Mit langem Atem

Ludwig Senfl war ein höchst produktiver Komponist des frühen 16. Jahrhunderts. In Wien werden nun in einem groß angelegten Forschungsprojekt seine Werke ediert. Ein Präsentationsabend mit Musik.

Ludwig Senfl in Pink, weil why not /// Wikimedia (c)

Wenn es um Alte Musik geht, dann wird es dünn auf dem musikwissenschaftlichen Parkett. Wir reden hier nicht von Händel- oder Monteverdiopern, die die großen Bühnen Europas bereits erobert haben. Wir sprechen von wirklich alter Musik, in Mensuralnotation geschrieben und für uns fremdartig klingend. Musik, über deren Quellen eine Handvoll Forscher*innen Jahre und Jahrzehnte brüten, Notationen, die erst entschlüsselt werden müssen. Am Ende entsteht eine Ausgabe, die mehr Konservierungs- als praktischen Zwecken gilt. Eigentlich.

Vielschreiber

Denn wenn so altes Repertoire zum Klingen gebracht wird, dann versammelt sich in Wien eine überraschend große Menge Interessierter. Die „New Senfl Edition“ ist ein groß angelegtes Forschungsprojekt an der MDW, zusammen mit dem altehrwürdigen Verein der „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“. Am vergangenen Abend wurden die ersten beiden Bände dieser neuen Gesamtausgabe im Musikwissenschaftlichen Institut der Uni Wien präsentiert, die sich mit den Motetten Ludwig Senfls befassen. Dieser war – obwohl weitgehend unbekannt im kollektiven Gedächtnis – ein Komponist des 16. Jahrhunderts, der so viele Werke hinterließ, wie kaum einer seiner Zeitgenossen.

Das Ensemble Sourcework aus Boston sang aus dieser neuen Edition und gab dem Abend Form und Farbe. Die vier Musiker*innen, die selbst auch zu alter Musik forschen, präsentierten Senfls Musik überraschend unaufgeregt. Erstmal muss, vermute ich, beschrieben werden, wie solche Musik des Spätmittelalters klingt. Vier Stimmen, die in den Stimmlagen bereits der Aufteilung von Sopran, Alt, Tenor und Basslage ähneln, variieren eine vorgegebene Melodie, die meist schon viel älter ist als die Komposition. Eine Stimme stellt diesen cantus firmus vor, und gleich darauf wird darauf regiert, Teile der Melodie zitiert, Duo- oder Triopartien bilden sich heraus, manche Stimmen führen, manche schmücken aus. Dadurch ergeben sich Strukturen innerhalb der circa drei- bis zehnminütigen Stücke, Kadenzen und Teile unterschiedlichen Charakters.

Keine einfach zu singende Musik. Doch Sourcework gibt den einzelnen Stücken unterschiedliche Atmosphären und erzählt durch die lateinischen Texte die Handlung der Lieder nach. Manchmal, ganz selten, klappern Einsätze und unsichere Einsätze sind hörbar. Doch dann sind die Melodien und Harmonien wieder so leicht verständlich und expressiv, dass es wie Filmmusik anmutet.

Mit Weißwein noch besser

Doch wie soll ein solches Repertoire nun aufgeführt werden? Diese Frage stelle ich nachher dem Tenor des Ensembles bei einem Grünen Veltliner. Er lacht nur. Das sei ein schwarzes Loch, man wisse es schlichtweg nicht. Welche Klangfarbe die Stimme haben soll, wer welche Stimme singt, wie der Text auf die Noten verteilt wird – da entständen durch die Forschung eher mehr Fragen, als das Antworten gefunden würden. Beim Tempo habe man sich an der Differenzierung von 4/4-Metrum und alla-breve-Stücken gehalten (die dementsprechend schwungvoller zu musizieren seien). Und wie unterstützt die Forschung nun seine Musikertätigkeit, hake ich noch nach. Ein Verständnis für diese Musik, das sei zunächst das wichtige. Ein Wissen darum, wie die Musik Senfls und seiner Zeitgenossen konzipiert sei und welchen Prämissen sie folge.

Die „New Senfl Edition“ braucht wohl noch einen ähnlich langen Atem wie es die Musiker*innen brauchten. Eine Edition, die auf über 15 Jahre, in fünf Teilen angelegt ist, birgt immer das Risiko, dass Förderungen gestrichen werden oder das Personal in zu großen Teilen durchwechselt. Das nächste Modul ist jedoch bewilligt, junge Forscher*innen aus Wien werden sich nun dem nächsten großen Trumm Musik, den Proprienvertonungen annehmen. Doch wenn diese Arbeit Früchte zeigt und die edierte Musik letztendlich erklingt, dann ist ein großer Meilenstein getan.

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