Kino ist Krawall
Wiens jüngster Filmklub Kino & Krawall wird ein Jahr alt. Wir hatten die Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen.
An einem Sonntagmittag zu einem Kaffee drückt mir Daniel sehr euphorisch DVDs von den schon fast vergessenen Ewok-Filmen in die Hand, gleichzeitig argumentiert Loïc stoisch, dass er nicht nachvollziehen kann, wie jemandem das Ende von Star Wars: The Clone Wars nicht gefällt. Obwohl am 16.03. das Einjährige von Kino und Krawall, ein junger Filmklub im Herzen Wiens, stattfindet, merkt man Daniel und Loïc bei ihrem täglichen Star Wars-Rant die Aufregung nicht an.
Oğulcan (Bohema): Donnerstag ist die einjährige Feier von Kino und Krawall. Wie fühlt ihr euch, seid ihr aufgeregt? Und hättet ihr damals damit gerechnet, dass K&K ein Jahr überlebt?
Loïc: Ich fühle mich schon aufgeregt. Kino & Krawall ist immerhin ein Projekt, bei dem man am Anfang sich nicht sicher war, wie lang es gehen wird. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass es ein Jahr überlebt. Aber das liegt glaub’ ich an schlechten Erfahrungen bei solchen Projekten, die dann schließlich häufig versanden. Rückblickend macht mich es stolz, dass wir so weit gekommen sind und dass es weiter geht. Ich freue mich sehr.
Daniel: (schmunzelnd) Ja, ich bin auch aufgeregt. Ich hatte mir zu Beginn nichts dabei gedacht, ob es so lange hält, oder vor allem, dass es so regelmäßig stattfindet. Ich war mir unsicher, ob es realistisch ist, einmal im Monat einen Film zu zeigen, mit der Vorbereitung und den Gästen und dann noch mit Events danach. Wie Loïc gesagt hat, kennen wir es aus eigener Erfahrung, dass Projekte ins Nichts laufen können (schaut zu Loïc). Wir haben ja beispielsweise noch unseren Podcast. Lachend Deshalb hatte ich auch die Angst, dass das gleiche Schicksal K&K erfahren wird, weil wir beide da involviert sind. Aber somit ist es ist eine gute Gelegenheit gemeinsam als Team zu feiern und zu reflektieren.
L: Es ist auch lustig, dass von unserem Team ausgerechnet wir zwei interviewt werden, da wir beide diejenigen sind, mit denen es eigentlich am schwierigsten ist, einen freien Tag zu finden.
(Lachen)
Der Grund, wieso sich K&K aber auch so lange gehalten hat, ist, dass wir vor allem zu Beginn mit Amelie und Maria ein wahnsinnig starkes Team waren, bei dem, wenn eine Person ausgefallen ist, das von einer anderen aufgefangen wurde. Leider ist es häufig so, dass jemand aus dem Team keine Zeit hat und man immer Aufgaben verteilen muss.
D: Genau. Wir haben alle unsere Stärken und unsere Schwächen und es ergibt sich so eine Symbiose zwischen uns, dass man sich gegenseitig ergänzt. Beispielweise ist das Team auch gewachsen. Mit Toni, Esther, Tom und Anna haben wir Leute dazubekommen, die ihre Stärken da einsetzen können, wo unsere Schwächen liegen, wie in Social-Media und Marketing oder jeamdnen wie Simon, der unsere Grafiken erstellt.
B: Bezüglich eurer Anfangszeit. Wie kamt ihr damals zusammen und hattet die Idee, einen Filmklub zu gründen?
D: (Lachend) Es war so: Ich hatte im Stadtkino gearbeitet und die Geschäftsführerin vom Stadtkino ist auf mich zugekommen mit der Idee eines jungen Filmklubs, welche es schon in Amsterdam in ähnlicher Form mit LA RIOT gab, und wir waren der Meinung, dass es cool wäre, sowas auch in Wien zu machen. Im Stadtkino war es umsetzbar. Ich hatte dann die Aufgabe bekommen, Leute zu finden, die Film fasziniert sind und Lust darauf hätten. Die erste Person, die ich gefragt habe, war die Maria, sie war auch bei 27 Times Cinema in Venedig. Ich kannte sie davor nicht, aber offensichtlich war eine Liebe zum Film da, die wir gerade zu Beginn brauchten. Daraufhin hat dann Maria noch Amelie mit ins Boot geholt und ich habe Loïc dazu geholt. Und so hatten wir schnell ein Kernteam, was sich auch recht schnell verstanden hat. Also das ging schnell, und so musste ich auch niemand anderen fragen.
