abwarten, bis dahin trink ich mir Mut an. Besser reden kann ich sowieso, wenn ich einen im Tee hab, dann,wie schon bei Grund 1 erwähnt,  überdenk ich nicht so.

Also, Alkohol.

Grund 4

Ich hab totalen Scheiß erzählt. Ich hab mich komplett lächerlich gemacht, überhaupt nicht die Worte für das gefunden was ich eigentlich sagen wollte, war ein peinlicher verliebter, verzweifelter Vollidiot. Als ob das noch nicht genug war, habe ich, obwohl ich gemerkt habe, dass das Gespräch absolut nicht so läuft, wie ich es mir gewünscht habe, versucht Hanna zu küssen, einfach, um doch noch einen versöhnlichen Abschluss zu finden. Was für ein übergriffiges Drecksverhalten.

Vollidiot, Vollidiot, Vollidiot.

Also, Alkohol.

Aber auch, wenn ich eigentlich weiß, was mich erwartet, es ist mir egal. Nichts ist mehr wie eigentlich, alles kann passieren, alles ist anders.

Nachdem ich meinen Kaffee getrunken habe ( leider macht er mich nicht wach, sondern löst kalten Schweiß und Unwohlsein aus), brechen wir auf, um uns beim Konsum für den Tag einzudecken. Die Stimmung ist schlecht, Dirk erzählt, dass er drei Bewerbungen geschrieben hat (''Ne, nicht auf Ausbildungen, ich kann mich jetzt nicht so binden, nur auf Nebenjobs.’’). Antworten hat er leider keine gekriegt. Er redet davon, dass wir uns morgen mal gemeinsam seinen Lebenslauf anschauen sollten, weil doch da irgendwas nicht stimmen kann (was ich wahrscheinlich nicht ändern kann), ich nicke und dann stehen wir an der Kasse. Ich habe zwei Flaschen Sekt, Halbtrocken, die trinkt man wegen diesem Lied von MC Nazi (grauenvoller Name, der es rechtfertigt den Typen nicht zu hören), Dirk hat ein Baguette und Dip, das Essen für jene die nicht mehr lange haben, in der Welt in der feste Nahrung noch einen Wert hat. Zwei Personen vor uns in der Schlange, steht Tom, bewaffnet mit einem Bier, einem Brot und einem Weichkäse. Als er dran kommt, legt er zuerst nur das Bier und das Brot hin, hält den Käse zurück. Er bezahlt, fragt nach dem Preis für den Käse, schaut auf die Münzen in seiner Hand und schüttelt den Kopf. Die Kassierin legt den Käse zur Seite, Tom verlässt den Laden. Ich fasse es nicht. Wieso scheißt sie nicht drauf? Warum gibt sie ihm den Käse nicht einfach, sie kennt doch Tom? Wieso nimmt der Scheißtyp hinter Tom nicht seine Airpods aus den Ohren und bezahlt den Käse? Ich will keine Szene machen, will mich nicht heldenhaft in den Mittelpunkt stellen und von weit hinten ins Geschehen eingreifen, sondern entscheide mich dazu, den Käse zu bezahlen und Tom einfach gleich rauszubringen. Weit wird er schon nicht sein.

‘’Tom! Warte mal.’’

Tom dreht sich um, bleibt dabei auf seinen Rollstuhl aufgestützt und schaut mich fragend an.

‘’Du hast da drin was vergessen’’, mein ich.
Ich bilde mir ein, hinter Toms Bart ein leichtes Lächeln zu sehen, seine eingefallenen, müden Augen blicken in meine, das ist ein besonderer Moment, sich in die Augen blicken ist immer ein besonderer Moment, für diesen kurzen Augenblick, sind Toms Leben und meins, an der selben Stelle. Es ist, für diese eine Millisekunde, völlig egal, wie viel Leid wir durchgemacht haben, was in unserer Vergangenheit passiert ist, jetzt gerade stehen wir am selben Punkt. Dann sagt Tom ‘’Danke’’ ich sag ‘’Klar, kein Ding, schönen Abend dir noch’’, dann geht er wieder in sein Leben, ich geh in meins. ‘’Schönen Abend noch'', hab ich gesagt. Ich verdammter Heuchler. Ich weiß genau, dass es kein schöner Abend ist, wenn er sich jetzt mit seinem Bier und Brot und Käse an irgendeine Straßenecke setzen muss. Würde ich ihm WIRKLICH einen schönen Abend wünschen, dann hätte ich ihn jetzt umarmt, hätte gefragt, ob er noch was braucht, ob er sich bei mir zuhause was kochen will, ob er mit auf die Party möchte oder sonst was. Aber das hab ich nicht, ich bin nur ein Heuchler, ein verdammter kleiner Heuchler.

