Meyerbeer nach Bayreuth?

Wagner und die gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes“: Ein Essay über den Antisemitismus Wagners und der engen Verstrickungen seiner Familie mit Hitler, die unheimliche Energie bei den Bayreuther Festspielen, und warum eine Meyerbeer-Oper nach Bayreuth gehört.

Die Türen in Richard Wagners selbst erbautem Festspielhaus fielen mit einem Knall zu und wurden von innen verschlossen. Wer diesem Bühnenweihspiel beiwohnt, soll auch dableiben. Wagner liebte diese religiösen Verweise, Weihe, Fest usw. Als es plötzlich ganz dunkel wurde und die mysteriöse Ouvertüre aus dem versteckten Orchestergraben wie Weihrauch kroch, fühlte ich mich plötzlich tatsächlich in einer Zeremonie. Eine alte Wagnerianerin neben mir heulte schon nach wenigen Minuten. Kein Wunder: Der Sound des unsichtbaren Orchesters wird in Bayreuth auf die Bühne und dann erst in den Zuschauerraum reflektiert und klingt dadurch, mythisch-gedämpft, ein bisschen wie eine alte Furtwängler-Aufnahme. Noch dazu ist diese Ouvertüre das Packendste, was Wagner je schrieb, sie berührte mich immer schon unheimlich stark. Es war, als bringe sie mich zurück in eine verdrängte, verbotene Zeit. Sie an diesem legendären, verruchten, unheimlichen Ort zu hören war einfach nur abgefahren.

Dass ich bei meinem ersten Besuch in Bayreuth gerade diese Oper ausgewählt hatte, war meinerseits sowas wie eine Geste. Ich kann Wagner nämlich überhaupt nicht leiden. Seine Ansichten, seine Persönlichkeit, seine Deutschtümelei. Es hat nicht geholfen, dass ich ihn zuerst von seiner schlechtesten Seite kennenlernte, als ich eine Bachelorarbeit über seine berüchtigte antisemitische Hetzschrift Das Judentum in der Musik schrieb, bevor ich seine Musik ernsthaft studiert hätte. Seitdem schwebt bei mir jedes Mal im Hinterkopf, wie er die „gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes“ forderte, wie er gegen das „höhere Judentum“ hetzte, das die ganze Welt kontrollieren würde, wenn ich seine Musik höre. Seine kruden Ansichten schrieb der Obersachse auch in seine Opern, es gibt dort etliche üble jüdische Karikaturen. Wie den Beckmesser in Die Meistersinger von Nürnberg, eine belegte Persiflage des Kritikerpapstes Eduard Hanslick.

Freunde und Förderer Hitlers

Und dann ist da noch die enge Verstrickung der Familie Wagner und der Festspiele mit Hitler. Wagners Witwe Cosima und besonders seine Schwiegertochter Winifred gehörten zu seinen frühen Anhängern. Pikantes Detail: Hitler schrieb Mein Kampf 1923 auf Papier, das ihm neben Leckereien Winifred ins Gefängnis brachte. Hitler kam Jahr für Jahr zu den Festspielen, war ein persönlicher Freund der Familie und förderte die zwei Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang tatkräftig. Natürlich auch die Festspiele, die ab 1933 unter Hakenkreuzflaggen florierten. Nach ‘45 kamen die beiden Brüder mühelos durch die Entnazifizierung, so leitete die Festspiele bis 2008 jemand, der Hitler Onkel Wolf nannte. Winifred betonte in einem gruseligen Interview noch 1975, sie würde Hitler mit offenen Armen empfangen.

Wolfgang und Wieland distanzierten sich nach Kriegsende von ihrer NS-Vergangenheit und positionierten Bayreuth als innovativen Motor des modernen Regietheaters neu. Was eingefleischte Wagnerianer*innen (die sich bestimmt sehr freuen, wenn ich sie gendere…) bis heute auf die Palme bringt. „Warum muss man Wagner so verunstalten?“, „Ist doch eine Unart“, überhörte ich zwei Damen schon in der ersten Pause. Dabei war Tobias Kratzers Regie aus 2019 großartig. Er befreit die Oper vom altdeutschen Mittelalterquark, der Ritter Tannhäuser ist ein Clown, der von der Gesellschaft verachtete Venusberg ist eine queere Zirkustruppe, mit der er herumreist. Zunächst aus Versehen nach Salzburg, die Aufnahmen vor dem Festspielhaus sorgten für Lacher. Und dann, grenzgenial, nach Bayreuth. Auf der Bühne sahen wir das Festspielhaus von draußen, in dem wir saßen und der Chor stolzierte in edlen Kleidern herein, ganz wie gerade eben das echte Festspielpublikum. Herrlich, dieser vorgehaltene Spiegel.

