Sehnsucht nach Blut, Schweiß und Tränen

Sprachgestaltung am Bügelbrett und Ensemblearbeit auf Zoom - Lagebericht einer Schauspielstudentin vom Max Reinhardt Seminar.

Foto: Nele Christoph

Foto: Nele Christoph

Als ich am 27. Februar 2019 am Max Reinhardt Seminar aufgenommen wurde, kam nach Freudentränen und kompletter Fassungslosigkeit irgendwann der Gedanke: Und was heißt das jetzt? Wie läuft das dann die nächsten vier Jahre? Ich dachte, ich hätte die Frage nach den ersten Wochen des Studiums ganz gut beantworten können. Doch dann kam die Pandemie. Mein Jahrgang und ich, wir hatten das Glück und das Pech zugleich, ein Semester vor der Pandemie unser Studium anzufangen, so hatten wir immerhin ein Semester in der Normalität, die jetzt so schmerzlich vermisst wird. Also so richtig mit Anfassen und Umarmen, den Schweiß aller Beteiligten riechend.  

Oktober 2019. Ein typischer Tag für eine Schauspielstudentin wie mich begann mal um 8 Uhr morgens mit Sport. Fitness- und Zirkeltraining. Als mir das nach meiner Aufnahme von Studierenden aus den höheren Jahrgängen gesagt wurde, habe ich laut aufgelacht. Nur, dass es kein Witz war. Dreimal die Woche eine Mischung aus Konditions-, Kraft- und einfachem Kampftraining. Danach bist du verschwitzt, aber wach wie nochmal was und bereit für alles, was da noch kommt. Das ist meistens Sprachgestaltung. Dort lernen wir erstmal zu atmen, irgendwann kam der Moment, an dem wir alle dachten, wir können es nicht richtig. Aber wie eine Kommilitonin so schön sagt: „Wir leben ja alle noch, also wird’s schon funktionieren.“ Erst nach einem Monat Unterricht geht es mit dem Sprechen los, wobei es sich anfühlt, als würden wir eine komplett neue Sprache lernen: Bühnendeutsch nämlich. Endungen beachten, im Raum sprechen und Register mischen gehört mittlerweile zu unserem täglich‘ Brot.

Gemeinsam scheitern, gemeinsam weiterkommen

Neben Gesang, Tanz, Bewegung und theoretischen Fächern (wie Kunstgeschichte und Dramaturgie) ist das wichtigste Fach Grundlagen. Dort geht es los mit: Strategien, Konflikten und Handlungen. Wie baue ich eine Szene auf? Was sind meine Ziele? Wie stelle ich konkret dar, was ich erzählen will? Im ersten Semester war das noch zu elft im Gruppenunterricht. Wir konnten uns gegenseitig beim Spielen, Ausprobieren und Scheitern (ein sehr beliebter Begriff an Schauspielschulen) zusehen. Ich habe das meiste mitunter von meinen Kolleg*innen beim Zusehen gelernt. Wie geht eine andere Person diese Aufgabe an? Welche Möglichkeiten gibt es noch, mein Problem auf der Bühne zu lösen? Wir lagen als Gorillafamilie auf einem Haufen zusammen, ich habe tatsächlich mal einen Baum gespielt und wir sind so oft durch den Raum gelaufen, dass ich irgendwann dachte, ich werde wahnsinnig.

Der Wahnsinn kam dann am Mittwoch, 11. März 2020, als wir erfahren haben, dass unsere Uni, wie alle anderen in Österreich, den Präsenzunterricht vorerst einstellen wird. Es ist nicht so, dass die Entwicklungen auf der ganzen Welt und in Europa an mir vorbeigegangen wären, aber ich wollte es, stur wie ich bin, einfach nicht wahrhaben. Ich habe jetzt nach Vorsprech-Eskapaden dieses Traumstudium und jetzt?! Ich bin also erstmal aus der Stadt raus, aufs Land, zu Familie ins Burgenland.

