Mehr als nur zusammengeflickt

Die neueste Ausstellung  ̶P̶A̶T̶C̶H̶W̶O̶R̶K̶ des Young Curators Club (YCC) zeigt, wie aus schon da gewesenem immer wieder etwas neues in verschiedenster Form entstehen kann.

Please, marry me (sun), Bettina Willnauer / © Laura Birschitzky

Im vorweihnachtlichen Schneechaos schuf der Young Curators Club (YCC) eine Ausstellung zu einem Thema beziehungsweise einer Technik, die versucht, Ordnung in ein Durcheinander der Einzelteile zu bringen: P̶A̶T̶C̶H̶W̶O̶R̶K̶.

Der Young Curators Club ist ein Verein, der sich an Kunstgeschichtestudierende und Kunstinteressierte richtet. Den Mitglieder werden Einblicke in die Arbeit des Kuratierens gegeben, sowohl bei Talks mit erfahrenen Kurator:innen, als auch beim selbst ausprobieren.

Eigentlich ist alles ein Patchwork

Ein Ergebnis der Arbeit junger YCC-Kurator*innen ist die  farben-, textur- und medienreiche Ausstellung  ̶P̶A̶T̶C̶H̶W̶O̶R̶K̶ , die am 29.11.2023 im lautlos.haus eröffnete und anschließend für drei Tage zu besuchen war. Als Ausgangspunkt nimmt die Ausstellung das 3000 Jahre alte Textilhandwerk Patchwork und überträgt dessen Kerngedanken in die zeitgenössische Kunst.  Aus Resten, alten Dingen oder Einzelbestandteilen soll etwas Neues geschaffen werden, sodass in der neuen Form auch ein neuer Wert entsteht. Bereits bei der Entwicklung der Ausstellung ist der Name Programm, denn es kuratierte ein siebenköpfiges Team. Aus den einzelnen Erfahrungen und Vorstellungen der sieben Kurator*innen wurde etwas Neues geschaffen, es wurden Werke zu einer Ausstellung zusammengewoben, in denen sich die Besucher*innen (eigentlich) genauso wohl fühlen können, wie in der alten Patchwork-Kuscheldecke daheim.

Von Zusammengenäht bis digitale Collage

Doch kommen wir jetzt zu den Werken der sechs ausgestellten Künstler*innen, die durch ihre vielfältigen Medien auffallen. Das Thema Patchwork wird von allen auf verschiedenen Ebenen, dem Medium entsprechend, verhandelt. Es werden immer unterschiedlichste Einzelbestandteile zu einem neuen Werk verbunden. Dies beginnt ganz klassisch mit zusammengenähten Stoffresten, die eine silbrig-blaue Wolke in Luiza Furtados Arbeit Agulha e memoria bilden, und wird bis in den digitalen Raum weitergedacht. Furtados Werk findet sich im ersten Raum, neben der Stoffwolke schwebt ein am Nabel erhängter Flickenkörper über einem Videobildschirm, auf welchem man die Selbsternähung (absichtlicher Neologismus) eines Körpers beobachten kann. Alle in der Ausstellung gezeigten Bestandteile des Werks wurden bereits in einer Performance Furtados verwendet und finden so nun schon mindestens ihre dritte Verwertung. Die Geburt eines neuen Werks wird in Furtados Arbeit wortwörtlich thematisiert und gezeigt. In dem Video, welches man nur beim Herunterbeugen am darüber baumelnden Körper vorbei sehen kann, näht ein Körper sich selbst zusammen, erschafft sich selbst. Der erhängte leblose Stoffkörper über dem Bildschirm bildet gewissermaßen die Opposition zum neu entstehenden Leben, oder veranschaulicht das Prozesshafte des Lebenskreislaufes.

Fragment 20/2 und Rainy Days (Tram 2), Jari Genser / © Laura Birschitzky

Am spiegelnden Dj-Pult der Bar vorbei gelangt man in den zweiten Raum, in dessen Ecken sich weitere fünf Werke befinden. Die Gemälde-Installation Jari Gensers, bestehend aus Fragment 20/2 und Rainy Days (Tram 2), ist als einziges Werk nicht in einer Raumecke platziert. Man steuert beim Betreten des Raums direkt darauf zu. Man betritt damit unmittelbar einen nächsten Raum, reist durch die Zeit in weitere Räume. Jari Genser schafft mit Ölfarbe eine fotorealistische Aufnahme seines Ateliers und der darin bereits entstandenen Arbeiten. Dabei lässt er die Betrachtenden einen Blick durch die Zeit in sein Atelier der Vergangenheit werfen. Eine Hängepflanze hängt an der Kante einer Gemäldeleinwand, die, im 90 Grad Winkel zur anderen positioniert, in den Raum hineinragt. Die Pflanze scheint eine Erinnerung an die Vergänglichkeit und zugleich an die Wertschätzung des Moments zu sein. Gensers Installation widmet sich dem Thema Patchwork auf einer zeitlichen Ebene, durch das Verweben verschiedener Zeitaufnahmen, festgehalten in Gemälden und deren prozesshafter Entstehung. Durch die Kombination von Leinwand und Pflanze werden auch verschiedene Einzelteile und Materialien neu kombiniert. Dadurch, dass sie in den Raum hineinragen und die den Raum betretenden Besucher*innen direkt einfangen, beziehen sie auch die Betrachtenden mit ein in das zeitliche und räumliche Patchwork-Netz des Werks.