 

Dirk wartet vor dem Laden auf mich, er sieht mir an, dass der Tom-Vorfall meine Laune nicht gehoben hat und, und das liebe ich an Dirk, reicht mir die, schon geöffnete, Flasche Sekt. Kein großes Drama, kein großes drüber reden, wie schlecht die Welt ist oder, noch schlimmer, dass das ja jetzt gerade eine kleine gute Tat war. Ne der Dirk reicht mir einfach den Sekt, ich trink n dicken Schluck, er trinkt n dicken Schluck und das wars. Klar ich weiß schon, das ist nicht für alles ein probates Mittel, Probleme sind so auch nicht gelöst, aber eben just jenes Problem, das lässt sich nunmal auch nicht lösen indem wir uns jetzt für mehrere Stunden in Debatten über den Kapitalismus und globale Ungerechtigkeit verstricken.

Im Park leeren wir den Sekt, rauchen Mentholzigaretten und machen uns auf den Weg in den Kutter, wiederholen das Sektprozedere, gehen zu Gin Tonic über und schlagen irgendwann, viel zu früh und viel zu besoffen für viel zu früh bei Max und Pablo auf.

Elena Debachinsky © für Bohema

DREI 

Im Sommer, kurz bevor ich 19 wurde, haben wir im Haus seiner Eltern Lous Geburtstag gefeiert. So ne Häuser kannte ich eigentlich nur aus Filmen, aber jetzt war ich da, Haus am See, eigener Steg, Kühlschrank, der selber Eiswürfel machen konnte, so etwas eben.

Am Morgen nach der Party war ich, genau wie jetzt, verkatert.

Anders aber als jetzt, lag ich auf dem Steg, in der Sonne und nicht in meinem dunklen Zimmer, im ersten Stockwerk mit Nordfenster.

Ich war der Erste, der aufgewacht ist und hab mich runter gelegt, um mir nen Joint zu drehen. Als hätte ihn das Geräusch geweckt, kam mein Kumpel Phil Maler runter, legte sich neben mich und machte Mucke an. Ich weiß das noch ganz genau. Ich weiß zwar nicht, über was wir geredet haben oder ob wir überhaupt geredet haben, ich weiß aber noch ganz genau, dass er ‘’Across the universe’’ von den Beatles angemacht hat und ich das da zum ersten Mal gehört habe.

‘’Nothings gonna change my world, Nothings gonna change my world.’’

Ja man. Es soll für immer alles genauso bleiben wies ist.

Nicht mal ein Jahr danach waren wir mit der Schule fertig und alles wurde anders. Alle wollten wegziehen, wollten studieren. Alle waren in festen Händen, hatten Pläne für die Zukunft und ich hatte Angst und Depressionen, wusste nicht wohin mit mir, was ich jetzt vom Leben erwartete, wollte, außer eben, dass alles bleibt, wie es ist.

So ganz verkraftet hab ich das glaube ich immer noch nicht.

Ich mein, es ist nicht so, als hätte es keine Warnungen gegeben. Wie oft musste ich mir anhören: ‘’Die Schulzeit ist die beste Zeit des Lebens!’’. Wie oft habe ich mir dabei nur gedacht: ‘’Ach halts Maul.’’

Aber hey, nicht das in die Schule gehen, das war kacke, aber das auf etwas hinarbeiten was in erreichbarer Nähe scheint, das umgeben Sein von Leuten, die man liebt, das sich keine Sorgen, zumindest keine essentiellen, machen müssen, das alles, das kam schon sehr gut rein.

Die eigentliche Frage, dich ich mir stelle, ist, ob es wirklich daran liegt, ob es wirklich dieses Ende der sorglosen Jugend ist, die mich so unglücklich werden ließ, so ziellos, so antriebslos.

Wann ist das passiert, dass ich so unsicher anderen Personen gegenüber wurde, dass ich mir Emotionen mir gegenüber einbildete und darauf reagierte, anstatt einfach mal selber zu agieren. Die Depression, die mich in den Jahren nach der Schule ereilte, die ist natürlich nicht nur mit dem Ende der sorglosen Jugend zu begründen. Die hat schon auch etwas mit der Ziellosigkeit zu tun. Ob ich an der selber Schuld bin, oder ob die ein Produkt einer Welt ist, die aus den Fugen geraten scheint, das vermag ich nicht zu 100% beantworten.

