Farbexplosion à la parisienne

Ein klangfarbliches Abenteuer mit überraschendem Finale: Das Orchestre de Paris, Manfred Honeck und Kirill Gerstein erkundeten mit drei sehr unterschiedlichen Werken der Frühmoderne verschiedene Seiten der erweiterten Tonalität im Konzerthaus.

Ernst Opplers Walzereindruck 1929 /// Wikimedia (c)

La Valse, eine Reise durch den Lebenszyklus eines Walzers, von Geburt über Blütezeit bis zum letztendlichen Untergang, machte den Anfang dieses Abends. Im typisch französisch-impressionistischen Stil wurde der Walzer mit mysteriös schwebenden Crescendi als neue Lebensform aus dem Boden gestanzt und fand folglich in simplen, aber kräftigen Walzer-Rhythmen, aus denen, dem Publikum sehr zur Freude, dank Honeck auch ein Hauch Wiener Flair herauszuhören war, seinen Höhepunkt. Doch erst danach schien das Orchester sein wahres Selbstbewusstsein hervorzubringen.

Zerstörte Harmonien und unterbrochene Rhythmen wurden von einer immer mehr zum Vorschein kommenden, aber perfekt abgestimmten Rauheit des Orchesters komplimentiert. Das Wiener Publikum erlebte eine komplette Zerschlagung ihres kurz davor noch so elegant erklingenden Walzers. Ein musikalisch chaotischer, aber von Honeck mit großen Gesten und viel Eleganz sorgfältig und kontrolliert zu Ende gebrachter Tod. Was ihn bei Brahms so großartig macht, setzte er auch bei Ravel um.

Groovy Jazz-Interlude

Aus Impressionismus wurde Jazz - genauer gesagt George Gershwins Konzert für Klavier und Orchester. Solist Kirill Gerstein fand sofort den Groove. Spielerisch plätschernde Akkorde und lockere Läufe in beiden Händen schienen das Publikum in ein angenehmes Gemüt zu bringen, welches es auch in die Pause mitnahm. Die mitwippenden Köpfe und Füße des Orchesters bezeugten auch von dessen Seite ein gewisses Selbstbewusstsein.

Die Leichtigkeit am Klavier führte allerdings auch Schwierigkeiten in der Percussion-Sektion, welche vor allem im Mittelteil des Concertos nur schwer den Rhythmus zu finden schien. Ein Haken, der allerdings spätestens mit den kurz darauffolgenden triumphalen Klängen der Streicher in typischer Gershwin-Manier wiedergutgemacht wurde. Ähnlich wie bei Ravel wahren diese stolzen Melodien der künstlerische Höhepunkt des Stückes, welches durch Oscar Levants Jazz-Standard Blame it on my Youth als Zugabe seitens Gerstein abgeschlossen wurde.

Bartók… und Richard Strauss?

Harmonischer Destruktion und amerikanischem Groove wurde letztlich noch eine Prise ungarischer Folklore-Musik beigemischt. Eine Welle an unheimlichen Streicherklängen eröffneten ein das Concerto Sz 116 voller Soli und Duetten, die fast jedes Instrument des Orchesters inkludiert. Doch trotz einer flawless execution all dieser Soli und bemerkenswerten rhythmischen und harmonischen Übergängen schien das Publikum nicht sehr beeindruckt. Anstatt eines Concertos, das jedes Instrument gleichmäßig ins Rampenlicht stellt, wurde es eher als unübersichtlich zusammengewürfelte Sammlung an Ideen gesehen, und der eher schleppende Applaus schien gerade mal genug, um Honeck ein drittes Mal auf die Bühne zu rufen. Doch dieser wusste, wie die Situation zu retten war: Mit einem richtung Trommel ausgestreckten Arm leitete er, bevor er überhaupt das Dirigentenpult erreicht hatte, den Walzer aus Richard Strauss’ Rosenkavalier ein.

Der im ersten Teil des Konzerts noch so aggressiv zerstörte Tanz kam mit Wiener Charme wieder zum Leben. Standing Ovations und „Bravo“-Rufe von allen Seiten. Manfred Honeck weiß eben, wie man das Gemüt des Wiener Publikums wieder zurückgewinnt.

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