“Sind wir zu muslimisch für dieses Land?”

Ein Interview mit den Kurator*innen der diesjährigen Muslim*Contemporary Asma Aiad, Esma Bošnjaković und Anahita Neghabat über das multidisziplinäre, antirassistische, intersektional-feministische Festival, das Österreich bisher fehlte.

Während des Interviews im Ausstellungsraum in der Eschenbachgasse 11, 1010 Wien. Von links nach rechts: Esma, Asma, Emelie & Anahita. © Luca Wellenzohn

Bohema: Könnt ihr uns zu Beginn erst einmal mehr über das Konzept von Muslim*Contemporary erzählen? Was war die ursprüngliche Inspiration für das Festival?

Asma Aiad: Ich habe das Festival vor vier Jahren gegründet. Ich studiere an der Akademie der bildenden Künste und habe einfach gemerkt, wenn es um muslimische Stimmen im Kunst- und Kulturbetrieb geht, wird es immer noch so dargestellt, als wären sie Ausnahmen. Etwas, was sehr exotisch sei und dass es eigentlich gar nicht so viele Leute gebe. Ich wusste aber aus meiner eigenen Realität, dass es viele muslimische Künstler*innen gibt - nur dass sie leider noch immer sehr wenig Raum bekommen oder ihnen der Zugang erschwert wird. Ich habe dann damals die Möglichkeit gehabt, eine Ausstellung zu machen – wollte aber nicht schon wieder bestätigen, dass ich „die Ausnahme“ bin, die eine Ausstellung macht, oder die einzige muslimische Frau mit Kopftuch, die da vertreten ist - sondern ich habe gewusst, es gibt noch ganz, ganz viele andere Künstler*innen, die extrem coole Arbeit machen. Und so habe ich dann gesagt “okay, passt, gebt mir den Raum und ich mache einfach eine große Ausstellung daraus.” Genau so ist eigentlich Muslim*Contemporary entstanden. Wir wollten Themen zeigen, die unsere Realität darstellen, die uns wichtig sind. Themen wie Rassismus, aber auch unseren Alltag, durch unsere Kunst präsentieren. So ist dann die erste Ausstellung entstanden, in Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste, stark unterstützt von meiner Professorin Marina Grzinić, bei der ich damals studiert habe.
Esma und Anahita waren übrigens unter den ersten Künstler*innen damals, sie haben damals beide das erste Mal mit ausgestellt. Ich habe mir damals gedacht, ich rede einfach mit Leuten, die ich kenne, deren Arbeiten ich wirklich schätze. Ich habe dann beide angeschrieben und gefragt, ob sie dabei wären ohne zu wissen, ob und wie es finanziert wird, ob sie selbst überhaupt etwas dafür bekommen, haben beide sofort zugesagt. So hat unser gemeinsamer Weg gestartet und seitdem sind sie jedes Jahr dabei und heuer auch Mitkurator*innen.

Esma Bošnjaković: Daran anschließend, wie man in den Bereich gekommen ist, würde ich gerne auch noch einen persönlichen Gedanken hinzufügen. Man stellt sich immer die Frage: gehöre ich denn da überhaupt hin? Die Kunstwelt ist generell nicht zuvorkommend für Menschen, die aus Arbeiter*innenhaushalten oder aus marginalisierten Familien kommen. Das Kunstverständnis, das einem gesellschaftlich „mitgegeben wird“, ist eine hermetisch abgeschlossene Welt. Man hat keinen Zugang, muss sich selbst die ganzen Methoden, die man bräuchte, um gewisse Dinge zu verarbeiten, erlernen. Es ist interessant, wie es eigentlich nur diesen einen Satz braucht: „Hey, alle können Kunst machen” oder “Kunst kann so viel mehr sein, als du gelernt hast – Kunst kann dich aufmachen und dir die Möglichkeit geben, deine Geschichte zu erzählen.“ Ich bin so dankbar, dass Asma das in die Wege geleitet hat, denn das Festival gibt einem ein ganz anderes Selbstverständnis, mit der Realität umzugehen.

Bohema: Was bedeutet denn für euch die Begrifflichkeit Muslim*Contemporary? Wie würdet ihr das Konzept in euren eigenen Worten definieren?

Anahita Neghabat: Es heißt ja „Muslim Sternchen Contemporary“. Das Sternchen verweist unter anderem darauf, dass sowohl muslimische Menschen als auch muslimisch gelesene Menschen, also Menschen, die von anti-muslimischem Rassismus betroffen sind, weil sie zum Beispiel migrantisch sind, geflüchtet sind, rassifiziert werden - dass sie ähnliche Lebensrealitäten haben, Eins werden müssen und ein Wir sind in diesem politischen Kontext, in dem wir uns bewegen. In den Herkunftsländern, aus denen wir kommen, gibt es ganz andere Allianzen, Bündnisse und auch Thematiken. Aber in Österreich, mit dem Rassismus, den es gibt und auch dem antimuslimischen Rassismus in der Politik, der in politischen Beschlüssen und Institutionen verankert wird, entstehen einfach neue Zugehörigkeitskategorien. Wir „embracen“ das sozusagen. Wir haben viele geteilte Erfahrungen: Auf der einen Seite sind Menschen von Rassifizierungen betroffen, die eigentlich ganz unterschiedlich sind, und werden gleichgemacht - auf der anderen Seite gibt es zwischen uns aber auch Unterschiede, die wir anerkennen und dann sagen wir “okay, wir verbinden uns strategisch”. Wir haben Gemeinsamkeiten, wir haben Unterschiede und dafür ist Platz. Deswegen geht es auch nicht nur um muslimisch und muslimisch gelesen, sondern es ging immer auch darum, ganz breite Bündnisse aufzumachen, auch mit Gruppen und Vertreter*innen zu kooperieren, gegen die wir ausgespielt werden. Es gab starke Bündnisse mit jüdischen Akteur*innen, jüdischen Museen, mit Roma/Romnja oder auch mit Schwarzen Communities, mit queeren Communities etc. Diese Kategorien überlappen sich auch, man kann ja auch schwarz, queer und muslimisch sein. Es ging immer darum, uns dagegen zu wehren, dass wir gegeneinander ausgespielt werden und auch anzuerkennen, dass es eine Realität ist, dass wir von derselben Gewalt betroffen sind. Zum einen werden wir gleich gemacht, zum anderen wie gegensätzlich behandelt, obwohl wir von derselben Wahl, von denselben Politiken betroffen sind.