 Ich meine, das ist schon schwer für einen Jungen von 20 Jahren, sich tagein, tagaus den Arsch in der Universität aufzureißen, wenn es jeden Abend in der Tagesschau heißt, dass alles den Bach runter geht. Klar schaffen das viele, aber die sind vielleicht einfach nicht so sensibel oder nicht eh schon depressiv, vielleicht sogar einfach nur dumm, ich weiß es nicht, ich wills ihnen ja auch nicht unterstellen, aber für mich ergibt das einfach recht wenig Sinn. Das ändert natürlich nichts daran, dass es sich ohne Ziel, ohne ein Vorbild im Leben für so einen Jungen der gerade aus der Schule herauskommt, der gerade das erste, große, kollektive Gesellschaftsziel abgeschlossen hat, relativ schwer auf etwas anderes fokussieren lässt, als die Kunst. Die der anderen, die gut ist und inspiriert, die träumen, weinen und lachen lässt. Die eigene, die so schlecht ist, dass sie eigentlich nur weinen lässt und auf das Biertrinken, den Hedonismus im allgemeinen, der dann anstelle der hohen Künste tritt, wenn die Kunst es allein nicht mehr schafft, die Leere zu füllen die die Abstinenz von Lebensziel erschafft. Und ich meine, daran ist ja nicht alles verkehrt. Während ich euch jetzt auf die schnelle 70 Lieder von Dylan nennen kann, oder meine Lieblingszitate von Remarque, kann wer anderes halt einen guten Beruf bekommen, stabile Beziehungen eingehen, ohne den Tanz auf Messers Schneide zwischen ''Ojemine, das wird mir aber zu eng’’ und ‘’Wieso liebst du mich, ist dir noch nicht aufgefallen was für ein Versager ich bin’’,  oder sich ohne Geld seiner Familie über Wasser halten, da muss man dann halt schauen, was mehr wert ist, das kommt ja auch immer auf die Perspektive an, oder etwa nicht?

Die ganze Misere lässt sich irgendwie aushalten, aber am liebsten nicht allein. Das ist der Grund, warum ich endlich wieder glücklich verliebt sein möchte. Und zwar in Hanna.

Warum sie?

Wenn man sich allein auf der Welt fühlt, dann fühlt man sich auch immer unverstanden. Wenn ihr die Welt alle so sehen würdet, wie ich es tue, dann wären wir eine verdammt (un)glückliche Gemeinschaft. Aber leider sieht die Welt niemand so und ich lieg deswegen morgens allein im Bett und Abends sowieso und hör dann ‘’I know its over’’ von den Smiths.

‘’If you’re so funny

  Then why are you on your own tonight?

  And if you’re so clever

  Then why are you on your own tonight?

  If you’re so very entertaining

  Then why are you on your own tonight?

  If you’re so very good-looking

  Why do you sleep alone tonight?

  I know…

  …’Cause tonight is just like any other night

  That’s why you’re on your own tonight

Elena Debachinsky © für Bohema

Noch nie hat mich ein Track so beleidigt wie dieser, aber Morrissey hat schon recht mit dem was er da singt. Tonight ist wirklich wie jedes andere Tonight, ob ich das will oder nicht.

So, aber warum denn nun ausgerechnet Hanna, wenn es doch einfach nicht zu passen scheint?

Das mag klischeehaft klingen, aber bei ihr hatte ich von Anfang an das Gefühl, sie wäre wie ich. Auch irgendwie hineingeworfen in eine Welt, die sie nicht verstand, eine Welt, die nicht auf sie gewartet hat und in die sie vielleicht gar nicht gewollt hätte, hätte man sie zuvor einmal danach gefragt. Hanna ist sensibel, so sensibel wie vielleicht niemand, den ich je zuvor kennengelernt habe, aber das zeigt sie selten, die Welt soll nichts von ihrer Verletzlichkeit wissen. Ich glaube, dass sie auch selber nichts von ihrer Verletzlichkeit wissen will, deswegen betäubt sie sich, betäubt sich mehr als es gut ist. Wie ich, genau wie ich. Hanna hat einen pointierten Humor, ist nie die lauteste, die dauernd Witze reißt, aber wenn, dann fetzen sie, und zwar auf mehreren Ebenen. Verdammt ich steh auf Humor, ich steh auf kluge Menschen, was soll ich machen.

