Qualitative Kunst, billiger Whiskey

James Lewis in der Galerie Hubert Winter - Eine Empfehlung für all jene, die nach neuen Sinneseindrücken suchen und mal wieder ein anderes Sofa zu Gesicht bekommen möchten als das eigene.

Foto: Simon Veres, Galerie Hubert Winter

Foto: Simon Veres, Galerie Hubert Winter

Ich personifiziere an dieser Stelle einmal ganz frech die Kunst und behaupte, dass sie sich in Wien recht wohl fühlt. Die Stadt hat künstlerisch ein vielfältiges Repertoire und schöpft aus großem kreativem Potenzial. Ob man sich im Kunsthistorischen Museum Caravaggios Rosenkranzmadonna anschaut, mit einem Dosenbier in der Hand am Donaukanal über die Graffiti von Golif und CASE Maclaim philosophiert oder sich Donnerstag abends zur Vernissage einer Galerie aufmacht - wer Kunst sucht, findet sie.

Die Galerie Hubert Winter stellt momentan einen internationalen Künstler aus, welcher sogar meint, dass die Wiener Kunstszene sich nicht hinter denen großer europäischer Kunstmetropolen zu verstecken brauche (we are coming for you, Berlin and Paris). Der gebürtige Londoner James Lewis lebt und arbeitet seit sechs Jahren in Wien. Eine Auswahl seiner neuesten Arbeiten ist noch bis zum 3. April in der Galerie zu sehen. Die Einzelausstellung mit dem Namen Injury ist die erste einer dreiteiligen Ausstellungsserie, welche sich alle auf unterschiedliche Weise mit Materialität im Kontext des künstlerischen Schaffensprozesses auseinandersetzen; wie das verwendete Material den künstlerischen Prozess inspiriert und umgekehrt.

Feuerknistern in Slow-Motion

An der großen Glasfront vorbei erreicht man den Eingang und betritt einen hellen, ruhigen Raum. Die Stille wird schnell durchbrochen, als eine Audiospur einsetzt - das Knistern eines Lagerfeuers in verlangsamter Form, durchsetzt von maschinellen Geräuschen, welche zur architektonischen Installation Imaginary Counter Power (2021) gehört. Das viereckige Gestell hat die Fläche von zwei mal zwei Metern, so viel, wie uns pandemiebedingt momentan im öffentlichen Raum an Platz zugestanden wird. Ein gelber Plastikvorhang umgibt das Quadrat und bildet eine Grenze zwischen dem Betrachter und dem schützenden, aber leeren Raum dahinter. Ganz leer ist er jedoch nicht. In der Mitte ist ein architektonisches Modell platziert, welches sich aus sich überschneidenden Formen zusammensetzt.

Geht man weiter, findet man sieben aus Aluminium gegossene, runde Objekte an den Wänden, Narrowly true but broadly misleading (2021). Die Zahlen auf den Objekten stehen für den Menschen betreffende Fakten, die Wörter sind vom Künstler dazugegeben. Das Menschenleben, dechiffriert in trockene Zahlen.

Im hinteren Raum findet man ein mit Beton überzogenes Sofa. In den Gläsern, welche auf und um das Sofa verteilt sind, befindet sich billiger Whiskey, dessen Geruch in der Luft liegt. Als mich James Lewis durch seine Galerie führte, sagte er mir, dass er dieses Werk, Dilivium (2021), unter anderem mit seinem Vater und Suchtverhalten verbinde.Eingerahmt wird die Ausstellung von zwei ebenfalls aus Aluminium gegossenen Straßenschildern mit ausgedachten Straßennamen. Kartographen zeichnen beim Erstellen von Stadtplänen nicht existente Straßen ein, damit illegale Kopien der Karten identifiziert werden können.

Lewis setzt sich in bedachter und alchemistischer Weise mit Raum, Zeit, Absenz und Zwischenmenschlichkeit auseinander. Ebenfalls bezieht er sich auf seine Herkunft aus der Graphikbranche, wo mit Wiederholungen und Vervielfältigungen gearbeitet wird und drückt in der Materialwahl seine Faszination dafür aus, dass alles, was geschaffen wird, eine Endlichkeit besitzt.

Kunsterlebnis für alle Sinne: Auch die Nase hat bei Lewis zu tun

Nicht nur visuell, sondern auch akustisch und olfaktorisch wird auf den Besucher eingewirkt und damit das Erleben noch verstärkt. Die Räumlichkeiten der Galerie geben der Ausstellung den gebührenden Raum. Auf meine Frage hin, ob er meint, der unwissende Betrachtende könne seine Intentionen und Konnotationen, welche er mit seinen Kunstwerken verbindet, verstehen, antwortete Lewis mir, dass es nicht die eine Wahrheit, die eine richtige Antwort in der Deutung seines Werkes gebe. Die Kunst sei frei für Interpretation und jede*r sei dazu eingeladen, eigene Interpretationen und Fantasie einzubringen. Und wenn seine Kunst es schaffe, Emotionen in den Menschen auszulösen, dann sei dies der größte Erfolg.

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