So creepy, dass es schmerzt

Die spannendste Oper bei den Festspielen dieses Jahr? Romeo Castelluccis Take on Herzog Blaubarts Burg/De temporum fine comoedia und was das Publikum von der Russlandgeschichte von Currentzis hält.

Die neun Sibyllen verkünden das Ende der Welt /// SF, Monika Rittershaus (c)

In der fast totalen Finsternis schleicht sich eine dunkle Figur mit Taschenlampe zum Dirigierpult in der Felsenreitschule. Teodor Currentzis ist dieser ‚Einbrecher‘, der hier auf seinen Applaus verzichtetet, um das Flaggschiff-Spektakel der diesjährigen Festspiele, Bartóks Herzog Blaubarts Burg gepaart mit Orffs De temporum fine comoedia möglichst gruselig beginnen zu lassen: Mit einem schreienden Baby im schwarzen Nichts.

Setzt hier Skandalregisseur Romeo Castellucci seine abgefahrene Requiem-Produktion bei den Festwochen fort? Die hörte damals mit einem freudig spielenden, echten Baby auf der Bühne auf, damals war das ein Symbol des immer neu erwachenden Lebens. In Salzburg liefert er ein alternatives Ende, voller Tod, Schrecken und Dunkelheit. Als wir das Kind dann sahen, war es dementsprechend schon tot, Judith, die neue Frau des mysteriösen Blaubarts trug es trotzdem liebevoll herum, deckte es immer wieder neu ein. Schaurig war das.

Zwei beeindruckende Protagonist*innen

Bartóks großartige Oper sah ich zum ersten Mal (shame on me) und habe mich gleich in sie verliebt. Die Handlung ist äußerlich minimal, Judith zieht in die dunkle Burg ihres Mannes ein, drängt ihn immer weiter, Fenster und Türen zu öffnen und findet dahinter allerlei, bis das Ganze dann tragisch endet. Die symbolhaft nachempfundene Mann-Frau Beziehung ist aber meisterhaft gesetzt, der Text ist großartig. Ausrine Stundyte und Mika Kares spielten irre stark, füllten den fast leeren, dunklen Raum alleine mit ihren Körpern. Nur ihre Aussprache nervte, so beeindruckend es auch ist, dass sie den ganzen Text auswendig sangen, als Muttersprachler tat mir ihr hölzernes Ungarisch in den Ohren weh. Jetzt erst verstehe ich, wie sich die armen Italiener*innen fühlen, wenn wir ihre Opern irgendwie, al cazzo di cane aussprechen.

Castellucci hielt sich beim Bartók offensichtlich zurück mit seiner geliebten Symbolsprache. Die Bühne war mit Wasser bedeckt und es brannten immer wieder verschiedene Symbolische Formen. Ein ‚X‘, ein ‚ICH‘, ein Kreis. Gegen Ende roch es schon ziemlich stark nach Rauch, das verstärkte die düstere Stimmung noch mehr. Mir gefiel diese minimalistische Art, so lag der Fokus ganz auf der psychologischen Entwicklung der Charaktere, sowie auf der unglaublich bewegenden Musik, die das phänomenale Gustav Mahler Jugendorchester euphorisch, und doch höchst diszipliniert unter Currentzis rockte.

Es roch bald nach Verbranntem /// SF, Monika Rittershaus (c)

Ich glaube, Romeo Castellucci wacht gewöhnlich auf, checkt Insta, geht aufs Klo und scheißt dann erstmal Symbole, tausendfach. Und wenn er dann in seiner Lieblingsbar um die Ecke einen Espresso trinkt, kann es schon mal sein, dass er nochmal nach Hause geht, um eine zweite Ladung von tinteheulenden Babys und halbnackten Horrornonnen runterzulassen. Pardon my french, ich finde es eigentlich sehr beeindruckend, dass er sich jedes Mal so viele Ideen aus dem Hirn oder sonstwo zieht. Auch Orffs Endzeittheater setzte er unglaublich intensiv und bilderreich um, genau das war auch mein ‚Problem‘.