Le Gateau Chocolat links im Hintergrund /// Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath (c)

Lustig war, dass die Oper auch in der Pause weiterging, die Dragqueen Le Gateau Chocolat, die im Gefolge der Venus zunächst auf der Festspielbühne spielte, sang Spice Girls und Co im Park. Ein bisschen queere Energie tat dieser misogynen Oper sehr gut; sie endet damit, dass sich die großartig singende Lise Davidsen für den Helden opfert, womit er sein Seelenheil erlangt. Nicht schon wieder eine holde Opernfrau, die für einen Mann sterben muss...

Urzeitlicher Energieausbruch zum Schluss

Der Applaus zum Schluss war mit das Krasseste an diesem Abend. Nach den Vorwürfen sexueller Gewalt kurz vor den Festspielen (seitdem wird dazu geschwiegen) und den stürmischen Buhs nach dem neuen Ring war das für Festspielleiterin Katharina Wagner sicherlich erleichternd. Die aufgebrachten Wagnerianer*innen brüllten mit einer Intensität ‘Bravo‘, wie im Fußballstadion. Und dann kam noch das Füßestampfen dazu, das riesige Holzpodium vibrierte nur so. Sie stampften auch bei den allgemeinen Standing Ovations weiter, nur langsamer und alle im gleichen Takt. So eine urzeitliche Energie habe ich in einem Theater noch nie erlebt. Man kann zur Wagnertradition stehen, wie man möchte, sie ist jedenfalls auch fast 150 Jahre nach den ersten Festspielen noch quicklebendig.

Der jüdische Musiker Jascha Nemtsov warf vor den diesjährigen Festspielen in den Raum, in Bayreuth würden auch die Opern Giacomo Meyerbeers auf den Spielplan gehören. Meyerbeer war der berühmteste Opernkomponist um 1850 und förderte Wagner großzügig, der ihn dann als Dank aufs übelste wegen seiner jüdischen Herkunft beschimpfte, als prominentes Beispiel für die „Verjüdung“ der Kultur (die Nazis übernahmen diesen Begriff dankend) in seiner Hetzschrift nannte. Nachdem ich diese unheimliche Energie bei den Festspielen erleben durfte, verstehe ich die Wagnerianer*innen, die so eine Änderung als Sakrileg betrachten. Auf den Wunsch Wagners werden dort strikt nur seine letzten zehn Opern gespielt. Ich glaube aber daran, dass man gewisse Dinge wiedergutmachen sollte. Meyerbeer war lange verpönt (auch wegen Wagners Propaganda und dem Naziboykott jüdischer Komponisten) und steht erst allmählich wieder mehr auf den Spielplänen. Ihn in Bayreuth zu spielen wäre ein symbolischer Akt, mit dem wir den Judenhass Wagners (sowie seine hinterhältige Meyerbeer-Beschimpfung) zurückweisen könnten.

Wiedergutmachung mit Meyerbeer?

Wird das jemals passieren? Ich bezweifle es. Vielleicht müssten wir wieder eine Petition starten, beim Musikverein hat es geholfen… Spannend wäre das auch aus musikalischer Sicht. Wagner ist ein einmaliger Musiker, auch er hat sich aber viel abgeschaut. Im Tannhäuser hört man zum Beispiel einen starken Weber-Einfluss, im einen oder anderem Aktfinale klingt es sogar ein wenig nach Rossini. Auch Meyerbeers Grand Opéras hatten einen Einfluss auf ihn, den zu erleben wäre wirklich interessant. Das würde Wagners Genie keineswegs kompromittieren, auch wenn Wagnerfans vielleicht genau das befürchten. Alle Komponist*innen haben von ihren Vorgänger*innen gelernt, und zwar zunächst durch Kopieren. Für Wagner war dieses „imitieren“ jüdischer Unfug, auch er tat das aber.

Ob mit oder ohne Meyerbeer, Bayreuth ist ein einzigartiger Ort, den jede*r erleben sollte, falls möglich. Dieser Ort atmet Geschichte, auch die von Mahler oder Strawinsky und so vielen anderen, die hier zu Besuch waren, aber auch eine dunkle. Wagner war ein widerlicher Antisemit und seine Familie stand Hitler nah, das heißt aber nicht, dass man seine Musik nicht hören darf. Man soll sich aber mit der Geschichte dieser Familie auskennen, es ist auch unsere Geschichte.

Previous
Previous

A Midsummer Night’s Dream in Seestadt

Next
Next

So creepy, dass es schmerzt