“Musik braucht Raum zum Atmen”
26 und längst Stardirigent: Klaus Mäkelä über Instagram als Fundgrube für neue Musik, worüber er nachts grübelt und welchen zeitgenössischen Komponisten er schon jetzt für einen modernen Klassiker hält (you wouldn’t guess).
Bohema: Du bist 26 und seit Jahren ein sehr erfolgreicher Dirigent. Wie genervt bist du von all den Fragen á la: ‘Sie sind so jung, wie finden Sie Zugang zu Mahlers Spätwerk?‘
Klaus Mäkelä: Ich habe mich dran gewöhnt. Solange Journalist*innen und nicht Musiker*innen fragen, ist alles in Ordnung.
B: Finn*innen stehen im Ruf, geborene Rennfahrer*innen zu sein. Fährst du gerne? Werden wir dich aus einem heißen Porsche aussteigen sehen?
M: (Lacht) das wäre toll, ich habe aber leider noch keinen Führerschein. Aber ich würde sehr gerne fahren...
B: Wie schaffst du es, dich bei deinem übervollen Kalender ständig wieder aufzuladen?
M: Ich versuche, in Proben genauso intensiv zu spielen, wie im Konzert. Man kann sich sowieso nur so wirklich vorbereiten. Wenn du einem Orchester viel Energie gibst, geben sie dir auch viel zurück, du fühlst dich erfrischt danach. Das hält mich am Leben.
Und ich esse jede Menge Bananen...
Ich glaube, Herbert Blomstedt (94) macht immer noch mehr Konzerte als ich (schmunzelt), er ist in vielerlei Hinsicht ein großes Vorbild.
B: Du hast vor kurzem alle Sinfonien von Sibelius aufgenommen. Wie hat diese wirre Covidzeit die Aufnahmen beeinflusst?
M: Wir hatten im Lockdown sehr viel Zeit, im ganzen Frühling spielten wir nur Sibelius. Das war toll, es ist nicht einfach einem Orchester die Sprache von Sibelius schnell beizubringen. Die Balance, die ewigen Synkopen... Wir mussten zudem 1,5 m Abstand halten, passten kaum auf die Bühne. Aber die Distanz erforderte von allen mehr Verantwortung. Ein interessanter Nebeneffekt.
B: Ich durfte die 3. und 4. Sinfonien vorab anhören. Obwohl das Mastering noch nicht fertig war, hat mich besonders in der 4. der tief-dunkle Sound sehr beeindruckt. Ist das eine Richtung, in die du den Klang des Orchesters als Chefdirigent generell entwickeln möchtest?
M: Genau das war unsere Intention, die 4. ist wirklich ein sehr dunkles Werk. Natürlich muss es eine Klangidentität des Orchesters geben, ich liebe sehr den Sound von Oslo Filharmonic. Er ist stark und selbstbewusst, den russische Einfluss aus Mariss Jansons‘ 20 Jahren als Chef hört man immer noch. Aber vor allem muss ein modernes Orchester flexibel sein, verschiedene Epochen verschieden spielen.
Zum Glück leben wir nicht mehr in Zeiten, als auch Mozart wie Richard Strauss gespielt wurde
B: In meinem letzten Interview sprach ich mit Emmanuel Tjeknavorian viel über Tempo. Wir waren uns einig, dass in den letzten Jahrzehnten alles schneller wurde. Die 4. hast du deutlich langsamer gespielt als Esa-Pekka Salonen, sogar langsamer als Karajan und Roschdestwenski (er amüsiert sich). Ist das im Sinne von Sibelius?
M: Das Tempo ist immer sehr spannend, gerade bei Sibelius. Die ersten Aufnahmen aus den 20-ern vom Sibeliusfreund Robert Kajanus waren fürchterlich schnell! Die nächste Generation machte alles etwas langsamer und heute ist es wieder schneller. Ich finde, Musik braucht immer Raum zum Atmen, zumindest, wenn es Musik ist, die fließen soll. Aber das ideale Tempo hängt stark von der Akustik ab. Wenn aber zum Beispiel Bartók schreibt, diese Seite soll 1:38 dauern, dann soll man versuchen, das einzuhalten.
B: Findest du, Dirigent*innen sind grundsätzlich berechtigt, Anweisungen von Komponist*innen zu ignorieren?
M: Man muss einen wirklich guten Grund finden, um Sachen anders zu machen.
B: Ist ‘so klingt das bombastisch‘ schon ein guter Grund?
M: Nein! Nein! Niemals! Wenn man ein Konzept hat, ein größeres Ziel verfolgt, dann vielleicht. Die Frage nach den Tänzen bei Mahler, ist zum Beispiel spannend. Sie sind meist untanzbar, darf man sie tänzerischer gestalten? Über sowas kann man nachdenken.
B: In Zeiten der florierenden Originalklangbewegung trauen sich viele Orchester nicht mehr, Barockmusik zu spielen. Du führst aber mit Oslo diese Saison Bachs H-Moll-Messe auf. Fühlst du dich dabei besonders beobachtet?
M: Wie so oft bei Trends, war auch die Originalklangbewegung am Anfang sehr strickt, etwas pedantisch. Mittlerweile sind die Menschen aufgeschlossener. Aber ich spiele mit einem großen Orchester nur selten Bach, es gibt so viele gute Barockensembles. Wir haben zwar keine Barockinstrumente, spielen aber in einer kleineren Besetzung und mit einer möglichst barocken Rhetorik. Letztlich sollte jegliche tonale Musik nach der Grundidee des Barock gespielt werden: Spannung und Entspannung.
