Liebstes (Netz-) Theater…

Liebesbrief an das Theater in Zeiten der Pandemie - Resümee einer hartnäckigen Fernbeziehung

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Ich finde, es ist an der Zeit, Bilanz über unsere Beziehung zu ziehen. Wir hatten es in dem letzten Jahr nicht leicht. Wir konnten uns nicht persönlich sehen, nicht einer gemeinsamen Energie nachspüren, nicht unseren Schweiß riechen. Wir konnten nicht gemeinsam atmen. Oder die Luft anhalten. Ich habe jetzt keine Lust, über den Verlust deiner Nähe zu klagen oder eine Beziehungspause auszusprechen, eher möchte ich aus meiner persönlichen Perspektive unsere Fernbeziehung analysieren.

Zunächst: Du kannst nicht so tun, als würden wir noch aufeinander picken. Nein, ich sitze nicht mehr in deinem dunklen Zuschauerraum, in den Samtsessel gekuschelt, Augen auf jede deiner Bewegungen fixiert, deinem Flüstern lauschend, alles andere um mich herum vergessend. Stattdessen starre ich auf meinen kleinen Laptop-Bildschirm, mein Kater fordert Streicheleinheiten, eine Mail poppt auf, während ich nebenbei versuche, mich auf dich und deine Vorstellungen einzulassen. Das, wovon du so selbstverständlich ausgehen konntest, nämlich, dass ich mich hingebungsvoll die gesamte Zeit hindurch auf dich konzentriere, ist leider nicht mehr.

Soll ich zu Netflix gehen? Nein? Dann hör mir gut zu!

Mein liebes Netztheater, du könntest natürlich sagen, es ist meine Sache: Handy aus, zieh die Vorhänge zu, vielleicht noch ein Glas Wein und dann gibt´s nur noch uns zwei. Sorry, aber so läuft´s nicht. Ich drehe den Spieß einmal um: Ich kann jederzeit auch anders den Abend verbringen, Laptop zu, du kannst für dich allein weiterspielen, wenn wir uns nicht mehr unterhalten können.

Bitte, sei jetzt nicht beleidigt. Das ist nämlich eigentlich nichts Neues. Straßenkünstler müssen ihr Publikum erst zur Aufmerksamkeit verführen, zu Shakespeares Zeit gab es Essen und Trinken während der Vorstellung, Wandertheatergruppen passen ihr Programm immer den neuen Städten an, ortsspezifische Produktionen müssen ihr Publikum erst in die neuen Räume locken. Dass Theater (nur) konzentriert im Theater stattfindet, stimmt nicht erst seit der Pandemie nicht.

Wir hängen am Wlan wie an einem silbernen Faden…

Die Wirklichkeit, in der ich als Zuschauende bin, muss von Theatermacher*innen mitgedacht werden, wenn ich das Gefühl haben soll, mit dir im gleichen Raum zu sitzen.  Statt im Foyer treffen wir uns in Pandemiezeiten auf Zoom, statt einer Tür öffne ich eine Website, statt der Scheinwerfer leuchtet mein Bildschirm. Wir sind nicht zusammen. Aber wir sind zum Glück auch nicht getrennt (wenn die Verbindung steht), wir sind irgendwo dazwischen. Dieses dazwischen ist der Ort, auf dem du und ich vielleicht funktionieren können. Wir wollen woanders sein und vor allem gemeinsam, das vereint uns doch wieder.

Nun versteh ich, dass du Angst davor hast, dich auf diese neue Ebene einzulassen. Wir haben doch oft darüber gesprochen, wie oberflächlich diese digitalen Plattformen sind, die uns schon lange den Wunsch nach Nähe in der Ferne erfüllen: Facebook, Instagram, Skype schienen mir auch nie als ein Teil von dir, statt um Versammlung geht es hier um einzelne Kontakte, statt kollektiver Aufmerksamkeit um Fragmentierung. Aber sie sind Brillen, durch die wir uns derzeit sehen. Eine Produktion wie werther.live, die genau diese Kanäle nutzt, spielt mit diesen Wahrnehmungsräumen und nutzt sie für etwas, dass du, liebes Theater,  immer schon gemacht hast: Geschichten erzählen.

Sprenge auch diese Räume, nimm sie für deine Zwecke ein, dann kann auch jetzt Magie entstehen

Ich wünschte, du wärst hier etwas selbstbewusster. Ob dein neues Ich, dieses Ferntheater, noch Theater ist, interessiert mich eigentlich nicht. Mach das, was du immer gemacht hast: Spreng diese Räume, in dem du sie voll und ganz für deine Zwecke einnimmst. Bitte vertrau darauf, dass deine Worte mich immer noch finden. Wenn du von der Einsamkeit erzählst. Von dem, was uns derzeit bewegt. Oder von etwas ganz anderem. Wenn du mal wirklich loslegst mit deiner Fiktionsmaschine, dann bist du echt sexy. Wenn du mich an der Hand nimmst und sagst: „Komm. Ich weiß, wo du grad stehst. Und ich nehme dich jetzt mit.“ Denn lass uns beide ehrlich sein, die besten Theatermomente sind oft die, wo wir mit Leidenschaft die Räume sprengen. Habe ich gerade wir gesagt?

Und ja, das war gerade ein Liebesbrief, trotz Trennungsschmerz. Also, eine Umarmung (eh nur virtuell), deine Marie-Theres.

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