nach miniano
Überfliegerin Rahel spricht über das Sichtbare in der Kunst, musikalische Vorlieben und ihr neues Album miniano.
Die letzten Jahre ist Rahel gemeinsam mit ihrem Produzenten Raphael Krenn in der Wiener Indie-Pop-Szene umtriebig und bleibt durch ihre eigensinnigen Texte und lebhaften, fast exzentrischen Bühnenauftritte im Gedächtnis. Rahel hat zuletzt ihre fünfte EP grütze - bist du gut im atmen veröffentlicht. Nun ist ein erstes komplettes Album heraußen.
Bohema: In einem Interview vor drei Jahren hast du einmal gesagt, du willst du selbst sein auf der Bühne - Stichwort: Radikal Rahel. Kannst du das vielleicht ein bisschen näher ausführen?
Rahel: Viele haben mich gefragt und tun es auch noch immer, warum ich denn radikal sein mag - ich heiße auf Instagram Radikal Rahel - und daraufhin habe ich gesagt, ich mag eigentlich gar nicht unbedingt radikal sein. Ich mag radikal Rahel sein. Dieses „Rahel“, das kann für alles Mögliche stehen, dass ich radikal sanftmütig sein mag, radikal leise. Es können auch all diese Dinge sein, die man nicht mit radikal assoziiert, und das macht mir irgendwie Spaß, weil mir das die Freiheit gibt, für mich selbst zu definieren, was das bedeutet. Also radikal Rahel bedeutet jetzt nicht, dass ich hauptsächlich linksradikal sein mag, was nicht heißt, dass ich es nicht manchmal auch sein mag.
B: Du hast dich ja bei dieser Aussage auch speziell auf die Bühne bezogen. Wenn man jemand selbst ist und nicht jemand anderes, ist man da nicht auch verletzlicher oder angreifbarer?
R: Wahrscheinlich schon, aber das ist das Schöne auf der Bühne, dass man da so sein kann, wie man ist, wie man sein will. Wenn man sich im Alltag so verhält und bewegt wie auf der Bühne, dann wundern sich vielleicht manche Leute. Ich habe manchmal von meiner Familie gehört: „Du bist doch gerade gar nicht auf der Bühne, benimm dich doch ein bisschen gemäßigter!“ Ich finde es wichtig, dass man auch die Rampensau im Alltag auslassen darf. Auf der Bühne ist es okay und auch erwünscht. Und das ist sehr schön.
„im besten Fall nach miniano“
B: Du kommst aus einer alternativen WG im Waldviertel. Was hat die Stadt mit dir gemacht, in der du jetzt wohnst und arbeitest?
R: Die Stadt hat mit mir gemacht, dass ich das Land sehr vermisse. Die Stadt hat mit mir gemacht, dass ich kleinen Hunden nachrennen muss und versuche sie zu streicheln, weil mir so sehr die Natur fehlt. Ich bin mit ganz vielen Tieren aufgewachsen. Vor kurzem ist ein Pferd gestorben, das damals sehr wichtig für mich war. Ich war auch bei der Geburt von der Tochter dieses Pferdes dabei. Das war eine sehr große Idylle und das fehlt mir oft.
B: Was ist denn dein Lieblingsort, abgesehen von zu Hause?
R: Gerade eben die Natur und dieser Ort, wo ich geboren wurde. Ich bin hinter dem Ofen auf die Welt gekommen, in einem Haus. Abseits von zu Hause - vielleicht sehr kitschig - die Bühne.
B: Also kein konkreter Ort, sondern eher ein Zustand?
R: Ja, voll. Oder, wenn man so will, auch miniano, wie meine Platte heißt, denn miniano ist für mich auch ein bisschen ein Zustand, so ein Seinszustand und irgendwie ein Platz, den man erreicht, wenn man nicht so sehr auf das hört, was die Gesellschaft will und sich selbst vertraut. Dann kommt man im besten Fall nach miniano.
Medien und Meinungen
B: Schön. Kommen wir zu was anderem. Wie und auf welche Arten konsumierst du Medien?
