Schauriger Schostakowitsch

Krieg und Terror in Musik gegossen - Zwei weitere Schostakowitsch-Abende im Wiener Konzerthaus mit Valery Gergiev, seinem Mariinsky-Orchester, Gautier Capuçon und Emmanuel Tjeknavorian.

Dmitri Schostakowitsch /// Wikimedia (c)

So häufig ich auch ins Konzert gehe, es kommt nur selten vor, dass ich drei Abende hintereinander im Konzerthaus bin. Nach drei Wochen Lockdownentzug war das jedenfalls genau das Richtige für mich. Anlass: Valery Gergievs Gastspiel mit seinem Mariinsky-Orchester, über den Auftakt habe ich schon geschrieben. Drei Abende haben gereicht, um ein heimeliges Gewohnheitsgefühl zu bekommen. Der Testchecker am Eingang erkannte mich schon, mir wiederum kamen die Orchestermitglieder bald bekannt vor.

Dmitri der Düstere

Abseits der äußerlichen Gemütlichkeit hatte dieser Konzertmarathon aber auch etwas Masochistisches in sich. So großartig die Musik Schostakowitschs auch ist, gerade die Sinfonien, die Valery Gergiev uns Wiener*innen präsentierte, waren vor allem von Schmerz, Terror und Krieg durchtränkt. Kein Wunder, in seine siebte und achte Sinfonie packte Dmitri der Düstere offiziell all die Schrecken des gerade tobenden Zweiten Weltkrieges. Und heimlich mischte er noch die menschenverachtende Brutalität des Stalin-Regimes dazu, die er selbst mehrfach zu spüren bekam. Was für ein Schauercocktail!

Beide Sinfonien dauern deutlich länger als eine Stunde, beide hinterließen mich erschüttert, erschöpft, aber auch irgendwie illuminiert. Das war keine Musik zum entspannten Zurücklehnen, zum Planschen in schönen Harmonien. Das war eine Reise in eine fürchterliche Zeit, die wir nie vergessen dürfen.

Spaß machte das Zuhören trotzdem immer wieder. Die elementare Stärke mancher Stellen, feine Soli, komplexe Rhythmen: All das lässt sich durchaus genießen. Manchmal sogar zu sehr. Beim Anfang des riesigen Marsches im ersten Satz der Siebten erwischte ich mich dabei, gedanklich aufgeheizt mitzumarschieren. Welch perverse Situation: Da sitze ich (halb-) Deutscher, höre einem russischen Orchester zu, wie es eine Kriegssinfonie über den Naziüberfall spielt und wippe beim Todesmarsch fröhlich mit...

Die zwei Kriegssinfonien kontrastierten jeweils zwei Solokonzerte. Am Montag war es Gautier Capuçon, der uns vor den Schrecken der folgenden Leningrader Sinfonie mit dem ersten Cellokonzert mit Energie volltankte. Über den unverkennbaren Sound von Capuçon und seinem sexy Gofriller-Cello habe ich schon nach der Saisoneröffnung des Musikvereins geschwärmt. Auch jetzt war ich hin und weg davon.

Eine Musikform wie das Leben selbst

Am Abschlussabend spielte dann Emmanuel Tjeknavorian das erste Violinkonzert Schostakowitschs. Und wie! Über weite Strecken schloss er die Augen, das Resultat seiner höchsten Konzentration waren ein inniger Klang und große, majestätische Bögen. Mein Highlight: die Passacaglia (eine alte Form, bei der die tiefen Bässe ein langsames Motiv durchgehend wiederholen, worüber der Rest meist feierlich in Moll variiert). Für diese Form hatte ich immer schon einen Soft-Spot, besonders bei Bach. Ist nicht das Leben an sich genauso? Im Grunde schreitet es gleichmäßig voran, manchmal auch eintönig. Und all die (doch oft tragischen) Ereignisse des Lebens werden in diese schreitende Eintönigkeit eingewoben.

Nach diesem berührenden Auftritt war ich nicht der Einzige, der wehmütig daran dachte, dass Tjeknavorian ab der nächsten Saison (fast) nur noch dirigieren wird (auch wenn er auch als Dirigent zu begeistern weiß). Wie es dazu kam, hat er mir in einem Interview erzählt, das bald auf Bohema erscheint. Aber zurück zu Gergiev und Schostakowitsch: Der wird nämlich in der nächsten Spielzeit wieder mit Schostakowitsch ans Konzerthaus zurückkehren und die Reihe fortsetzen. Falls dann die Welt noch steht... Wer nicht bis dahin warten möchte: Am Dienstag spielt das Hagen Quartett ebenfalls nur Schostakowitsch. See you there!

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