Im Bann des Ewig-Weiblichen

Schwüle Erotik, noble Sehnsucht und am Ende ein Megaorgasmus – Pianist Lucas Debargue zeigte im Konzerthaus, warum er ein Hoffnungsträger der jungen Pianist*innengeneration ist.

Lucas Debargue /// Xiomara Bender (c)

Welch erotische Spannung! Pianist Lucas Debargue kitzelte uns (nicht nur...) die Nerven mit dem ersten Satz von Skrjabins vierter Sonate. Es war eine süße, aber doch kaum aushaltbare Qual: wie unerfüllte Lust, Sehnsucht nach einer unerreichbaren Person.

„Heftiger Wunsch, wollüstiger, wahnsinniger, süßer,

Ohne Unterlass verlange ich nach dir, kein

Anderes Ziel habe ich, als zu dir zu gelangen.“

Um sein Begleitgedicht wirkungsvoll umzusetzen, ließ sich Skrjabin von Wagners Ouvertüre zu Tristan und Isolde inspirieren. Der berühmte Tristan-Akkord schwingt immer wieder mit, das ständige Meiden der Grundtonart stammt ebenfalls vom antisemitischen Genie aus Sachsen.

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Im zweiten Satz (3:05) gelang Debargue zunächst frech spielerisch der imaginären Liebhaber*in näher. (Skrjabin verließ um die Zeit der Entstehung seine Frau mit vier Kindern für eine Geliebte...) Ab 4:48 schraubt sich die Musik immer höher, gibt etwas nach, tastet sich wieder ran, um dann spätestens ab 7:11 in leidenschaftlichem Sex und einem euphorischen Megaorgasmus zu münden. Ok, nur eine Interpretation. Skrjabins Gedicht scheint mir aber Recht zu geben. Was soll „Toller Tanz, gottgleiches Spiel! / Berauschendes glühendes!“ sonst heißen? Das Ende ist noch eindeutiger:

„Ich komme dir näher in meiner Sehnsucht,

Bade mich in deiner Wellenbewegung – du Freude-Gott!

Ich sauge dich ein, Lichtmeer, du Licht meiner selbst,

Ich verschlinge dich!”

Die verlinkte Aufnahme von Pletnev ist zwar exzellent, bleibt aber etwas kühl. Debargue spielte mit mehr Leidenschaft, das war eine äußerst intensive Erfahrung. Auch Schumanns Sonate Op. 14 vor der Pause ist ganz der Sehnsucht gewidmet, aber weniger erotisch. Schumann nahm ein Andantino seiner großen Liebe Clara Wieck als thematischen Kern für alle vier Sätze, ein intimes Liebeszeugnis an Clara, die damals noch von ihrem Vater von Schumann ferngehalten wurde.

Wo wart ihr alle?

Debargues größte Stärke ist seine Feinheit: Anschlag und Linienführung sind bei ihm äußerst gefühlsvoll. Im letzten prestissimo-Satz vom Schumann war mir der Feinheit aber zu viel, da hätte ich mehr Klarheit bevorzugt. Ein klein wenig war da wohl auch das Publikum schuld, oder das Fehlen dessen; der Mozart-Saal war nicht einmal zur Hälfte voll. Besonders im Winter verschlingt die Kleidung einiges an Hall, ein halbleerer Saal klingt halliger. Etwas ernüchternd, dass ein so spannender junger Pianist so wenig Publikum anzog.

Seit seinem spektakulären Auftritt beim Tschaikowski-Wettbewerb 2015 (er kehrte nach einem Literaturstudium erst fünf Jahre davor zum Klavier zurück) zählt Debargue zu den spannendsten jungen Pianist*innen. Auch dank seiner Platten, neuerdings hat er zum Beispiel Werke von Miłosz Magin eingespielt. Seine Scarlattiplatte zuvor wurde ein großer Erfolg. Er gab uns in der dritten Zugabe eine Scarlatti-Kostprobe. Und was für eine! Besonders der Mittelteil der kurzen Sonate (ab 1:15) war richtig groovy.

Der Schluss des Programms brachte uns am Ende zu Tristan und Isolde zurück. Auch in der tragischen Fantasie Op. 28 schlängelt sich Scriabin um die Grundtonart und evoziert ganz große Gefühle. Am Schluss zitiert er dann sogar Isoldes Liebestod, den tragischen Schluss der Oper. Dass sich das Minipublikum gleich drei Zugaben erklatschte, zeigt, wie stark der Eindruck saß.

Epilog

Der Vollständigkeit halber: Hier noch das ganze Gedicht Skrjabins. (Die Übersetzung stammt aus dem Programmheft, keine Gewähr auf Richtigkeit...)

In leichtem Schleier, durchsichtigem Nebel

Strahlt weich ein Stern, weit weg und einsam.

Wie schön! Das bläuliche Geheimnis

Seines Glanzes winkt mir zu, wiegt mich ein.

Bring mich zu dir ferner Stern!

Bade mich in deinen zitternden Strahlen, süßes Licht!

Heftiger Wunsch, wollüstiger, wahnsinniger, süßer,

Ohne Unterlass verlange ich nach dir, kein

Anderes Ziel habe ich, als zu dir zu gelangen.

Jetzt! Freudig schwinge ich mich zu dir empor,

Frei nehme ich meine Flügel.

Toller Tanz, gottgleiches Spiel!

Berauschendes, glühendes!

Zu dir, vielbewunderter Stern,

Führt mich mein Flug.

Zu dir, frei geschaffen für mich,

Zu dienen bis zum Ende - mein Freiheitsflug!

In diesem Spiel, reine Laune,

Vergesse ich dich für Augenblicke

Im Strudel, der mich trägt,

Drehe ich mich in deinen flackernden Strahlen

Im Wahnsinn des Verlangens,

Du verblassendes, du fernes Ziel!

Du ausgedehntester Stern! Jetzt eine Sonne,

Flammende Sonne! Sonne des Triupmhs!

Ich komme dir näher in meiner Sehnsucht,

Bade mich in deiner Wellenbewegung – du Freude-Gott!

Ich sauge dich ein, Lichtmeer, du licht meiner selbst,

Ich verschlinge dich!

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