Swing, Jusun Lee / © Laura Birschitzky

Eine noch weiter in den Raum auslaufende Installation, die sich netzartig über eine Ecke spannt, trägt den Namen Swing und wurde von Jusun Lee ortspezifisch im Ausstellungsraum (neu) aufgebaut. Silberne Metallketten und schrill bunte Stoffketten sind zu einem undurchdringbar scheinenden Gewebe verflochten. Zwischen sich halten sie Stofffetzen, die an Hautstücke erinnern, gefangen. Unter ihnen breitet sich ein Teppich aus Konfetti und durchsichtigen Plastikbubbles aus. Der schillernde Sumpf scheint einen genauso in sich hineinziehen zu wollen, wie das Kettengeflecht einen einfangen möchte. Lee reflektiert in seiner Arbeit die Ketten, die uns durch die Erwartungen der Gesellschaft auferlegt werden. Von der strahlend bunten Oberfläche angezogen, werden die Betrachter*innen dazu angeregt, sich mit weniger fröhlich-bunten Themen auseinanderzusetzen. Die kleinen Bubbles am Boden, zwischen glitzerndem Konfetti, führen uns vor Augen, wie wir innerhalb der großen Welt doch in unseren kleinen Wahrnehmungsblasen gefangen sind. Unter einigen finden sich moosige Büschel, die an die Natur als möglichen Ausweg denken lassen.

Please, marry me (sun), Bettina Willnauer / © Laura Birschitzky

Auch stellen sie eine Verbindung zum gegenüberliegenden Werk von Bettina Willnauer her. Sie ist im Rahmen einer Residency tatsächlich in die finnische Natur entflohen und hat unter anderem Moose genutzt, um den Seidenstoff für ihre Arbeit zu färben. Aus den mit Naturfarben gefärbten Seidenstücken ist Please, marry me (sun) entstanden, ein Textilbild, das nicht zuletzt durch seine goldene Leuchtkraft den Blick der Besuchenden anzieht. Die Seidenstücke sind auf einem Baumwollleinengemisch zusammengenäht, die Fäden des Nähprozesses hängen noch sichtbar heraus und verdeutlichen das Unabgeschlossene eines natürlichen Prozesses, denn die Seidenstücke werden mit der Zeit, unter Einwirkung des Lichts, noch weiter ihre Farben verändern. Das Zusammennähen als Grundtechnik des Patchwork wird erneut auf eine künstlerische Ebene erhoben. Auch das Wiederverwenden von existierenden Materialien ist bei Willnauers Arbeiten essentiell. Nicht nur bedient sie sich der Ressourcen der Natur, sondern sie verwertet auch ihr eigenes Arbeitsmaterial weiter. Die Handschuhe, welche sie zum Färben trug, wurden unter die zum Trocknen aufgehängte Seide gelegt, sodass die Farbreste auf sie heruntertropften. Zusammengenäht werden die Arbeitshandschuhe zu (einer) Handtasche und, vom Ausstellungslicht beschienen, zu einer hängenden Skulptur aufgewertet.

I miss seeing red through my eyelids, Paula Flores / © Laura Birschitzky

Die Bedeutung des Lichts wird auch in der daneben ortsspezifisch aufgebauten  Installation I miss seeing red trough eyelids von Paula Flores deutlich. Glänzende Objekte versammeln sich um eine spiegelnde Folie herum. Ein weißer Eisberg oder riesiger Marshmallow ruht auf der reflektierenden Folie. Das Licht strahlt von der Decke auf die Folie und wird gebrochen an die Wand geworfen. Sich dem weißen, zerfließenden Objekt  nähernd, spiegelt man sich selbst in der Folie und wird Teil des Werks. Erneut werden, dem Patchwork-Prinzip folgend, nicht nur alte und neue Materialien kombiniert, sondern es werden auch die Betrachtenden mit in das Kunstwerk integriert, um etwas Neues zu schaffen. Die bunten Folien, welche die Künstlerin mit ihrer Heimat Tijuana in Mexiko assoziiert, stellen eine Verbindung zu dem schräg gegenüberliegenden Werk Swing und dessen schillernden Konfettifarben her.

8x8, Raphael Heider / © Laura Birschitzky

Eine letzte Interpretation des Patchwork-Gedankens findet sich in der Videoarbeit 8x8 -2/21 von Raphael Haider. Er flechtet 64 Videoaufnahmen zu einem digitalen beweglichen Gesamtbild zusammen. Die Aufnahmen zeigen Lichter der Großstädte, Taxis, Reklame, Notausgangsschilder und Straßenlaternen. Nicht nur wird hier erneut die Ebene der Zeitlichkeit aufgegriffen, sondern auch die Frage nach der Verortung in der Welt, wie man sie sich vielleicht schon bei Swing gestellt hat. Die Videoaufnahmen stammen aus verschiedenen Städten der Welt und werden nun synchron an einem Ort abgespielt. Die Frequenzen wiederholen sich endlos und lassen somit die Frage nach der Wahrnehmung des Moments sowie deren zeitliche Verzerrung aufkommen.

Der Raum des lautlos.haus verbindet die Werke zu einer Einheit und erlaubt den Besuchenden über die einzelnen Arbeiten Zutritt in die verschiedensten Ebenen der Zeitlichkeit, der Prozesshaftigkeit des Lebens und der Kunst, des Ortes, der Gesellschaft und der Erinnerung. Ein Patchwork aus Medien, Gedanken und Blickwinkeln, das gespannt macht auf die nächste Ausstellung des YCC. Denn auch wenn es dann nicht mehr um Patchwork selbst gehen wird, bleibt der Kerngedanke in der gemeinsamen Arbeit des Kuratierens, dem Zusammenbringen der Werke zu einem neuen Ganzen, erhalten.

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