Bohema Magazin Wien

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Muss Kunst wirklich alles dürfen?

Hakenkreuze und Hitlergrüße in Kunstinstallationen - über Segen und Fluch der grenzenlosen künstlerischen Freiheit.

Foto: Jörg Koopmann

Der Kulturteil einer Tageszeitung ist eine Sache für sich – entweder, man legt ihn aus Prinzip zur Seite, oder man liest ihn gespannt auf Neuigkeiten mit größter Freude durch. Doch ab und zu können selbst diejenigen, die das Feuilleton an sonst nicht zu schätzen wissen, nicht mehr wegschauen. Zum Beispiel, wenn es plötzlich um einen deutschen Künstler geht, der Hitler nachstellt, sich als NS-Soldat verkleidet und regelmäßig Hakenkreuze in seine Kunstinstallationen einbezieht.

Spätestens wenn sich dann auch noch die Frage stellt, ob es denn tatsächlich gerechtfertigt sei, jenen Künstler von renommierten Kulturveranstaltungen auszuladen, dürften sich bei den meisten Menschen die Haare aufstellen. Mir ging es zumindest so, als ich vor ein paar Wochen das in Großformat gedruckte Bild von Jonathan Meese in der Zeitung sah, dem Mann, der behauptet, zensiert worden zu sein, da seine verherrlichend wirkenden Darstellungen vom Nationalsozialismus in der Kulturszene nicht mit freudig-offenen Armen empfangen werden.

“Man muss ja mit den Dämonen spielen, das verstehen die Leute ja nicht. Ich habe keine Angst vor Hitler, oder vor anderen, die so dämonisiert werden. Für mich ist das Spielzeug.”

Um das noch einmal in Erinnerung zu rufen – es handelt sich hierbei um ein Regime, das vor nicht einmal 100 Jahren Millionen von Menschen auf grausamste Weise gejagt, gefoltert und ermordet hat, dessen Gedankengut manchen Menschen immer noch tief in den Knochen sitzt und unsere Gesellschaft weiterhin traumatisiert und spaltet. Kunst darf – und sollte – sich natürlich auch mit Nationalsozialismus beschäftigen. Aber wenn ein Kunstwerk mir denselben eisigen Schauer über den Rücken jagt wie Propaganda, die Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitet wurde, hat das nur noch wenig mit Kunst zu tun. Oder?

Die UNESCO bezeichnet künstlerische Freiheit als “die Freiheit, vielfältige kulturelle Ausdrucksformen zu erdenken, zu schaffen und zu verbreiten - ohne Zensur durch Regierungen, politische Einflussnahme oder Druck von nicht-staatlichen Akteur:innen”. Sie schließt das Recht aller Bürger:innen auf Zugang zu diesen Werken ein und ist für das Wohlergehen von Gesellschaften unerlässlich.

Eine sehr offene Definition, die keinerlei Einschränkungen beinhaltet und Künstler:innen erlaubt, sich aller Mittel zu bedienen. Kunst muss unabhängig sein und darf sich weit entfernt von politischer Korrektheit und Interessen Dritter frei bewegen. Das zieht allerdings auch mit sich, dass Künstler:innen wie Jonathan Meese tatsächlich ungerecht behandelt werden, wenn sie in ihrem Ausdruck eingeschränkt werden. Kann es sein, dass das uns geläufige Konzept von künstlerischer Freiheit für die heutige Zeit nicht mehr passend ist? Oder ist diese Fragestellung an sich schon ein Angriff auf Kulturschaffende?

Wider: Wo Gewalt anfängt, hat Kunst ein Ende

Dass Kunst nicht von Politik verboten, verurteilt oder in irgendeiner Weise an die eigenen Vorstellungen angepasst werden darf, ist Teil des demokratischen Systems, das wir in Österreich haben. Aber was passiert, wenn man Menschen grenzenlos das tun lässt, was sie möchten? Kreativität kann sich entfalten, Innovationen hervorgebracht werden, Abbilder der Gesellschaft und verschiedenen Sub-Gesellschaften geschaffen werden. Künstlerische Freiheit ermöglicht Selbstreflektion und Weiterentwicklung. Und doch sollte es Grenzen geben – Kunst darf nicht zu einer Fluchtstätte für Extremisten werden, die ihr Gedankengut auf keinem anderen Weg ausdrücken dürfen.

Es kann für keine Institution vertretbar sein, Werke an die Öffentlichkeit zu bringen, die Schmerzen, Traumata und Hass heraufbeschwören. Auch Künstler:innen können sich der Wiederbetätigung schuldig machen und Kriminaldelikte begehen. Und wie bei jeder anderen Personengruppe auch, darf man das nicht einfach weglächeln, solange nur nichts passiert. Denn wir alle wissen mittlerweile, was passiert, wenn man zu lange wegschaut.

Für: Kein persönliches Wachstum ohne Grenzüberschreitungen

Es gibt Stimmen, die sagen, dass unsere Vorstellungen von Richtig und Falsch sich ohne Übertretungen dieser gar nicht erst manifestieren könnten. So wie jede/r Pubertierende sich im Prozess des Erwachsenwerdens selbst ergründen muss, so muss es auch eine Gesellschaft tun, wenn sie an sich selbst wachsen möchte. Doch, gleich wie bei jeder Person in dieser bedeutungsvollen Zeit zwischen 13 und 19 Jahren, muss sich auch eine Gesellschaft fragen: wohin denn wachsen, in welche Richtung(en)?

Im Allgemeinen beantwortet diese Frage die von uns gewählte Politik. Doch genauso wie ein Teenager sich selbst ausprobieren und hinterfragen muss, um zu erfahren, wo es ihn tatsächlich hinzieht, so müssen sich auch Gesellschaften fragen, was für sie in Ordnung ist und was nicht. Da sie sich in einem ständigen Wandel befinden, am besten immer wieder. Was gesellschaftlich (in-) akzeptabel ist, wo Konflikte gelöst werden müssen – das kann uns nichts so gut vor Augen führen wie die Kunst. Welchen Bildern und Ideen wenden wir uns zu, welche werden abgelehnt? Wie weit kann man gehen? Das in Erfahrung zu bringen ist essenziell, identitätsstiftend.

Die Diskussionen, die durch derartige Situationen zwischen diversen Personenkreisen entstehen, sind ausschlaggebend für das Wachstum einer Gesellschaft, für den Dialog und das Finden eines gemeinsamen, einenden statt trennenden Kurses. In diesem Sinne wäre es wichtig, dass künstlerische Freiheit weiter unbeschränkt bleibt und uns weiterhin auch immer wieder schockiert.

Was darf also Kunst denn nun?

Der Mehrwert von künstlerischer Freiheit kann so groß sein, dass er den Schaden, den Anstößigkeiten bereiten, möglicherweise sogar übersteigt. Solange wir in einem Land leben, in dem Kritik und Hinterfragungen wie diese hier möglich sind, müssen wir uns vermutlich nicht allzu große Sorgen machen. Natürlich muss es möglich sein, an einem bestimmten Punkt zu sagen „Das reicht jetzt, so geht das nicht“. Bei verherrlichenden Darstellungen vom Nationalsozialismus und dessen Begründer könnte ein solcher Punkt erreicht sein. Dennoch muss man auch derartiger Kunst zugestehen, dass sie uns unsere eigenen Grenzen aufzeigt und eventuell auch auf tieferliegende Probleme in einer Gesellschaft hinweist.