„Menschheit first!“

„Sehen heißt Verstehen. Verstehen heißt Glauben. Glauben heißt Misstrauen“: In seiner neuen Operette Die letzte Verschwörung parodiert Komponist Moritz Eggert in der Volksoper Verschwörungsideologien, die wir alle nur zu gut kennen.

Timothy Fallon /// Barbara Pálffy, Volksoper (c)

Die Erde ist flach, Echsenmenschen lenken das Geschick der Menschheit, Aliens beobachten uns aus dem All und am Ende war alles Bill Gates. Verschwörungserzählungen gibt es wie Sand am Meer, die meisten von uns lächeln aber nur darüber. So zunächst auch Friedrich Quant, Talk-Show-Star, Fernseh-Clown, Familienvater, der mit Frau und Kindern in bürgerlichen Verhältnissen lebt. Alles scheint friedlich, nahezu perfekt, alles sonnenklar. Nach einem Eklat mit einem sogenannten „Flat-Earther“ bei Sendungsaufzeichnung, wird er von diesem vor dem Studio aufgehalten und bekommt ein Kuvert. Nach anfänglichem Vergessen öffnet er im Beisein seiner Familie das Kuvert. Es beginnt eine abenteuerliche Reise in eine Welt voller alternativer Fakten, die den lieben Quant bis an die Grenzen seiner Vernunft bringt.

Nothing is clear

Dieses Abenteuer zwischen Realität und Surrealität, zwischen Absurdem und Plausiblem, zwischen Wahrheit und Fiktion bestreitet der gesanglich versierte, textlich aber „frei gestaltende“ Timothy Fallon. Zur Seite steht ihm die großartige Rebecca Nelsen. Sie und der gesanglich UND sprachlich saubere Orhan Yildiz reißen Timothy Fallon in eine Welt der Verschwörungstheorien, der (scheinbar) „plausiblen Alternativen“. Bis zum Schluss Regisseurin und Intendantin Lotte de Beer herself alles beendet und die ganze Inszenierung scheinbar von vorne losgeht. Das letzte Rätsel bleibt ungelöst, die letzte Frage unbeantwortet, lässt uns sprach- und ratlos zurück und reißt uns zurück an den Anfang. Alles nur eine Simulation? Wir werden es wohl nie erfahren. Die Suche nach „möglichst einfachen“ Antworten auf höchst komplexe Fragen wird uns wohl noch lange begleiten. Wie lange? Für so Manchen steht das wohl in den Sternen.

Die ganze Operette arbeitet mit absurden Übertreibungen, die für einige lustige Momente gesorgt haben, wären die Fallbeispiele doch nicht so real. Beispielsweise eine Pizza aus Menschenfleisch: In einer Operette absurd, in der Wirklichkeit politisch und ethisch aber höchst fatal. Man denke nur an die Präsidentschaftswahl 2016 in Amerika.

Spaß vs Schock

Die Abfolge der einzelnen Verschwörungstheorien in einer etwa 2 Stunden dauernden Operette geht sehr schnell. Fast schon zu schnell. Durch das Tempo wird einem die Absurdität klar, verhindert aber ein ernsthaftes „Überlegen“, wie es denn zu solchen „Alternativen“ kommen kann. Aber für „das Große“, „das Komplexe“ ist das nicht die richtige Zeit, der richtige Ort, die richtige Gattung. Unterhaltung ist schon komplex genug. Und für die ist allemal gesorgt.

Go for it /// Barbara Pálffy, Volksoper (c)

Was bleibt einem am Ende der Aufführung? Für die einen ist es eine willkommene Abwechslung von der Realität, die gegenwärtig für Verklemmungen und Ängste sorgt. Für die anderen ist es vielleicht die Bestätigung, wie logisch doch diese „Antworten“ sind. Der Rest geht leicht sorgenvoll hinaus und fragt sich: „Was kommt da noch auf uns zu?“. Aber auch das steht wohl „in den Sternen“.

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