Kein Theater für die Konserve

Theaterräume wie Filmkulissen und Sehnsucht nach Körpernähe - Bohema zu Besuch im Theater Drachengasse.

Foto: Sandro Schieck

Foto: Sandro Schieck

Liveness und leibliche Co-Präsenz von Publikum und Schauspieler:innen funktionieren seit der Antike als zuverlässiges Konzept im Theater-Kosmos. Seit Beginn der  Pandemie fegt allerdings der Wind der Digitalisierung durch die Theaterhäuser – und der ist ziemlich rau. Aber (wie) geht Theater online, wie wird im Moment gearbeitet? Katrin Schurich und Beate Platzgrummer öffneten für Bohema die Türen des Theaters Drachengasse im ersten Bezirk.

Wir sitzen zu dritt in einer Sofaecke im ersten Stock des Hauses und versinken in den alten, gemütlichen Garnituren, ich stelle mein Wasserglas auf dem hölzernen Beistelltisch ab und ahne: Mit FFP2-Maske wird das Trinken schwierig. Im angrenzenden Büro herrscht reges Treiben, man kann eine Kaffeemaschine und gedämpfte Gespräche hören. Das Theater lebt, die Proben laufen, welche Erleichterung für uns Theaterbegeisterte. Ein striktes Testregime, Maskenpflicht in den Pausen und Kontaktlisten machen das möglich, höre ich später.

Das Unkontrollierbare fehlt

Der erste Lockdown im März 2020 stellte das Team um Schurich und Platzgrummer vor die große Ungewissheit. Vieles wurde verschoben, digitale Alternativen zu den Präsenz-Auftritten ließen allerdings nicht lange auf sich warten: Live-Übertragungen, Chatroom-Interaktionen mit dem Publikum und ein erster Theater-Film-Hybrid wurden erarbeitet.

Eine Online-Bühne allein sei aber keine langfristige Option für die Drachengasse: „Das ist nicht unser Medium in Wirklichkeit. Unser Theater lebt vom intensivem Austausch, von der Nähe von Schauspieler:innen und Zuschauer:innen, da sind die Räume so konzipiert, da ist man sehr nah dran am Spiel“, betont Platzgrummer. „Dieser Moment, der nicht so ganz steuerbar ist, das ist das, was wir suchen. Jede Vorstellung ist ja anders vom Feeling her, je nachdem wie die Bühnenkünstler:innen und das Publikum miteinander interagieren und das ist das, was uns am Theater interessiert“, fügt Schurich hinzu. Sie wären eben „Theater-Hardliner“.

Katrin Schurich und Beate Platzgummer; Foto: Andreas Friess

Katrin Schurich und Beate Platzgummer; Foto: Andreas Friess

To stream or not to stream

Will man Stillstand in Coronazeiten vermeiden, müssen aber selbst „Theater-Hardliner“ einlenken und Online-Varianten berücksichtigen. Wenn eine Produktion als Stream veröffentlicht werden soll, dann muss das Stück auch von seiner Medialisierung profitieren – dafür setzt man in der Drachengasse bis zu sechs Kameras ein und garantiert professionellen Video- und Tonschnitt. Für welche Inszenierung eine Medialisierung dieser Art in Frage kommt, wird schon zu Beginn der Probenphase festgelegt – das schafft interne Planungssicherheit. Für eine Live- und Online-Premiere gleichzeitig zu proben, wäre illusorisch und personell sowie zeitlich nicht machbar, meint Platzgrummer. Es brauche ein konkretes Ziel und die Aussicht auf Veröffentlichung:

„Es gibt für einen Künstler nichts Frustrierenderes, als für die Konserve zu produzieren.“

Vierzig Minuten sprechen wir über das Theatermachen im Lockdown, über Rechtliches, Finanzielles und Planungsvorgänge bevor ich mir auf einer Runde durch die Räumlichkeiten selbst ein Bild mache, was hier, hinter den für Publikum geschlossenen Türen, vor sich geht. Zuerst werde ich in den kleineren Raum (Bar&Co) eingelassen: Wo eigentlich die Bestuhlung steht, ist jetzt ein Teil des Bühnenbildes der English Lovers, einer Impro-Gruppe, aufgebaut – abends wurde hier live gestreamt. An den Wänden hängen Kostüme aus dem Fundus, nicht als Requisiten, sondern um den Schall abzufangen. Ich stolpere über verlegte Kabel und bringe beim Fotografieren versehentlich ein Standmikrofon beinahe zum Umfallen. Ich frage nach, wie das Team technisch ausgestattet ist.

Früher Bar, jetzt Online-Spielort. Foto: Nina Ebner

Früher Bar, jetzt Online-Spielort. Foto: Nina Ebner

„Wir hatten anfangs natürlich nicht die entsprechende Ausrüstung. Das heißt, wir mussten da auch ankaufen. Und haben da zum Glück zwei tolle Techniker:innen, die das einfach an sich gerissen haben“, verrät Schurich, die froh ist, dass technische Ausstattung mittlerweile leistbar geworden ist.

Alles ist Bühne

Ich folge den Leiterinnen in den größeren der zwei Säle und finde mich im Bühnenbild der aktuellen Produktion (R)Evolution. Eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert wieder, das erste Stück der Drachengasse, das ausschließlich für den Stream konzipiert wurde (wir haben berichtet).

Die Bühne breitet sich aus. Foto: Nina Ebner

Die Bühne breitet sich aus. Foto: Nina Ebner

Dass die Kamera der einzige Adressat ist, zeigt sich am verfremdeten Theaterraum: Alles ist mit weißem Stoff bedeckt, selbst die Zuschauer:innentribüne verschwindet als solche darunter – alles ist Bühne. Zwei Sessel und ein kleiner Tisch mit einem Laptop darauf stehen zentral im Raum, Überbleibsel des letzten virtuellen Publikumsgesprächs via Zoom – ein echtes Symbolbild für die Auswirkungen der Pandemie im Theater.

Die Inszenierung (R)Evolution. Eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert wird an folgenden Terminen im April gestreamt: 16., 17., 23., 24., 25. April um 20 Uhr.

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