SCHREIBEN IM UNTERWASSER KABINETT
Ein vergessener Schatz, wiederentdeckt: Simone Bloch bringt das kreative Erbe ihres Vaters, Curt Bloch, ins Netz. 96 Magazine, geschrieben im Versteck vor den Nazis, erzählen von Krieg, Widerstand und Hoffnung. Direkt, ungeschönt und voller Wut – Curt Blochs Worte treffen ins Herz und lassen die Vergangenheit lebendig werden.
Dichten gegen Faschisten
Curt Bloch (eigentlich Kurt David Bloch) wurde 1908 als Jude in Dortmund geboren, wo er seine Kindheit verbrachte und in späterer Zeit sein Jurastudium abschloss. Neben seiner beruflichen Karriere im Bereich Recht, schrieb er für die linksliberale Zeitung General-Anzeigen für Dortmund, die außerhalb Berlin als größte deutsche Tageszeitung galt. Der Verlag der Zeitung wurde jedoch 1933 von nationalsozialistischer Seite beschlagnahmt. Im selben Jahr sah sich Bloch, mittlerweile Dr. der Rechtswissenschaft, einem Arbeitsverbot ausgesetzt (Jüd*innen war es untersagt, einen Rechtsberuf in Deutschland auszuüben), wonach ein Entlassungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Nachdem er auch körperlich attackiert wurde, beschloss er in die Niederlande zu flüchten.
Zunächst in Amsterdam, wo er beginnt die Sprache zu erlernen und im Verkauf arbeitet, zieht es in weiter nach Den Haag. Die deutsche Wehrmacht besetzte allerdings ab 1940 die Niederlande und verordnete, dass Jüd*innen die Küstengebiete verlassen müssen, wonach Bloch nach Enschede versetzt wurde, wo er zusammen mit seiner jüngsten Schwester Helene und Mutter Paula lebte, die ebenfalls in die Niederlande geflohen waren.
Die antisemitischen Verordnungen nahmen ab 1941 drastisch zu. Mit der Arisierung der niederländischen Unternehmen wurde Bloch entlassen. Darauf begann er, einerseits beim jüdischen Rat von Enschede tätig zu sein und Jüd*innen zu beraten, die ins Ausland emigrieren wollen, andererseits als freischaffender Kunsthändler zu arbeiten.
Mit dem Beginn der systematischen Deportationen in den Niederlanden 1942 und der Aufforderung zum Arbeitseinsatz in Deutschland entscheidet sich Bloch im August desselben Jahres, in den Untergrund zu verschwinden. Im Schreiben von Gedichten findet er eine geistige Beschäftigung im Versteck. 1943 gab er die erste Ausgabe seines Magazins heraus, das regelmäßig bis zur Befreiung Enschedes im April 1945 erschien. Von den 1300 in Enschede lebenden Jüd*innen überlebten nur 500 die deutsche Besatzung.
Erst nach dem Krieg erfuhr Curt Bloch von der Deportation und Ermordung seiner Schwester Erna und ihrem Ehemann, die in Deutschland geblieben waren, ebenso wie vom gleichen Schicksal betroffenen Schwester und Mutter. Der Vater war bereits zu Beginn des Krieges an Folgekrankheiten des Ersten Weltkrieges verstorben. Curt Bloch war damit der Einzige seiner engsten Familie, der den Holocaust überlebt hatte.
Weil die engsten Angehörigen und meisten Freunde verloren waren, beschloss Bloch mit seiner Frau drei Jahre nach Kriegsende Europa zu verlassen. Am 27. April 1948 kamen sie in New York an, wo Bloch zunächst als Lagerarbeiter und Helfer in einer Fleischfabrik tätig war. Im Jahr 1953, in dem er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, sendete Bloch einen Wiedergutmachungsantrag an deutsche Behörden, der auch bewilligt wurde, weshalb er ab 1954 Versorgungsbezüge erhielt. Die Entschädigungszahlung investierte er folgend in ein eigenes Unternehmen. Bis zu seinem Tod am 14. Februar 1975, lebte er mit Frau und zwei Kindern als Antiquitätenhändler in New York.
Genauere Information über Blochs Lebensgeschichte und das dazugehörige Bildmaterial finden sich auf der Website selbst.
Das Onderwater-Cabaret
Untergetaucht im Versteck, entwarf Bloch sein eigens herausgegebenes Magazin Onderwater-Cabaret. Am 22. August 1943 erschien das erste Magazin, am 3. April 1945, zwei Tage nach der Befreiung, das letzte. Die insgesamt 96 Ausgaben zirkulierten während der Herausgabe im Widerstandsnetzwerk. In 492 niederländischen und deutschen Gedichten, die sich über 1.700 Seiten erstrecken, schildert Bloch die Ereignisse der Kriegszeit und bietet Einblicke in das Untergrundleben.