Das ist aber nicht alles, warum ich unbedingt und ausschließlich Hanna wollte. Für vieles kann sie nicht mal was. So führt ihre Unfähigkeit sich zu binden, zum Beispiel dazu, dass ich nie Angst habe, meine eigene Unfähigkeit sich zu binden, müsste getriggert werden. Ich simuliere also eine Bindung ohne jegliche Form von Bindung. Das ist wirklich nicht in Ordnung, sollte bei gesunden Menschen eigentlich nicht der Fall sein, aber eigentlich ist ja sowieso gar nichts mehr, hatten wir ja schon thematisiert, noch dazu, gesund ist, um ehrlich zu sein, auch nichts mehr.

Ich zumindest nicht.

Ich habe mal zu meiner guten Freundin Salma gesagt, dass ich die Stadt verlassen werde, wenn das mit Hanna ein für alle mal vorbei ist.

Darin liegen zwei Offensichtlichkeiten:

  1. Ich messe Hanna einen viel zu hohen Wert in meinem Leben bei. Das ist eigentlich so offensichtlich, dass ich dazu so gut wie gar nichts schreiben muss. Keine einzelne Person sollte so viel Macht über mein Leben haben, um grundsätzliche Entscheidungen von ihr abhängig zu machen. Das ist natürlich auch das, was Salma mir geantwortet hat. Natürlich hat sie ja auch irgendwo recht, aber irgendwo auch nicht. Was, wenn nicht die Liebe, soll dir sagen, so jetzt schmeiß alles über den Haufen und starte komplett neu. Du würdest für die Liebe ja auch in eine neue Stadt ziehen, um sie leben zu lassen, warum also nicht um sie sterben zu lassen?

  2. Ich hasse die Stadt, in der ich lebe. Ich hasse ihren Dreck, ich hasse ihre Lautstärke, ich hasse ihre Subkulturen, all die Künstlichkeit, diese Uniformierung von Individualität. Ich bin die letzten Jahre in eine Komposition aus Fluchtgedanken, Verdrängung und Verzweiflung geraten und aus der muss ich es irgendwie wieder raus schaffen.

Das ist natürlich ein bisschen viel, um es auf einer Person abzuladen und es wirkt auch nicht ganz fair, zu versuchen, all meine Probleme mit Hanna zu kompensieren. Was soll ich sagen? Ich bin nunmal einfach verkorkst.

Letzten Endes, das darf man bei der ganzen Geschichte nicht vergessen, hat sie ja auch was für mich übrig. Sie hat mir oft genug gesagt, dass ich die einzige Person bin, bei der sie sich komplett verstanden fühlt. Allerdings hat sie mir auch oft genug gesagt, dass es das jetzt wirklich mit uns war. Fällt mir natürlich schwer einzusehen, wenn wir einmal im Monat rumknutschen, egal wie endgültig unser Ende im letzten Monat war.

 Gestern, auf der Party, da wirkte es auf jeden Fall noch ziemlich endgültig. So endgültig, dass ich nicht mal versucht habe, sie zu küssen. Ein kleiner Schritt in Richtung Besserung. In Richtung Abschied. Weil dabei bleibe ich, sorry Salma, wenn ich die Hoffnung verliere, dann verliert die Stadt mich. Was das dann bringen wird, wird die Zukunft zeigen. Allein dadurch, dass ich woanders unglücklich bin, ist noch nichts gewonnen. Der Ort mag vielleicht was ausmachen, ein neues Umfeld, niemand kennt einen, nicht alles erinnert einen an Hanna ( Dort erster Kuss, da Streit, da erstes ich Liebe dich, da letzter (?) Kuss), aber alles lindern, das wird der neue Ort nicht, das muss schon aus einem selber herauskommen. Was die Zufriedenheit, das Glücklichsein betrifft, da kann man wirklich nichts finden, was nicht irgendwo schon in einem ruht. Ich glaub nur einfach, dass meine Chancen, es woanders zu finden, höher sind als hier. Vorausgesetzt, Hanna sagt wirklich unwiderruflich Adieu. Sonst ist ja hier wirklich alles, aber auch alles in Ordnung.

Habe ich gesagt, ich hasse die Stadt? So ein Blödsinn!

Elena Debachinsky © für Bohema

Der Roman “The Leipzig Years” ist das geistige Eigentum von Nils Kaiser kaiser.nils1@web.de

Der Nächste Teil erscheint am 15 Dezember 2024

Lektorat Yannik Barth

Collage: In diesen Kapiteln ändert sich der Stil der Collagen: die Farben, die Kombinationen werden einheitlicher, weicher, blauer. Das ändert sich mit der Einführung der neuen Figur Hanna, die unter anderem die Gefühle von Liebe und Nostalgie in die Erzählung einbringt.

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