(Loïc im Hintergrund: Ach süß)
L: Ja, ich und Daniel haben hin und wieder mal für 'ne Zeit nicht so viel Kontakt und dann meldet man sich häufig mit: „Hey ich arbeite zurzeit an dem Projekt…“Und bevor die Frage kommt, ob man teilhaben möchte, ist die Antwort schon JA.
B: Und ist nach einem Jahr die Energie noch so hoch wie zu Beginn?
L: Ich würde sagen, die Energie ist anders. Sie ist noch da und wir haben noch Bock auf das Ganze, aber natürlich tritt auch manchmal emotionaler Verschleiß ein und es kann auch manchmal zu viel werden. Man merkt aber auch, dass man etwas lockerer wird, wohingegen man zu Beginn noch sehr aufgeregt war. Das gehört aber natürlicherweise dazu. Aber insgesamt hat das ganze K&K Team noch Motivation auf das ganze Projekt und es ist schon gut, dass es nicht nach ein paar Monaten abgebrochen wurde. Das finde ich sehr stark.
D: Wir fragen uns auch häufig mittlerweile, was ist der nächste geile Scheiß, den wir machen können, um noch mehr Leute ins Kino zu holen. Und wir versuchen auch stetig, immer ernster genommen zu werden und in den Köpfen von Wien stattzufinden.
(Loïc im Hintergrund: I wanna be a real event)
L: Aber wir wollen auch nicht zu ernst und spießig wahrgenommen werden, denn wir müssen ja auch dem Krawall im Namen gerecht werden.
B: Jetzt am 16.03. zum Einjährigen zeigt ihr Fallen Angels von Wong Kar-Wai. Wieso den Film? Gibt es eine besondere Zuneigung für diesen Film im Team?
(Loïc und Daniel fangen beide an stark zu Lachen)
D: Ehhh nächste Frage, nächste Frage bitte.
L: Sagen wir es mal so. Unser Auswahlprozess ist etwas, was nach einem Jahr noch Bearbeitung bedarf. Wir sind manchmal sehr gut darin, spezifische Filme auszuwählen, mit einer Idee im Hinterkopf, aber andererseits stolpern wir auch gern in gewisse Filme rein. Das heißt nicht, dass wir uns nicht darauf freuen, jedoch wählt man dann am Ende einen Film von gefühlt Tausend aus. Und dieses Mal wollten wir etwas anderes als sonst zeigen, aus Ostasien, wozu man normalerweise keinen Zugang hätte und etwas, das abseits vom Mainstream und großen Klassikern steht. Natürlich ist es auch sehr cool, dass wir den auf 35 mm zeigen können.
D: Das witzige ist, dass Fallen Angels aus dem Team nur so 2 Leute gesehen haben.
L: (Lachend) Sag das doch nicht, ich habe jetzt so schön versucht das zu umgehen. Fürs Protokoll, das ist jetzt ein Alleingang von Daniel.
D: (Lachend) Wir müssen ehrlich sein! Wir brauchen Transparenz! Ich muss sagen ich finde es auch geil, Filme zu zeigen, die ich selbst noch nicht gesehen habe, ich sehe mich ja auch als Zuschauer, und der Film ist auf meiner Watchlist und dann wäre es ja auch cool den mal zu zeigen, damit ich den endlich von meiner Watchlist streichen kann. Manchmal gibt’s auch nur Vorschläge, wo gesagt wird „ich habe den Film nicht gesehen, aber habe gehört, dass er cool und passend sein könnte“ und wenn es im Team dann 1-2 Leute im Team gibt, die es bestätigen können, dann ist dieser Film schon interessant. Denn niemand hat im Team alle Filme gesehen. Und zu Fallen Angels, natürlich ist das ein Klassiker, Wong Kar-Wai ist einer der größten Autor:innen im modernen Kino. Wir wollten auch einen Film aus dem Ostasiatischem Kino zeigen, um auf eine andere Filmsprache aufmerksam zu machen, die hier in Europa vielleicht gar nicht so bekannt ist.