Ein Blick in die Magazine wirft ein Licht in Blochs Inneres gegen Außen. Seine Gedanken sind ihm heilig und er möchte sie zu Gleichgesinnten tragen. Das Geschriebene scheint fast wie eine Ansammlung an Tagebucheinträgen. Bloch schreibt seine eigene Geschichte ein, richtet Botschaften direkt an seine Familie und beschreibt die Geister, mit denen er zu kämpfen hat. Blochs Reime glänzen in einer Einfachheit, die in einer Direktheit treffen und so ehrlich wirken, dass nicht mehr davon loszukommen ist. Die Einsamkeit ist ihnen inhärent und deutlich ist zu lesen, wie er einem Ziel entgegen schreibt, der Befreiung.
Neben dem Persönlichen geht Bloch mit der Politik hart ins Gericht. In einem satirischen Ton nimmt er Bezug auf aktuelle Zeitungsartikel, die er in die Magazine klebt, rechnet mit Hitler und Goebbels ab und reißt der deutschen Propaganda die Maske herunter. Manche seiner Gedichte wirken wie ein Gegenentwurf zu den Propagandareden, in denen das Komische oft auch Ausdruck findet. Die lautliche Gewalt ist in den eingesprochenen Versionen zu erfahren, die als Audiodatei unter den jeweiligen Gedichten zu hören sind. Ein Abtauchen in Blochs Gefühlswelt ist einen Klick wert!
Ein Projekt gegen das Vergessen
Simone Bloch, Tochter von Curt Bloch, möchte ihren Vater wieder sichtbar werden lassen, indem sie in einem Non-Profit-Projekt seinen kreativen Nachlass auf einer frei zugänglichen Website der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Die Familie Bloch bewahrte 75 Jahre lang die Magazine des Unterwasser-Kabinetts in ihrer Wohnung auf, bis sie jetzt online geschaltet wurden, um einerseits an Curt Bloch, aber auch allgemein an den Zweiten Weltkrieg und seine zahlreichen Opfer zu erinnern. In einer Zeit, in der es scheint, als würde sich die NS-Vergangenheit zur Gegenwart verzerren, spricht Simone Bloch über das Projekt als eine Möglichkeit, Geschehnisse der Vergangenheit besser zu begreifen, um dadurch heutigen Formen der Diskriminierung entgegenzuwirken.
Alle 96 Magazine Curt Blochs, die aus seinem dreijährigen Versteck vor dem faschistischen Regime heraus entstanden sind, werden auf dieser Website in Gänze dreisprachig präsentiert (Deutsch, Niederländisch, Englisch). Ein enormes Zeugnis der Zeit gegen das Vergessen.
Schreiben im Exil
Wegen Berufsverboten, Zensur, unmittelbaren Bedrohungen und regierungsfeindlichen Einstellungen emigrierten viele Autor*innen zunächst ins europäische Ausland, als die Gefahr jedoch zunahm, zogen während einer großen Emigrationswelle von 1939 bis 1940 viele weiter in die USA, nach Südamerika, in die Sowjetunion und ins heutige Israel. Einige der geflüchteten Schriftsteller*innen unterstützten die heimische Widerstandsbewegung, indem sie literarisches Material lieferten, das aufklärte, vor dem Dritten Reich warnte und gesellschaftliche sowie politische Probleme thematisierte.
Literarisch wurden keine großen formalen Experimente gewagt; die bevorzugte Gattung war die des Romans, weil das die Veröffentlichungschancen erhöhte. Lyrik fand, wenn überhaupt, einen Platz in der Exilpresse. Eine starke Orientierung an Rezipient*innen liegt an der besonders erhöhten Schwierigkeit, die eigene Existenz durch das Schreiben in einem anderen Land zu sichern. Die materiellen Verhältnisse variierten, die meisten sahen sich jedoch Problemen ausgesetzt. Zwar gab es vereinzelt Verlage nur für deutsche Exilliteratur, wenn auch waren Veröffentlichungen in deutscher Sprache in einem fremdsprachigen Land sehr begrenzt. Trotzdem sah man sich in der Tradition stehend, weiterhin auf Deutsch zu verfassen, um den deutschen Geist und die deutsche Sprache am Leben zu erhalten.
Der Fremde ausgesetzt, wurden sie in ein anderes Leben geworfen. Neben dem Bangen um die schriftstellerische Existenzgrundlage kamen Furcht vor Abschiebung, Bedrohung durch NS-Agenten und Besorgnis um die Ablehnung der Bevölkerung hinzu. Die Folge war oft die Verstimmung ihrer Schriftlichkeit und der Rückzug in die Einsamkeit. Die Suche nach Sicherheit im Leben mündete dementsprechend größtenteils in der Hinwendung zu einem konstanten Beruf. Die Mehrzahl der Geflüchteten trug ein seelisches Trauma von der Exilsituation davon, das oft im Suizid, aber auch in einer literarischen Verarbeitung endete. Nach dem Ende des Krieges jedoch dauerte es einige Zeit, bis die Vergangenheit einen Weg in die Literatur fand, viel verstrichene Zeit, in der nicht nur versucht wurde zu vergessen, sondern tatsächlich vergessen wurde.
Die Website
Auf der Webseite könnte ihr euch alle Magazine selbst durchlesen. Jedes einzelne ist dort eingescannt und hochgeladen. Tut dies. Gegen das Vergessen!