Gesangsunterricht per FaceTime: Immer noch besser als Gruppenfeeling üben auf Zoom

Es war (und ist) nicht leicht für uns alle, Studis wie Dozent*innen. Es wurde versucht weiterzumachen. Per Zoom, per Skype, per Mail. Ich hatte Gesangsunterricht per FaceTime und habe Der Mond ist aufgegangen so oft a cappella in meinem Exil gesungen, dass es die neue Hymne des Südburgenlandes werden könnte. Ich war überrascht, was doch alles möglich war. Sprechen, Singen, Tanzen. Klar, es fehlt eben dieser Punkt des voneinander Lernens, aber es ging trotzdem etwas voran. Das zweite Semester, dass sich eigentlich auch der Ensemblearbeit widmet, war gemeinschaftstechnisch eher schwierig. Wie soll man das Gemeinsam-auf-der-Bühne-Sein per Zoom lernen? Faktisch unmöglich.

Aber es wurde besser. Es wurde Mai. Und wir konnten wieder für manche Fächer mit Abstand und Lüften oder ganz draußen in die Uni. Beim Bewegungsunterricht im Garten haben wir gelernt, dass es schon Mitte Mai um acht Uhr früh so viele Insekten in der Luft gibt, dass wir alle Imker*innen-Hüte gebraucht hätten, um diese 90 Minuten unbeschadet (und ohne wild in die Luft zu schlagen) überleben zu können. Unser Ensembleunterricht fand auch draußen oder in Kleingruppen statt, im Garten des Max Reinhardt Seminars wurde sogar eine kleine Probebühne für uns aufgebaut. In den Pausen zwischen den Stunden konnten wir den unterschiedlichsten Jahrgängen beim Proben zusehen. Hier ein klassischer Monolog, da ein Tratsch zwischen Raucher*innen.

Nach Wochen der gefühlten Freiheit im Oktober zurück zum Schreibtisch. Pardon, Bügelbrett

Wieder Oktober, zweites Studienjahr. Produktionen wurden nicht mehr nur im stillen Kämmerlein geprobt, sondern konnten unter Auflagen dem Publikum gezeigt werden. Aber diese Krankheit, die im Sommer so weit weg zu sein schien, kam mit den Monaten immer näher an uns heran. Bis im November für vier Wochen erstmal wieder zu war. Homeoffice. Ich habe also mein Bügelbrett wieder in meinem Zimmer aufgestellt, das als improvisierter Schreibtisch fungiert, weil ich meinen weggegeben hatte. Wer braucht schon einen Schreibtisch für das Schauspielstudium? Bei Zoom-Partys wurde das Bügelbrett immerhin auch gerne mal zum DJane-Pult umfunktioniert.

Und jetzt? Es geht immer noch weiter. Mittlerweile ist es ein Jahr, dass wir uns nicht mehr in die Arme fallen oder uns an unsere Gorillafamilie kuscheln können. Um ehrlich zu sein, bleibt bei mir die Angst, etwas zu verpassen. Nicht nur an der Schauspielschule, sondern im Leben gerade allgemein. Wir wollen vom Leben erzählen, von zwischenmenschlichen Beziehungen, aber die finden gerade nur auf der minimalsten Ebene statt. (Oder wann war dein letztes Date ohne Spazierengehen?) Trotzdem bleibt die Probebühne aktuell der Raum des Eskapismus: Nicht nur wie sonst, um andere Lebensrealitäten zu entdecken, sondern auch, um die gewohnte wiederzufinden. Mit getesteten Studienkolleg*innen eine Szene zu proben ist gerade unfassbar wertvoll, weil es uns kurzzeitig aus dieser körperlichen Krise (so nennt es Choreografin Doris Uhlich) herausbefördert, in der wir gerade stecken. Ich vermisse dieses hemmungslose Herangehen an Aufgaben, alles ausprobieren, schwitzen und auf den Boden schmeißen, bis die Knie eher grün als blau sind und meine Hüfte gezerrt ist. Auf mich wirkt alles gerade etwas gedämpft, es ist berechtigterweise ein Puffer in Situationen, der mich Abstand halten lässt und in meinem Hinterkopf bleiben Gedanken über Ansteckungen und Krankheitsverläufe. Es ist und bleibt also schwierig für uns. Aber, um es mit Ödön von Horváth zu sagen: „Ich werde den Kopf nicht sinken lassen.“

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