Ach, Orff…

Ich mag Orff nicht; seine manische Fixation mit dem Mittelalter, sein übertriebenes Gut-Böse-Weltbild, seine NS-Verwicklungen gehen mir auf den Senkel. De temporum fine comoedia ist ein sich an den Gräueln der Apokalypse ergötzender Horrorstreifen, derart düster und hoffnungslos, dass es schon wehtut. Die neun Sibyllen rufen das Weltende aus, erdrosseln kleine Mädchen, singen und klagen, die Toten erwachen, kriechen nackt, beziehungsweise in widerlichen Ganzkörperstrumpfhosen, es wird geschrien, beeindruckend getanzt, getrommelt, gestorben.

Es ist schon irre, dass diese moderne, schwere Kost vor vollem Haus gespielt wird. Wo passiert das sonst noch, außer in Salzburg? Anderswo sind noch nicht einmal seichte Opernschlager ausverkauft. Gegen Ende war das Haus allerdings nicht mehr ganz so voll, immer wieder gingen Leute, denen diese knochenmarkerschütternde Performance zu viel war. Ganz ehrlich: ich wäre nach vielleicht einer Stunde auch am liebsten gegangen. Es tat mir fast körperlich weh, dieses Endzeitspektakel à la GoT zu Ende zu schauen, so stark war sie, so unglaublich creepy. Nicht schlecht, ganz im Gegenteil, zu gut. Zu echt. Wurden wir alle verflucht? Kann schon sein, ich schlief jedenfalls grottenschlecht danach.

Nun gut, zum Schluss noch ein paar Currentzisgedanken, widerwillig… Vor der Vorstellung fragte ich ein wenig herum, was das Publikum von der Kontroverse hält. Die Reaktionen waren ganz gemischt. Es gab Leute, die nachdenklich waren, über die Problematik bescheid wussten, selbst nicht sicher waren, was sie denken sollten. Es gab vehemente Verteidiger*innen, auch welche, die gleich feindselig wurden, auch wenn man höflich und offen fragte. Manche winkten nur müde ab, wollten lieber nichts sagen. Es gab auch überraschend viele Leute, denen die Gazpromtournee und sein Auftritt beim Wirtschaftsforum unangenehme News waren, das sickert also offensichtlich nicht ganz durch.

Endlich ein Statement?

Und ich? In meinem letzten Artikel war ich ein wenig skeptischer als früher, unter anderem die russischen Bomben auf Babyn Yar haben mich zweifeln lassen. Es schien in den Wochen vor Salzburg, als ließe Currentzis sich zudem in Russland doch auch zu staatlichen Zwecken missbrauchen, das werde ich weiterhin aufmerksam verfolgen. Letzte Woche kam dann endlich ein Statement von ihm, eine vorab veröffentlichte Passage aus einem Interview mit Ioan Holender. Demokratie sei ihm als Grieche sehr wichtig, war die Essenz, etwas wischiwaschi. Es bleibt aber dabei, dass er Konkreteres öffentlich nichts sagen kann, solang sein Orchester in Russland sitzt. Man sagt, er hätte sich hinter den Kulissen deutlicher geäußert, aber Gerüchte bleiben Gerüchte.

Ich verstehe ihn immer noch, er hat in Russland das beste Orchester der Welt. Ok, das sind wahrscheinlich immer noch die Berliner (oder die Wiener, für meine verehrten Leser*innen der Alpenrepublik), für Currentzis selbst ist MusicAeterna aber mit Abstand das beste Ensemble, es ist ihm auf den Leib geschnitten (auch wenn das GMJO musikalisch erstaunlich nah rankam). Er wird auch in Zukunft alles tun für MusicAeterna. Das ist auch gut so, wir wiederum müssen kritisch hinschauen, was er mit ihnen genau macht hinter diesem verdammten Eisernen Vorhang, informiert sein und differenzierte Meinungen bilden. Über das Thema sprechen. Ich finde es nicht ok, keine Ahnung von der Problematik zu haben und alles weiterzumachen, wie bisher. Genauso, wie ich es nicht ok finde, ihn jetzt zu canceln. Irgendwo gibt es da noch einen Mittelweg und ich hoffe, den wird es weiterhin geben.

UPDATE: Während dieser Artikel entstand, wurde verkündet, Currentzis würde ein neues, internationales Orchesterprojekt gründen. Utopia wird es heißen, die erste Tournee wird schon im Oktober steigen, am 7. Oktober spielen sie das erste Mal in Wien.

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