The Substance – Selbsthass auf vier Beinen

The Substance bietet eine Demi Moore in Höchstform und genug Body Horror für den Rest des Jahres

© Polyfilm

Einst war Elizabeth Sparkle (Demi Moore) ein gefeierter Hollywood-Star. Doch diese Zeiten sind längst vorbei - mittlerweile bleibt die alternde Diva lediglich wegen ihrer Aerobic-Show im Gespräch. Zumindest, bis Produzent Harvey (herrlich widerlich: Dennis Quaid) sie aufgrund ihres Alters feuert. Da wird ihr eine vielversprechende Lösung angeboten: Das unbekannte Medikament „The Substance“ erlaubt ihr die Schaffung eines perfekten, jüngeren Ichs, mit dem sie fortan ihr Leben teilen möge. Alle 7 Tage wird unmissverständlich der Körper gewechselt. Soweit das Regelwerk. Doch mit der Zeit beginnt die sich Sue nennende, jüngere Version (Margaret Qualley) mehr zu wollen, wodurch das Gleichgewicht aus seinen Fugen gerät.

Coralie Fargeats The Substance ist wahrlich nichts für Zartbesaitete. Was als bitterböse Satire auf Hollywood-Schönheitswahn und die Fixierung auf junge, schöne Frauen beginnt („Pretty Girls should always smile“), verwandelt sich sehr bald schon in ein Body-Horror-Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. Bei der „Geburtszene“ von Sue krümmt sich Elizabeth unter Schmerzen, ihr der Rücken reißt auf und gibt den Kokon frei. 
Es ist grotesk, es ist widerlich, und dabei genau richtig.

Bei der „Geburtszene“ soll das Obszöne aber nicht bleiben. Es werden jede Menge Make-Up und Prothesen verwendet, in die Demi Moore schlüpft. 6 – beinahe 10 Stunden lang musste sie dazu in der Maske verbringen. Mit zunehmenden Filmverlauf wird es blutiger, bis zu einem wortwörtlichen Blutbad, mit welchem der Film sich spätestens seine B-Movie-Anleihen aufzeigt. Einzig von der Laufzeit könnte der Film etwas getrimmt werden, und ein paar Szenen könnten kürzer erzählt werden, ohne dem Film aber etwas zu nehmen.

Schrecklich schöne Bilder

Neben den Schauspieler*innen sind die technischen Aspekte die heimlichen Stars des Films: Die Kamera fängt die Einsamkeit von Elizabeth schön ein. Der Erfolg von Sue wird durch Close-Ups auf ihre vollen Lippen oder ihren Arsch dargestellt – der Male Gaze (männliche Blick) wird hier eindrucksvoll zur Schau gestellt, und zeigt zudem, dass Werbung und Kino ihn allgegenwärtig einsetzen: Denn genau diese sinnlichen Close-Ups werden auch tatsächlich von der Kamera eingefangen und über die Bildschirme ausgestrahlt.

Apropos Arsch: Die grotesken Body-Horror-Szenerien und „Fresscidents“ werden durch eine Lunch-Szene vorangekündigt, in der Dennis Quaids Harvey (sehr unsubtil verweist der Film mit dem Namen auf den verurteilten Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein) im Close-Up Schrimps auf die wohl grauslichste Art und Weise isst. Die Szene wird dabei vor allem von der Tonebene getragen, indem auf das Crunchen der Schalen fokussiert wird, und es als einem ekelerregendes Fressfest erscheinen lässt. Währenddessen erklärt er der verstörten Elisabeth, dass Frauen ab 50 eben nicht mehr schön und gut seien. Auf eine Rückfrage ihrerseits, welche seinen Bullshit konfrontiert, ergreift er die Flucht.


Des Weiteren erzählen Kamera und ein unsichtbarer Schnitt in der Eröffnungsszene des Films den Fall von Elizabeth als Hollywood-Ikone zu einer vergessenen Berühmtheit durch ihren Stern am Walk of Fame, der über die Jahre mehr und mehr verkommt, und am Ende sogar gebrochen als Fußabtreter dient.

Was hat Demi Moore so lange gemacht?

Demi Moore ist eine Filmikone der 90er Jahre. Nur ist es – neben ihrer beendeten Ehe mit Ashton Kutcher – in den letzten 20 Jahren etwa ruhig um sie geworden. 2008 meinte sie, dass es wegen ihres jugendlichen Aussehens schwieriger geworden wäre, Filmangebote zu bekommen. Gleichzeitig leugnete sie auch anno 2009, sich je einer Schönheits-OP unterzogen zu haben. Ihre letzte Hauptrolle in einem größeren Film war in dem US-Remake zu LOL mit Miley Cyrus in 2012. Ja, es kann tatsächlich eine Parallele zu Ihrer Filmfigur gezogen werden.

Dass sie jetzt mit diesem Horrorfilm ein Comeback wagt, ist ein Grund zum Feiern. Vor allem, da sie wohl eine der besten Performances ihrer Karriere hinlegt. Das zeigt sich vor allem in einer Szene, in der sie sich zum Ausgehen fertig macht, und doch immer wieder ins Badezimmer zurückkehrt, das sie mit dem Bildnis ihres jüngeren Ichs ständig konfrontiert wird. Eine Szene völlig ohne Dialog, nur durch Gestik, Mimik und Bildsprache erzählt.

Die Szene ist eine zentrale Stelle des Films, zeigt sie doch den Bruch und die Besessenheit der Hauptfigur mit sich selbst. „Du musst deinen Selbsthass nicht auf andere projizieren“ sangen schon einst die Ärzte. Der Film scheint diese Zeilen etwas wörtlicher genommen zu haben, denn es beginnt ein richtiger Hass der Beiden Ichs aufeinander, obwohl sie – wie im Film öfter erwähnt, einunddieselben sind. Dabei sind es hier äußere, patriarchale Einflüsse, die diese Antipathie begünstigen: Männer, die Elizabeth sagen, dass ihre beste Zeit vorüber sei; eine riesige Reklametafel ihres Alter Egos, die - ausschließlich positiven - Erfahrungen, die sie als Sue macht, und noch mehr. Mit vielleicht einer – möglichen - Ausnahme sind alle Männer widerliche Schweine und nur auf das Äußere der Frau fokussiert. Namen werden kurzerhand abgeändert, weil sie zu lang sind; ein „Nein“ wird nicht akzeptiert. Sogar die männliche Stimme der Helpline der Produktionsfirma des Mittels gibt nur bruchstückhafte Antworten, anstatt zu erklären, was überhaupt die Folgen eines Regelbruchs sind. Die beiden Frauen werden von oben herab behandelt, anstatt dass ihnen ernsthaft geholfen wird.

Selbst Sues Erfolg wird von Harvey als die Seinen ausgegeben. Als Elisabeth realisiert, das Sue ebenso in dem Hamsterrad des Patriachats gefangen ist wie sie selbst, ist der Hass der beiden füreinander bereits zu weit fortgeschritten.

The Substance ist ein Highlight dieses Filmjahres. Nicht nur als Horrorfilm, sondern auch alle Genres betreffend. Er ist ekelerregender Body-Horror, der A Star is Born mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde und dem Bildnis des Dorian Gray vermischt, und damit eine bösartige Satire mit viel Blut schafft.

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