Listening to a smell

Wie man mit der Nase zuhören kann und warum Rassismus bis zum Himmel stinkt: „Smells of Racism“ feiert Premiere im brut Wien.

(c) Christoph Mukherjee

Hast du jemals einem Geruch zugehört? Wusstest du, dass Rassismus ein böser Geist ist, der ausgeräuchert werden kann? Was ist ein Anti-rassistisches-Räucherwerk? Und woraus besteht es?

Diesen und noch unzähligen weiteren Fragen begegnet man unweigerlich, wenn man die Lecture Performance Smells of Racism von Sandra Chatterjee & friends besucht. Die österreichische Uraufführung des Stücks fand im Zuge des imagetanz Festivals des brut Wien statt. Beim Erleben der Performance wird schnell klar: Die Zeit schreit nicht nur nach Umbruch, sie riecht auch danach!

„Die stinken!“

Aussagen wie „Ausländer sind dreckig!“ oder „Du riechst wie ein Bauer!“ - Nicht selten werden negativ konnotierte Gerüche und fehlende Hygiene fälschlicherweise in rassistische und diskriminierende Kontexte gebracht. Aber warum eigentlich und wie können wir das ändern? Die Performance verfolgt die Absicht, diesem Warum in faktischen und emotionalen Erzählungen mit tänzerischer und musikalischer Begleitung auf den Grund zu gehen. Sie möchte den Bewusstseinshorizont der Zuschauer*innen zum Thema Alltagsrassismus erweitern, aufklären und gemeinsam an einer Lösung arbeiten – auch in Form von Düften. Klingt schräg, ist es auch.

(c) Christoph Mukherjee

Geruchsexplosion

Es ist wissenschaftlich erwiesen: Unsere Wahrnehmung wird von Gerüchen beeinflusst. Dies erklärt Chatterjee während sie mit Leidenschaft vier verschiedene, wie sie es nennt, „anti-rassistische Räucherwerke zusammenmischt. Dabei stellt sie die benötigten Zutaten vor und lädt die Zuschauer*innen ein, das Gemisch als nahezu explosives Geruchserlebnis auf sich wirken zu lassen.

Bei der Zubereitung wird man mit lehrreichen Fakten zur Pflanzenlehre geradezu überhäuft: So soll beispielsweise Zimt gegen Gefühlskälte helfen, weißer Salbei negative Energien vertreiben und Rosenduft das Mitgefühl steigern. Aber auch besondere Komponenten wie Krokodilmoschus, glänzender Lackporling und getrockneter Fisch helfen dabei, den Raum und somit die Zuschauer*innen in einen einzigartigen und überraschend wohltuenden Duft zu hüllen. Doch nicht nur hierbei beweist die Performance-Gruppe Geschmack.

Gefangen im Nebel wird das Publikum von der außergewöhnlichen Stimme des Sängers Arko Mukhaerjee und den Klängen des Musikers Kanishka Sarkar verzaubert. Währenddessen improvisiert Chatterjee passend zum intensiven Duft mit elegant-kreisenden Tanzbewegungen und motiviert das Publikum, es ihr gleich zu tun. Zwischendurch erzählt sie, eingehüllt in eine angenehme Duftwolke, von der schmerzhaften Realität, von Diskriminierung und Rassismus, wie ihn viele Menschen auch heute noch tagtäglich erleben.

Wunsch nach Veränderung

Der ganze Abend ist etwas konfus und unstrukturiert – es ist schon fast eine Wucht von Sinneseindrücken und man weiß gar nicht so recht, auf was man sich konzentrieren soll. Dennoch regt die Performance fraglos zum Nachdenken und weiteren Recherchieren an. Außerdem verleiht der Austausch über persönliche Erfahrungen, neben der Auflistung historischer Fakten, zwischen Performerin und Sänger dem Abend einen emotionalen Beigeschmack. Ein sehnlicher Wunsch nach Veränderung macht sich bemerkbar.

Die Geräusch- und Geruchskulisse ermöglichen eine entspannte und intime Atmosphäre, der man sich als Zuschauer*in gerne und fast schon instinktiv fügt. Dies liegt vermutlich nicht zuletzt an der überschaubaren Anzahl an Zuschauer*innen. Die Performance, welche satte zwei Stunden dauert, entwickelt sich zunehmend in eine abstrakte Richtung. Denn Gerüche können nicht nur politische Dimensionen bewirken, sie werden in vielen Kulturen in rituellen Praktiken wegen ihrer spirituellen (Heil-)Kräfte verwendet. So auch hier.

Rassismus als böser Geist

Zum Abschluss soll mit dem letzten Räucherwerk der böse Geist des Rassismus ein für alle Mal ausgetrieben werden. Feingefühl und Empathie sind lediglich zwei der Schlagwörter, die hierbei eindringlich gepredigt werden. Als Zuschauer*in wird einem erneut vor Augen (und Nase) geführt, dass Rassismus allgegenwärtig ist und wir gemeinsam dagegen ankämpfen müssen. Auch wenn es mit einem anti-rassistischen-Räucherwerk natürlich noch längst nicht getan ist. Insgesamt ein sehr informativer und intensiver Abend für Hirn und Nase. Sandra Chatterjee & friends haben definitiv einen Riecher dafür, wie man eine Performance gestaltet, die in Erinnerung bleibt.

Übrigens: Das imagetanz Festival des Studio brut ist noch bis 25. März 2023 in vollem Gange.

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