R: Boah, ich konsumiere Medien wie eine Suchtkranke. Ich bin schon ziemlich handysüchtig, was oft auch wirklich keinen Spaß macht. Ich wünschte manchmal, dass ich das nicht wäre. Ich konsumiere nicht so viel Zeitung, wie ich eigentlich will, weil ich merke, dass es mir nicht guttut. Ich habe Zeiten gehabt, wo ich sehr, sehr regelmäßig Nachrichten verfolgt habe, aber im Moment fällt mir das sehr schwer, weil es mich sehr fertig macht. Ich hatte mal den Falter abonniert, die vielen neuen wöchentlichen Ausgaben haben mich dann aber sehr gestresst. Dann hatte ich den Anspruch, ich muss alles ganz genau lesen, das ist aber irgendwie nicht möglich.
B: Würdest du sagen, dass du ein politischer Mensch bist?
R: Ich glaube schon. Nicht immer. Ich glaube, ich wäre vielleicht ein politischerer Mensch, wenn ich's mehr aushalten könnte, auch wirklich viel Medien zu konsumieren. Aber es ist ja ganz vieles politisch, auch das Private. Ich würde schon sagen, dass ich ein politischer Mensch bin. Aber ich wäre es gerne noch mehr.
B: Impulsfrage - David Bowie oder Elton John?
R: Bowie.
B: Kate Bush oder Nena?
R: In letzter Zeit werde ich öfter mit Kate Bush verglichen, und das freut mich immer voll. Nena war für das Genre Neue Deutsche Welle sehr wichtig, hat aber für mich irgendwie so eindimensionalere Sachen gemacht. Ich würde dann Kate Bush sagen.
B: Du bist mit deiner Musik hörbar, aber auch deinen eigenen Aussagen nach, stark vom New Wave bzw. von der Neuen Deutschen Welle beeinflusst. Gibt es irgendeine Faszination für die Musik und die Ästhetik der 80er-Jahre?
R: Ich habe schon auch viel Nena gehört. Nina Hagen ist ganz toll. Ich habe Annette und Inga Humpe sehr gerne gehört und höre ich immer noch. Ich bin auch persönlich von diesen Frauen-Figuren inspiriert. Ich liebe Ideal – auch wenn es gerade wieder sehr gehypt ist, habe ich das Gefühl – aber es ist einfach eine tolle Band, die tolle Texte schreibt, die mit sehr wenig Silben und Worten viel sagen. Blaue Augen ist so ein Lied. Nena mit Achselhaaren war damals schon ziemlich wichtig. Ich glaube, die ganze Bewegung war aber teilweise schon auch sehr klamaukig. Paula Carolina hat dieses ganze Neue Deutsche Welle-Ding sehr genau studiert und dann versucht es in die Jetzt-Zeit zu übersetzen. Das finde ich spannend.
B: Gibt es bei dir ein besonderes Interesse, Faible oder ein Desire, von dem du glaubst, dass das nicht so viele mit dir teilen - etwas, das nicht so konventionell ist?
R: Das ist eine sehr schöne Frage, aber mir fällt gerade nichts ein.
B: Vielleicht kommen wir nochmal darauf zurück. Im Song zum tag des barsches singst du: „Die Leute sagen Sachen, die uns gar nicht interessieren.“ -Was zum Beispiel, oder anders gefragt: Was nervt dich an der heutigen Gesellschaft?
R: So eine Fantasielosigkeit nervt mich manchmal. Mich nervt immer noch, dass es sehr viel Sicherheitsdenken gibt in der Gesellschaft und, dass so etwas wie Musik kein Beruf ist. Dass viele immer noch glauben, man muss auch gar nicht genug Geld dafür kriegen, weil man das eh nur zum Spaß macht. Das zum Beispiel. Extrem nervt mich sowas wie Rechtsruck. Mich nervt, dass es immer noch so viele Obdachlose gibt. Ganz, ganz vieles ist wahnsinnig nervig, ja.
„Es ist schön, auch mal an nichts zu glauben.“
B: Ein von dir vor Kurzem erschienenes Lied heißt: nicht mal nihilist. Es gibt so viele Möglichkeit der Informationsbeschaffung durch verschiedene Kanäle und Medien - gibt es überhaupt noch irgendetwas, woran man glauben kann?
