Theater morgen oder was wir ändern können

Von fehlendem Mut und unserer Verantwortung - Ein Antwortartikel auf Theater heute oder was ich ändern würde, wenn ich könnte von Ines Maria Winklhofer.

Foto: Alexandra Timofeeva/Unsplash

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Als ich den Artikel von Ines Winklhofer gelesen habe, wollte ich nichts mehr, als ihr zustimmend ins zu Wort fallen. Auch so eine Sache, die man während Corona nicht so richtig machen kann. Dann also schriftlich.

Das Schauspielerinnen oft keine Chance haben, Nein zu sagen zu einem System, das sie konsequent ausbeutet, ist eine Realität, der wir uns stellen müssen. Noch schlimmer ist, dass wir alle glauben, es gäbe zu dieser Realität keine Alternative, und patriarchale, kapitalistische Systeme sind sehr gut darin, uns das zu vermitteln. Also schaue ich der Realität in die Augen und schlage ihr zweimal ins Gesicht:

1. Schlag: Wir verändern schon

Ich will es nicht wahrhaben, dass ich ohne Penis schlechtere Chancen in meinem Job habe. Ich möchte mir keine „dicke Haut“ zulegen müssen, ich möchte keine sexistischen Kommentare mehr ignorieren. Ich möchte nicht glauben, dass wir immer noch fordern müssen, was Virginia Woolf zehn Jahre nach A Room of one´s own in ihrem zweiten berühmten Essay Three guineas fordert. Auf die Frage, wie die Berufstätigkeit und die Ausbildung der Frau gefördert werden kann, hat sie eine einfache Antwort: Indem man ihr selbst die Mittel dazu gibt.

Auf den Theaterbetrieb umgemünzt heißt das: Faire Gehälter, mehr zeitliche und räumliche Ressourcen für Regisseur:innen (diesmal meinen wir alle außer Männer), mehr Frauen als Intendant:innen und Kulturpolitiker:innen. So schwer ist es nicht. Quotenregelungen, Mentoringprogramme, gezielte Förderungen – anders wird´s nicht gehen. Und diese Veränderungen finden statt, wie wir die vielen Beispiele aus der schon erwähnten 3sat Dokumentation Theater.Macher.Innen zeigt.

Wir sind es, die diese Strukturen machen, sie verändern können

Wir müssen nicht warten, bis sich die herbeigesehnten „Frauen in Leitungspositionen“ einfinden, um die Strukturen zu verändern. Wir sind es, die diese Strukturen machen und sie verändern können. Wir haben (wenn auch kleine) Handlungsspielräume, in denen wir unsere Lebensumstände verbessern können. Etwa, indem ich Probenpläne schon im Vorhinein ausschicke und es so den Kolleg:innen erleichtere, Kinderbetreuung zu organisieren. Natürlich stößt man dabei immer wieder an Grenzen. Ich kann nicht dafür sorgen, dass meine Hospitant:innen angemessen für ihre Arbeit entschädigt werden. Ich habe meine Gage nicht verhandelt. Weil ich gar nicht weiß, wie viel andere in meiner Positon verdienen. Weil ich mich nicht traue, mit meiner Kollegin darüber zu reden. Weil über Gehälter zu reden ein Tabu ist. Und weil es in den meisten Verträgen am Theater eine (illegale!) Verschwiegenheitsklausel gibt, die mir sagt, dass ich nicht darüber reden soll.

Die Umstände zu ändern ist langwierig und allein unmöglich. Ich glaube nur, dass es sich mit dem Teufelskreis genau umgekehrt verhält: Erst, wenn wir miteinander solidarisch sind, können wir ein sicheres und ausreichendes Einkommen erreichen. Es braucht Mut und den Willen, in seinem eigenen Bereich dafür Verantwortung zu übernehmen. Es geht aber nicht nur um unser Handeln als Einzelpersonen, dass schnell an systemische Grenzen stößt. Es geht darum, dass wir gemeinsam den Mut aufbringen, Verantwortung zu übernehmen und Strukturen nachhaltig zu verändern. Vereine und Organisationen wie das Ensemble-Netzwerk sind für mich deshalb nicht nur Hoffnungsschimmer, sondern die Lösung des Problems.

