Immer diese Stiefmütter
Kindermord, bitteres Elend und phänomenale Musik: Grande Finale des Theaters an der Wien mit Janáčeks Jenůfa, bevor es für über zwei Jahre renoviert wird.
Es ist nicht bloß die letzte Premiere der Spielzeit, sondern gleichzeitig der Abschied von dem langjährigen Intendanten Roland Geyer und die letzte Produktion vor der Renovierung des Theaters an der Wien. Dafür hat man sich eine ganz besondere Regisseurin ans Haus geholt, die in Wien vor allem schon als designierte Volksoperndirektorin bekannt ist: Lotte de Beer. Sie beschert einen Opernabend vom Feinsten ohne dabei groß aufzuregen.
Das vielgeliebte Mädchen Jenůfa hat sich das Leben anders vorgestellt, wie sie sich im Laufe der Oper selbst eingestehen muss: Ihr Geliebter Števa lässt sie schwanger sitzen, ihr Verehrer Laca zerschneidet in Rage ihre Wange und versteckt muss sie das Kind gebären, das im Frühling tot unter schmelzendem Eis gefunden wird. Mit Rat und Tat steht dem ursprünglich so lebensfrohen Mädchen dabei immer die Küsterin, ihre stolze und sie liebende Stiefmutter zur Seite. Lotte de Beer präsentiert die Oper aus der Retrospektive dieser Küsterin, die aus gutem Willen zur bösen Stiefmutter wird und die ganze, schreckliche Geschichte noch einmal durchzudenken scheint.
Alptraumhafte Allegoriefiguren
Auf der Bühne (Christof Hetzer) sieht man einen einstöckigen, ruinenartigen Gebäudeausschnitt, der als drehbarer Komplex zum Schauort der tragischen Handlung wird. Drei Akte und somit drei Jahreszeiten lang ist diese Kulisse, in verschiedenem Licht und von verschiedenen Seiten gesehen, sehr wandelbar. Sie lässt genügend Platz für die teilweise volkstümlichen Kostüme (Jorine van Beek) und die alptraumhaft herumgeisternde Gruppe einer Schwangeren, die von dämonisch aussehenden Peinigern verfolgt wird. Gruselig sind die Schatten ihrer Masken und Kreuze, die an die graue Wand geworfen werden und zwischendurch an das Ausmaß der Situation und die gesellschaftlichen Folgen einer unehelichen Schwangerschaft erinnern.
Lotte de Beer erarbeitet mit dem Ensemble nicht nur sehr ausdrucksstarke Charaktere, sondern auch einprägsame Szenen und Bilder. Die Tragik der Handlung kommt dabei ganz natürlich aus den Figurenkonstellationen und gegenseitigen Konfrontationen, ohne künstlich oder konstruiert zu wirken. Besonders gelungen war die Spannung, die erzeugt wurde, als Števa mit seiner neuen Verlobten zur halbherzigen Hochzeit von Jenůfa und Laca kam –
Situationstragik vom Feinsten.
Janáček war einer von wenigen tschechischen Komponisten, die mit einer Oper international begeisterten beziehungsweise noch immer begeistern. Vor allem Jenůfa, ein Werk, bei dem er auch die menschliche Sprache miteinbezog, ist ein musikalischer Leckerbissen, der seinesgleichen sucht. Die Besetzung des Theaters an der Wien wird Musik, Schauspiel und Sprache gerecht: Der gebürtige Tscheche Pavel Černoch streitet sich als sehr überzeugender Laca mit dem gefeierten Tenor Pavol Breslik um eine junge, elegante Jenůfa von Svetlana Aksenova. Eine Liga für sich bleibt allerdings Nina Stemme, die sich als höchstdramatische Küsterin vokal von den „jugendlichen“ Figuren abhob.
Besonders viel Applaus erhielt auch das RSO unter Marc Albrecht, das - wie Lotte de Beer sagte - als „Seele“ dieser Oper mitriss und rührte.
Es gibt noch Restkarten für die letzten drei Vorstellungen am 24., 26. und 28. Februar, für Student*innen unter 27 ab 20 Minuten vor der Vorstellung um 20 € für jede Kategorie.