R: Ja, das ist die große Frage. Dieses Lied behauptet, es ist schön, manchmal auch mal an nichts zu glauben. Man kann es, glaube ich, auch als etwas Beruhigendes sehen, dass man sich denkt, das ist alles nicht so wichtig, weil es vielleicht eh gar keinen so erkennbaren Sinn hat. Das Lied befreit sich irgendwie von dem, dass man auch einen Sinn erkennen muss. Und ich finde, das kann sehr angenehm sein. Das Lied ist sicher auch eine Antwort auf Unsicherheit, was die Zukunft betrifft.
B: Was ist dein Lieblingstier?
R: Ich mag wirklich sehr viele Tiere. Ich kann nicht sagen, welches ich am meisten mag. Ich sag dir, was ich nicht mag: Blutegel. Und mir ist jetzt was eingefallen bei dem Faible: ich glaube, ich werde mal so eine schrullige, alte Frau sein, die so kleine Miniaturdinge mag. Ich mag irrsinnig gerne alles, was klein ist: kleines Geschirr, kleine Modelle, kleine Landschaften - und das zeigt sich nämlich auch im Album wieder, unter anderem, weil ich mit meiner Sprache versuche, kleine Welten zu erschaffen. Schaffner haben wir im Königreich der Eisenbahnen gedreht, und das ist eine Miniatur von Wien.
„Dinge sehen, die vielleicht andere Leute nicht so leicht sehen“
B: Du hast auch ein bisschen Schauspielerfahrung. Wie sehr ist dir der visuelle Aspekt deiner Kunst wichtig?
R: Sehr wichtig. Ich träume davon, ein großes Budget zu haben, weil ich glaube, dass es vieles einfacher macht. Und ich hatte sehr viele Leute, muss man echt so sagen, die in den letzten Jahren einfach gratis für mich gearbeitet haben und mir geholfen haben, das visuell umzusetzen. Das ist ein großes Privileg, aber auch gar nicht gut. Viele Leute wissen nicht, wie viel das alles kostet.
B: Im Song wo gehst du hin später singst du den schönen Satz: „Du sprichst eine fremde Sprache mit deinem Gesicht.“ Was interessiert dich am Sehen, an Emotion oder Ausdruck - am Visuellen allgemein?
R: Ein Freund, der Maler ist, hat mal zu mir gesagt, dass es so schwierig ist, wirklich sehen zu können, und dass man das auch lernen muss. Gerade was Kunst oder gerade Malerei betrifft, würde ich mir manchmal wünschen, dass ich noch besser ‘sehen’ kann Und ich versuche, das Sehen noch mehr zu lernen. Klingt irgendwie blöd, aber ich kann gut Dinge sehen, die vielleicht andere Leute nicht so leicht sehen. Zum Beispiel ein ganz kleines Tier, das an irgendeinem komischen Ort sitzt, oder Wolken, die speziell ausschauen, oder manchmal sehe ich irgendwelche Bilder und denke mir, es schaut gerade sehr cineastisch aus. Da hätte ich gerne die Skills auch Film zu machen, aber das kann ich leider nicht. Deswegen bin ich dankbar, wenn es andere Leute können.
B: Wofür steht das neue Album inhaltlich?
R: Es sind sehr viele Themen, die hier vereint sind. Ich befasse mich viel mit so Sachen wie Tod, aber auch Feminismus, wenn man so will, mit der Frage, wie man gut leben und Hoffnung haben kann, obwohl alles so grau und trostlos ist. Deswegen heißt’s eben auch „miniano“, weil das dieser Ort ist.
B: Wie ist das für dich, das erste Album?
R: Jetzt ist es gerade richtig schön, Interviews zu geben, und wenn sich Leute für einen interessieren, ist das einfach ein Privileg. Und man hat sich ja auch einfach viele Gedanken gemacht, die man vielleicht mittlerweile wieder vergessen hat im Prozess. Aber es ist sehr schön, wen man erzählen darf, was man sich dabei gedacht hat. Ich hoffe, dass ich noch länger Musik mache und dass es nicht nur ein erstes Album bleibt.
RAHELs Auf die weiche Tour-Tour startet am 10. April in der Grazer Postgarage.
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