Vom Mut wütender Frauen

Sexismus, Feminismus und sexuelle Gewalt – Themen die aktuell, kontrovers und polarisierend sind und über die hitzig diskutiert, voreilig geurteilt und viel Aufmerksamkeit generiert wird. Doch viel zu selten kommen bei diesen Debatten diejenigen zu Wort, die es selbst betrifft: Frauen selbst.

Trigger Warnung : Sexuelle Gewalt

© 2022 Universal Pictures.

In „Women Talking“ oder „Die Aussprache“ wird auf bewegende Art & Weise gezeigt, wie acht Frauen einer mennonitischen Kommune in Bolivien den Mut fassen, endlich darüber zu sprechen, was ihnen widerfahren ist und beschließen, ihre Zukunft in die eigene Hand zu nehmen. Sarah Polley präsentiert uns eine Geschichte der Emanzipation, des Muts, des Aufbruchs und des Schmerzes und hinterlässt einem dabei bedrückt und ohne viele Antworten.

Über Generationen hinweg mussten die Frauen dieser Kommune alle das Selbe durchleben und über Generationen hinweg wurde darüber geschwiegen: Mittels Kuhmittel werden Frauen der Kommune Tag für Tag von Männern betäubt und anschließend brutal vergewaltigt. Als die Frauen am nächsten Morgen aufwachen, auf ihren Laken Blut und ihren Körpern blaue Flecken finden, dämmert ihnen, dass ihnen Schlimmes wiederfahren sein muss. Doch die Männer der Kommune deklarieren diese Gewalt-Taten als „Produkt weiblicher Fantasie“ oder als „das Werk des Teufels“ und sprechen den Frauen somit nicht nur das Erlebte ab, sondern machen sie auch noch selbst zu den Schuldigen. Als ein Mann der Kommune jedoch eines Nachts erwischt wird, wird den Frauen klar: Das, was sie alle erleben mussten, war keine Einbildung. Das erste Mal ist es für die Frauen nun an der Zeit, eigenständig eine Entscheidung zu treffen, denn es stellt sich die Frage, wie sie reagieren sollen. Dabei kristallisieren sich schnell drei Möglichkeiten heraus: Verzeihen, Bleiben und Kämpfen oder Gehen.

© 2022 Universal Pictures.

Um diese Entscheidung zu treffen, werden acht Frauen der Kommune auserkoren, die die verschiedenen Möglichkeiten diskutieren und sich beraten sollen. Diese Aussprache, die in einer alten Scheune stattfindet, wird zum Hauptgegenstand des Films von Sarah Polley. Auch wenn sich der Film deshalb nicht gerade durch seine große Varietät an Bildern auszeichnet, schafft er es, einen zu bewegen. Denn im Laufe des Diskurses wird nicht nur sichtbar, wie sich die aufgestaute Wut in jeder der acht Frauen unterschiedlich äußert, sondern auch welche Themen sie bewegen: Zum einen ist da der sehnliche Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit, also nach Zugang zu Bildung, Mitbestimmung und Beachtung und Geltung in einer männerdominierten Gemeinschaft. Zum anderen sind Religion und Mutterschaft zentrale Themen, die sich durch die Gespräche ziehen und Entscheidungen prägen. Auch die Koexistenz von Liebe und Angst gegenüber den eigenen männlichen Kindern wird thematisiert. Denn auch wenn die mütterliche Liebe groß ist, herrscht gleichzeitig Angst vor der männlichen Natur der Jungen und davor, was für grausame Männer auch aus ihnen werden könnten. Und während all dem äußert sich immer wieder und in verschiedensten Formen das Bedürfnis der Aufarbeitung der (sexuellen) Gewalt, die ihnen angetan wurde. 

© 2022 Universal Pictures.

 Als ich mir „Die Aussprache“ im Kino angeschaut habe, war ich als junge Frau ab der ersten Minute zu Tränen gerührt. Die Wut, der Schmerz und das Leid der Frauen ist so authentisch, so herzzerreißend und so überwältigend, dass ich nicht nur gefesselt und berührt, sondern auch aufgewühlt war. Denn auch wenn die gezeigte Welt weit weg und unsere Lebensumstände gänzlich unterschiedlich erscheinen, lassen sich durchaus Parallelen zur Gesellschaft, in der wir leben, ziehen. Diese Analogien erinnern schmerzhaft daran, dass auch unser Leben noch immer von patriarchalen Strukturen durchwoben ist, die es zu durchdringen gilt und dass auch nach Jahren des Kampfes um Emanzipation noch eine Vielzahl an Aussprachen und Aufbrüchen nötig sind.

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