Reisesuchtinis: Grosze Klappe 4
Ich hoffe, die Reisesuchtentzugsklinik ist irgendwo in Italien oder Spanien. Sonst fahre ich fix nicht hin… Aretha, Fotodrang und Sex Education im grosz’schen Bullshit-Klappentext.
Ich glaube, wir sind reisesüchtig. Du, ich, unsere ganze Generation. Ganz korrekt müsste es heißen: Ich bin reisesüchtig und ihr alle scheint es auf Instagram auch zu sein. Eine gesicherte Zukunft? Irgendwann eine eigene Wohnung? Miete für Dezember? Wer braucht das schon, wenn man mal kurz nach Italien fahren kann. Ich glaube, wir fliehen vor der Realität, das ist jedenfalls, was ich mache. Macht ja grad nicht gerade Spaß, die blöde Realität… Woanders ist man aber plötzlich nur Zuschauer*in: Als belustigte Besucher*in erscheint die eklige Fast-Neonazi-Regierung der Meloni nur als ein kleines Lokalkuriosum, wenn sie einem überhaupt einfällt. Ist ja nicht mein Problem, ich wohne da nicht, ich wähle da nicht. So geht es euch wahrscheinlich in Ungarn. Orbáns totalitäres, scheinbar unumstößliches Scheißsystem verkommt beim Wochenendausflug nach Budapest zu einem interessanten Nebengeschmack im überteuerten Touri-Lángos.
Globale Erwärmung? Ist doch toll, wenn man für den Herbstpreis einen Sommertrip bekommt. Und wenn man doch im Sommer verreist, dann bleibt man halt tagsüber etwas länger im klimatisierten Zimmer, während draußen die Hitzeapokalypse wütet. Auch all die kleinen Problemchen scheinen zu verschwinden, wenn man wieder mal weg vom Fenster ist. Tatsächlich stapeln sie sich nur und überrumpeln dich dann umso heftiger, wenn du wieder zuhause bist. Aber hey, am besten, du weißt schon, wann du das nächste Mal weg bist, dann schmerzt das nur halb so stark.
Die Welt, eine Broadwaykulisse vor der Verschrottung
Dieser ganze globale Tourismusboom hat für mich etwas Endzeitliches. Damit meine ich gar nicht, dass die Flugzeuge, Kreuzfahrtschiffe und Autos, auch die schieren Menschenmassen, die täglich Venedig, Amsterdam und Co verstopfen, die Umwelt auf eine ganz vielfältige, nachhaltige Weise zerstören, und damit auch die Zukunft. Das natürlich auch. Mich erinnert dieser Drang aber, alle wichtigen Schauplätze der Geschichte persönlich zu sehen, unbedingt selbst ein Foto von ihnen schießen zu müssen, das erinnert mich an Schaulustige, die irgendeine berühmte Broadwaykulisse kurz vor knapp noch anfassen wollen, bevor sie verschrottet wird.
Das trillionste schräge Handyfoto vom Colosseum muss natürlich unbedingt sein. Ich glaube, unsere Generation muss deswegen ständig Fotos schießen, weil wir nicht so richtig glauben können, was wir sehen. What da fuck, das Ding steht wirklich seit der Römerzeit? Foto Foto. No way, außerhalb von Wien leben wirklich Leute, in so kleinen Häusern? Davon müssen wir ein Video machen aus dem Auto heraus, am besten auch noch posten. Was macht ihr eigentlich mit all euren Fotos? Ich ersticke nämlich darunter. Komme mit dem Löschen nicht hinterher. Andererseits brauche ich sie auch, manchmal habe ich das Gefühl, ich müsste meine Galerie der letzten Wochen studieren, um zu verstehen, wer und wo und warum ich eigentlich bin. Wirklich schlau werde ich nicht daraus, aber es hilft immerhin, in Zukunft ähnliche Fotos und ähnliche Urlaube zu machen.
Übrigens, weiß jemand von euch, warum man im Zug den Klodeckel beim Spülen unbedingt herunterklappen sollte? Mache ich nie. Bin ich deswegen ein gescheiterter Musikwissenschaftler schon bevor ich mein Studium überhaupt beendet habe? Hat diese Spülung das letzte bisschen Verstand aus meinem Hirn gesaugt? Ein bisschen Gaga muss auch diesmal sein, wenn ihr mehr wollt, dann ab zur letzten Ausgabe.
Ich glaube, ich sollte mal ein wenig zuhause chillen. Generell chillen. Der Song dazu:
Never mind den neuen Beatles-Song, dann lieber ein Aretha-Cover. War der Abschlusssong von der allerletzten Episode von Sex Education. Was übrigens ausgesprochen nicht mein Kulturtipp der Woche ist, ich fand die ganze letzte Staffel ziemlich künstlich-konstruiert. Nein, der Tipp ist diesmal: Let it be. Bleibt mal zuhause. Schreibe ich, schon den nächsten Wochenendtrip planend…