2. Schlag: Wir träumen schon.

Abgesehen davon, dass konkrete Veränderungen im Theaterbetrieb notwendig sind, brauchen wir auch eine neue Vision. Ein neues Theater mit einer neuen Besetzungsliste. Abgesetzt werden zum Beispiel etwa regieführende Intendanten (nein, die männliche Form ist hier kein Zufall). Aus einem monarchischen System entstanden, waren und sind sie nie das einzige Modell. Es gab Prinzipalinnen und Theater, in denen die Verantwortung auf mehrere Mitglieder aufgeteilt war (prominent in den 68ern).

In Ihrem vom Dramaturgie-Netzwerk organisierten Vortrag Wozu Theaterleitung? – Wie andere Organisationsformen am Stadttheater möglich wären, stellt die Dramaturgin und Wissenschaftlerin Anna Volkland die zentrale Frage, wem die Theater eigentlich gehören. Theater sind auf regelmäßige Aufführungen hin organisiert und nicht standardgemäß auf einen Alleinherrscher hin ausgerichtet. Sie gehören der Stadt, in der sie stehen, sind ihren Bürger:innen verpflichtet, also auch und vor allem den Menschen, die in den Theatern arbeiten. Das ändert nichts daran, dass das Intendantenmodell (auch hier leider männlich) noch immer das gängigste im deutschsprachigen Raum ist, aber es ist eine ermächtigende Perspektive.

Bye bye Geniekult!

Einen kläglichen und vor allem unbeachteten Tod sollte auch der Geniekult erleiden, der in Theaterkreisen leider noch immer zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Alles ist auf die geniale Gedankenwelt eines Regisseurs ausgerichtet, der sich dann alles erlauben darf und sogar dafür gelobt wird, „andere über ihre Grenzen zu bringen.“ Das lässt sich natürlich gut verkaufen, hier haben Medien und auch Wissenschaflter:innen genügend Glanzvorbilder zu Verfügung. Aber auch hier gibt es Alternativen, etwa ein Kollektiv wie die hfs Ultras, sechs Regiestudentinnen an der Ernst Busch, die sich auch zu den Missbrauchsvorwürfen an der Volksbühne zu Wort gemeldet haben. Ein wichtiger Punkt: Gleichberechtigtes Arbeiten macht es nicht unbedingt einfacher, aber gegenseitige Offenheit lohnt sich.

Was wir auch zurücklassen müssen, sind die Stereotypen. Es gibt sie, die Dramatiker:innen, die Alternativen schreiben, die Regisseur:innen, die sie inszenieren, die Dramaturg:innen, die neue Lesarten finden, die Bühnenbildner:innen, die neue Räume öffnen, die Kostümbildner:innen, die Genderkategorien in Frage stellen, Schauspieler:innen, die diese mit Leben erfüllen, Beleuchter:innen, die sie zum Strahlen bringen, Techniker:innen, die sie auf der Drehbühne Karussell fahren lassen. Und noch viele mehr. Wir sind alle da.

Innehalten: Warum ist das eigentlich wichtig?

Theater spiegelt nicht die Gesellschaft. Es ist ein kleiner, privilegierter Teil von ihr. Das hat den Vorteil, dass wir im Theater Zeit und Kraft haben, unsere Gesellschaft zu erproben. Vor- und hinter der Bühne. Wir sind es, die neue Formen des Zusammenlebens erfinden können. Was für den Theaterbetrieb gilt, trifft in diesem Fall auf viele weitere Bereiche unserer Gesellschaft zu. Diese Veränderungen brauchen Zeit, Kraft, und Ressourcen, die wir (jetzt rede ich von Frauen) nicht immer haben. Ich plädiere dafür, hier die Perspektive zu wechseln: Wir sind schon dabei, etwas zu verändern. 

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