Ein Orchester, das guten Bach spielt, wird auch einen guten Strauss spielen.
B: Ende der letzten Saison berichtete mir Konzerthauschef Matthias Naske begeistert von deinem Sibelius-Zyklus im Mai. Er meinte, Sibelius sei nicht das ‘beliebteste Stammrepertoire‘ in Wien, dieses Programm hätte er wegen eurer Authentizität aufgenommen. Außer in Wien werdet ihr die Sinfonien nur in der Elbphilharmonie in Hamburg aufführen. Ist es schwer heutzutage Sibelius zu verkaufen? Wollten Paris und London diesmal keinen Sibelius?
M: (Lacht) Sibelius ist letzter Zeit wieder populärer als früher. Er hat eine seltsame Rezeptionsgeschichte, in Amerika ist er seit in den 30-ern immens populär. Auch in England war er immer schon ein Liebling, vergleichbar mit Elgar und Vaughan Williams. Aber in Deutschland, Österreich und besonders in Frankreich hatte er es lange schwer. Heutzutage hat er auch hier ein besseres Standing. In diesem Fall wollten wir aber nur in Wien und Hamburg spielen, wegen unserer Residenzen.
B: Fühlst du dich durch den wirtschaftlichen Aspekt generell eingeschränkt in der Programmierung?
M: Nicht mehr sehr, als künstlerischer Leiter hat man mehr Freiheiten. Im besten Fall entsteht irgendwann ein Vertrauen des Publikums. Bei der Saisoneröffnung in Oslo haben wir zum Beispiel Mozarts C-moll-Messe vor der Pause, und Sustain von Andrew Norman danach gespielt. Und ich war sicher, die Hälfte des Publikums würde in der Pause gehen. Ich glaube, drei Leute gingen (lacht). Manchmal muss man riskieren, das Publikum weiterbilden.
B: Du hattest im September dein Debüt in Wien, gar nicht als Dirigent, sondern als Cellist, unter anderem mit Julian Rachlin. Meinst du, er hat dich mit Janine Jansen in Verbier spielen gesehen und meinte, das könne er längst?
M: Wir kennen uns mit Julian seit einer ganzen Weile. Als wir uns das erste Mal trafen, wir spielten Strawinski in Hannover, fühlte es sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Er ist ein wunderbarer Musiker und Mensch.
B: Wie findest du eigentlich neue Musikstücke, die du dirigieren möchtest?
M: Social Media ist eine gute Quelle, wenn Kolleg*innen etwas posten, schau ich mir das oft an. Die ganzen Lockdownstreams waren auch sehr praktisch aus dieser Hinsicht. Ich frage aber auch oft Kolleg*innen direkt, was das beste Stück aus den letzten zehn Jahren ihrer Meinung nach sei. So habe ich auch Andrew Norman gefunden, ich hatte dem Geiger Pekka Kuusisto diese Frage gestellt, er meinte, das sei Play von Norman. Auch andere haben mir dieses Stück empfohlen, da habe ich es angehört und fand’s toll. Oft dirigiere ich auch Auftragswerke von Orchestern. Das ist irre spannend, man kann nie wissen, was da rauskommt.
B: Auch das Repertoire ist ja riesig, gehst du auch da ähnlich vor bei der Suche nach Neuem?
M: Ja, zum Glück sind Dirigent*innen meist sehr nett zueinander, man gibt sich Tipps und Vorschläge. Ich versuche dann immer Andere von Sibelius zu überzeugen. In Verbier habe ich Antonio Pappano bearbeitet, ich habe auf YouTube Die Okeaniden mit ihm und dem LSO gesehen, das war wunderschön. ‘Bitte, mach doch auch die 6. und die 7!‘ Er war nicht sehr überzeugt, wäre aber ein großartiger Sibelius-Dirigent.
B: Gibt es Komponist*innen, die du in nächster Zeit mehr spielen möchtest?
M: Ja, zum Beispiel Sauli Zinovjev. Wir haben erst vor kurzem mit Víkingur Ólafsson sein neues Klavierkonzert uraufgeführt. Das war ein wirklich gutes Stück, zehn von zehn (sehr begeistert). Und natürlich Andrew Norman.
Norman ist wirklich ein moderner Klassiker unserer Zeit
Ich würde aber auch gerne mehr von finnischen Komponisten nach Sibelius spielen, von Leevi Madetoja, Erkki Melartin. Manchmal grüble ich nachts, es wäre so toll, eine Melartin-Sinfonie zu geben, ich bin aber nicht sicher, ob das für internationale Bühnen stark genug ist.
B: Rüttelst du generell gerne am heiligen Repertoire?
M: Ich versuche, in jedem Konzert zumindest ein neues Stück zu spielen. Orchestermanager denken oft, moderne Sachen könnte man schlecht vermarkten, weil das früher oft so war. Aber wenn man zum Beispiel unbedingt Lutosławski spielen möchte, wovon mir alle abraten, kann man eine*n Topsolist*in/en verpflichten. Für Leif Ove Andsnes wird in Norwegen der Saal sogar zehn Tage hintereinander voll sein, auch wenn in der ersten Hälfte moderne Musik gespielt wird. Es geht aber momentan weltweit in eine gute Richtung, es wird mehr Diversität gelebt.