L: Wir vertrauen uns im Team auch sehr aufeinander und respektiert das Urteil von jeder Person. Wir hatten auch einen Fall, bei dem wir einen Film zeigen wollten, den einige aus dem Team gar nicht mochten und es reicht schon, wenn eine Person ein Veto ausspricht und das begründet, dann wird das von allen respektiert.
B: Und dürft ihr prinzipiell zeigen, was ihr wollt? Zeigt sich das Stadtkino da kooperativ?
D: Wir dürfen eigentlich alles zeigen und wenn nicht, dann geht es eher um Rechtliche und Lizenzfragen. Wenn beispielsweise ein Film erst in ein paar Monaten in die Kinos kommt, dann können wir das dem Stadtkino nicht vorwegnehmen.
L: Beispielsweise ist es sehr schwer an Disney Filme zu kommen, das liegt dann meistens am Verleih. Aber ehrlich gesagt wollen wir eh keine Disney Filme zeigen (Daniel stimmt lachend und nickend zu), aber wenn wir mal welche zeigen wollen würden, wäre es wahnsinnig schwer. Aber ansonsten ist das Stadtkino wahnsinnig kooperativ und man muss es ehrlich sagen, ermöglicht uns sehr viel, wofür wir auch dankbar sind. Dennoch müssen auch da Debatten geführt werden, beispielsweise besitzt das Stadtkino auch einen Verleih und schlagt uns Filme vor, bei denen wir dann entscheiden müssen, ob wir diese zeigen wollen. Aber zwingen tut uns das Stadtkino zu nichts
B: Und ihr zeigt ja nicht nur Filme, sondern ladet auch häufig Gäste ein, die zu den Themenschwerpunkten passen, wie werden diese ausgewählt?
D: Genau wie bei den Filmen wird sich hier Zeit genommen und darüber diskutiert, welchen Zugang wir ermöglichen wollen und welche Themen wir beim Screening dann besprechen wollen. Beispielsweise hatten wir beim ersten Screening den Cutter von Systemsprenger da, was uns ermöglicht hat, sehr ins Detail beim Entstehungsprozess des Filmes einzugehen und schonmal gezeigt hat, was alles möglich ist, aber natürlich haben wir nicht bei jedem Screening Gäste da, weil es sich manchmal auch nicht ausgeht.
L: Oder bei Dear Future Children hatten wir auch ein langes Gespräch mit Franz Böhm, bei dem der Zugang spannend war, da wir über den Film, aber auch über politische Themen sprechen konnten. Wir versuchen immer, Leute einzuladen oder einen Kurzfilm zu zeigen, damit wir Menschen und jungen Filmemacher:innnen auch eine Bühne bieten können, die sie auch durchaus brauchen.
B: Ihr versucht ja auch durch die Screenings spezifische Themen anzusprechen. Gibt es gewisse Werte, die ihr als junges Team mit eurem Filmklub vertretet?
L: Es gibt jetzt keine klaren Positionen, die wir ausgesprochen haben. Wir machen uns beim Kuratieren auch immer Gedanken, dass wir beispielsweise nicht nur US-amerikanisches weißes Kino zeigen wollen, sondern auch versuchen, den filmischen Horizont zu erweitern. Somit ist es auch immer ein Prozess des Selbstreflektierens, wobei man sich die Frage stellt, wieso möchten wir diesen Film zeigen? Was hat das für inhaltliche Strukturen? Und dann setzt man Schwerpunkte, beispielsweise haben wir mal eine Queer-Night gemacht, oder jetzt versuchen wir Ostasiatisches Kino anzusprechen und da wird auch noch mehr kommen, da wir uns nicht nur auf europäisches Indie-Kino beschränken wollen.
