Renting Representation
Wenn heterosexuelle Autoren queere Geschichte schreiben - Gründe, das Musical Rent (2005) endlich zu überarbeiten.
Der Film Rent von 2005 basiert auf dem gleichnamigen Musical von 1996 von Jonathan Larson. Das Stück beschreibt die Lebensumstände einer Freundesgruppe im New York City East Village von 1989-1990 und ist eines der ersten mainstream Musicals mit queeren Charakteren. Trotzdem sind die eigentlichen Hauptfiguren nicht queer. Mark (Anthony Rapp) nimmt teilweise eine Art Erzählerhaltung ein. Diegetisch durch ein Voice-Over, während er einen Dokumentarfilm dreht, vermittelt er dem Publikum Informationen wie Datum und Schauplatz oder gibt Anmerkungen zu den Charakteren. Gleich präsent und über den Film hinweg in einer typischeren Protagonisten Rolle ist sein Mitbewohner Roger (Adam Pascal).
Die Männer, die das Publikum von der ersten Szene an durch den Film begleiten sind beide heterosexuell. Trotzdem wurde Rent zu seiner Erscheinung für queere Repräsentation im Genre gelobt. Die Freundesgruppe beinhaltet neben Roger und Mark auch noch dessen bisexuelle Ex-Freundin Maureen (Idina Menzel), deren neue lesbische Partnerin Joanne (Tracie Thoms), Jugendfreund Tom Collins (Jesse L. Martin) und dessen neue Partner*in Angel (Wilson Heredia). (Es ist nicht klar ob Angel eine Dragqueen oder transgender ist. Im Film verwenden die Figuren gegen Ende die Prononem sie/ihr für Angel.)
Klassiker oder triviale schlechte Tropen?
Klassische Musicals sind oft so aufgebaut, dass das Publikum beide Protagonist*innen in jeweils gleichgeschlechtlichen Gruppen kennenlernt. Diese Gruppen sind Freundes oder Familiengruppen, sie sind aber immer klar platonisch und nicht homosexuell. Beispiele dafür wären Maria und ihre Familie aus West Side Story oder die Pink Ladies aus Grease. Über den Verlauf der Handlung hinweg finden ein Mann und eine Frau zu einem heterosexuellen Paar zusammen. Auch in Rent beginnen wir mit einer gleichgeschlechtlichen Freundschaft von Roger und Mark im Zentrum. Erfrischend ist, dass Mark, der gerade von Maureen getrennt ist, keinen neuen potentiellen Love Interest bekommt. Roger hingegen lernt Mimi (Rosario Dawson eine Stripperin die in seinem Haus lebt) kennen. Dieses Treffen entwickelt sich zu einer typischen Musical Romanze und rückt in den Fokus des Filmes.
AIDS ist keine Spukgeschichte explizit für Schwule
Das Musical ist in der AIDS-Krise der 80/90er situiert. Obwohl diese Krise auch heterosexuelle Menschen betroffen hat, waren (und sind) schwule und bisexuelle Männer sowie people of colour disproportional stark davon betroffen. Im Film sind Roger, Mimi, Collins und Angel HIV positiv. Somit kann man den unterschiedlichen Umgang mit AIDS an einem heterosexuellen und einem queeren Beispiel vergleichen. Angels Gesundheit wird über den Film hinweg immer schelchter, bis sie schließlich stirbt.
Auch Mimi kommt dem Tode nahe, hier spielt allerdings mit, dass sie drogenabhängig ist und eine Zeit lang auf der Straße lebt. So ist die Ursache ihres Zustandes nicht klar. Mimi überlebt in den Armen von Roger, der ihr ein Liebeslied singt. Die Wiedervereinigung der beiden ist auch das Ende des Musicals, das sich somit wieder in das klassische heterosexuelle Erzählschema fügt. Die letzte Einstellung des Filmes ist allerdings eine Aufnahme von Angel, die direkt in die Kamera blickt.
Der Autor des Musicals ist Komponist und Dramatiker Jonathan Larson. Dessen Tod am Morgen der Erstaufführung von Rent spielte sicher einen Faktor darin, dass das Stück einen solchen Kultstatus erreichte. Larson starb allerdings nicht, wie von vielen angenommen durch AIDS, sondern an einer Aortendissektion. Inspiration für das Stück holte sich Larson nicht nur von der Oper La Boheme sondern auch von Sarah Schulmans Roman People in Trouble von 1990.
LGBT-Aktivistin und AIDS-Historikerin Schulman entschloss sich nicht gegen die Adaption zu klagen, geht aber in ihrem Buch Stagestruck: Theatre, AIDS, and the Marketing of Gay America darauf ein, wie sich die Darstellung von AIDS und Queerness in Rent von anderen Werken die zur gleichen Zeit aus den jeweiligen Communities kamen unterscheidet. Auch Schulman versuchte People in Trouble auf die Bühne oder auf die Leinwand zu bringen, stieß aber auf Ablehnung, da sich ein lesbisches Paar in den Hauptrollen nicht gut vermarkten lasse.
Wenn heterosexuelle Autoren queere Geschichte schreiben
Die einzige Chance in den späten 90ern queere Beziehungen und Probleme auf die Bühne zu bringen, war also versteckt im Hintergrund einer heterosexuellen Beziehung. Der Film von 2005 unter der Regie von Chris Columbus behielt die Handlung und Charaktere fast identisch bei und verwendete teilweise die Broadway Schauspieler*innen. Roger und Mark sind nicht nur heterosexuell sondern auch weiß, während viele der Nebenrollen mit People of Colour besetzt sind. Was vielleicht 1996 die einzige Chance auf Repräsentation war gehört längst überarbeitet. Es braucht nicht nur queere Geschichten auf der Bühne und Leinwand, sondern vor allem Chancen für queere Autor*innen.