D: Und es ist noch wichtig, dass es nie aufgesetzt wirken soll. Beispiel: Es ist Queer Month und dass wir jetzt nicht nur extra dafür einen queeren Film zeigen und sonst nicht, damit man nicht in die Falle tappt, dass das nur aus ökonomischen Gründen nutzt, dass es nicht wie Rainbow Capitalism ausschaut. Wir versuchen auch immer am Puls der Zeit zu sein, bspw. haben wir zuletzt ein Film über den Ukrainekrieg gezeigt, aber es muss auch nicht immer so sein, man kann ja auch Klassiker wie Hiroshima Mon Amour zeigen, die zwar aus einer anderen Zeit sind, aber durch die Filmsprache zeitgenössische Themen ansprechen. Das ist das Tolle an Film, dass die meisten Filme immer etwas zu sagen haben, egal aus welcher Zeit sie sind.
L: Hiroshima mon Amour als ein Klassiker des europäischen Kinos ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir unsere Flexibilität bewahren möchten, wir wollen uns nicht auf einzelne Themen versteifen, da es nicht unsere Identität ist. Es ist wahnsinnig wichtig, dass es Kinoveranstaltungen gibt, die sich z.B. nur auf queere Filme spezialisieren, aber das Spezialisieren auf ein Thema ist nicht unsere Identität und unser Platz. Es wäre auch vermessen, wenn wir jetzt ein Thema besetzen würden und sagen würden „das ist jetzt unser Thema und wir machen nur das“. Am Ende ist das eine ongoing Diskussion auch innerhalb des Teams bspw. beim Pride Month, ob wir jetzt einen queeren Film zeigen oder nicht. Wir wollen flexibel bleiben, aber es gibt Werte, zu denen wir uns sehr bekennen und das ist: Antihomophobie, Antirassismus, Antitransfeindlichkeit und Antidiskriminierung in jeder Form und wenn das jemanden nicht passt, kann diese Person gerne von unseren Veranstaltungen fernbleiben.
D: Es ist auch wichtig zu betonen, dass wir aufgrund dieser Werte keine Filme mit propagandistischem Inhalt zeigen wollen. Die Filme sollen unseren Werten entsprechen. Es kann natürlich bei älteren Filmen homophobe oder sexistische Inhalte vorkommen, aber dann möchten wir darüber reden und reflektieren, was wir gerade gesehen haben und wie man mit diesen Inhalten umgeht. Dabei entsteht dann auch ein Diskurs, wie sich die Filme über die Zeit verändern und wie man auch über die sensiblen Inhalte auch sprechen kann.
B: (Schmunzelnd) Okay. Abschließend noch eine Frage, die ich mir selbst als Besucher von Kino & Krawall gestellt habe, und was sich vermutlich zukünftige Besucher:innen stellen werden, wie ist der Krawall im Namen zu verstehen? Schaut man zuerst den Film und dann gibt’s Krawall? Oder passiert das gleichzeitig?
L: (Schmunzelnd) Mal so, mal so. Es gibt Vorstellungen wo Krawall nicht passend ist, wie bei The Earth is Blue like an Orange, wo wir anschließend ein Gespräch mit einer Vertreterin von SOS-Balkanroute und einer Ukrainerin hatten, machen wir danach keine Party, da hat man keine Lust einen DJ zu organisieren und anschließend zu tanzen. Das wäre eine Veranstaltung, bei dem der Krawall eher hintenan gestellt wird. Für unser Einjähriges steht der Krawall dann wiederum im Vordergrund.
D: Krawall kann ja auch immer unterschiedlich interpretiert werden. The Earth is Blue like an Orange hat auch Krawall Elemente, die sich auf die aktuelle politische Lage beziehen.
L: Oder auch Systemsprenger und Dear Future Children. Das sind Filme, die Krawall auf unterschiedlichen Weisen beinhalten. Und je länger dieses Projekt geht, fällt mir auf, dass wir mit dem Namen Kino & Krawall absolutes Gold getroffen haben, genau wegen dieser interpretativen Möglichkeiten, Diversität, die Frage nach „Wem gibt man hier eine Bühne“ ist auch eine Form von Krawall! Zu sagen „Es gibt nicht nur das große Hollywood Kino, es gibt auch spannendes Independent Kino, interessante Kurzfilme oder Filme aus Ostasien“ auch das ist eine Form von Krawall. Kino an sich ist eine Form von Krawall.