Spieglein, Spieglein an der Wand. /// © Luca Wellenzohn

Bei Muslim*Contemporary geht es aber auch nicht nur darum darauf zu antworten, sondern es geht auch darum einen Raum zu schaffen, in dem wir unsere Geschichten erzählen können oder auch Dinge imaginieren können - über dieses ständige antworten müssen, dieses ständige rechtfertigen müssen hinaus. Eine Frage, die Asma immer stellt, ist: welche Kunst würde ich eigentlich machen, wenn ich mich nicht die ganze Zeit mit Rassismus beschäftigen müsste? Diese Räume sind Räume, in denen wir uns auch gegenseitig nähern und stärken, uns anregen freier zu denken, zu imaginieren und kreativ zu handeln, wie wir das in anderen Institutionen nicht können. Ich habe auch bereits in einer anderen Kunstinstitution gearbeitet, die mehrheitlich weiß war - und ich war da sehr unkreativ. Es ist nicht nur eine andere Art zu arbeiten, sondern zu Sein. Ich habe mich selbst anders erlebt in anderen Kontexten, anders, als ich mich im Muslim*Contemporary erleben kann.

Noch immer leere Worte

Bohema: Das Motto der Ausstellung lautet ja, „Sind wir zu muslimisch für dieses Land?“ Was würdet ihr sagen steckt hinter dieser „provokativen“ Frage?

Asma Aiad: Ich glaube, es steckt dahinter, dass wir wirklich mal provozieren wollen. Wir haben auch mehrere Editionen von dem Slogan. Denn, wie Anahita gesagt hat, denken wir das Ganze auch immer weiter. Sind wir zu Schwarz, sind wir zu kritisch, sind wir zu solidarisch, sind wir zu migrantisch? Der Kunst- und Kulturbetrieb wird immer „woker“, man spricht über Diversität, über Vielfalt, aber es bleibt das Gefühl, dass es noch immer leere Worte sind und nicht ernst gemeint wird. Man verwendet uns gerne als Schmuckstück bei Veranstaltungen, man wirbt mit uns, man nimmt uns als Sujets für irgendwelche Plakate, man isst gern unser Essen, man tanzt gerne unsere Tänze. Das wird alles gefeiert und sehr willkommen geheißen. Aber wenn es dann wirklich darum geht, dass auch unsere Stimmen in Strukturen miteinfließen, dass wir auch Entscheidungsträger*innen sein können, dass wir dann auch wirklich mehr zu sagen haben… da merkt man, dass es leider doch nicht so ernst gemeint wird und dass es sehr selektiv ist, wen man gerne nimmt. Das wollen wir auch mit diesem Festival heuer kritisieren und ansprechen. Es gibt nicht nur die eine schwarze Person, die eine Frau mit Kopftuch, die man da oder hier mal einlädt - sondern es gibt ganz viele von uns und wir wollen einfach genauso Plätze am Tisch haben, wir wollen genauso mitentscheiden, mitdiskutieren, mitplanen - wir wollen Teil der Leitungsfunktionen sein, der Koalitionsteams sein und ganz, ganz viel mehr.
Wir wollen nicht nur zu Veranstaltungen eingeladen werden, damit man eine neue Community erreicht. Wenn man es wirklich ernst meint mit Diversität, dann muss das auch in den Strukturen miteinfließen. Sonst ist das überhaupt keine nachhaltige Arbeit und auch keine Arbeit, die eine pluralistische Gesellschaft abbildet. Ich habe das Gefühl, manche Institutionen denken, sie machen „Charity-Arbeit“ – sie sind so nett und laden jetzt mal alle ein. Nein, es ist nur ein sehr selektiver und exklusiver Teil der Gesellschaft, den man mit einbezieht – nicht die reale Gesellschaft! Wir zahlen alle Steuern für all diese Häuser, das heißt wir sollten auch genau dort repräsentiert werden, wo unsere Gelder reinfließen.

Esma Bošnjaković: Für mich ist direkt die Frage, „Sind wir zu muslimisch für dieses Land“, sehr interessant. Wie oft denken sich vor allem muslimische Personen: bin ich jetzt zu religiös in diesem Bereich? Ist mein Kopftuch zu konservativ, ziehe ich mich zu konservativ an? Wir denken in diesem Rahmen, in dieser Form, die auf einen gedrückt wird, seit etlichen Jahren. Man muss einem bestimmten Muster entsprechen, welches „passt“. Wie viele Ideen, wie viel kreatives Handeln geht verloren, wenn ich davon ausgehe, dass jede Person „meiner“ Vorstellung entspricht, wie diese Person aussehen muss? Deswegen ist die Frage auch reflektierend für uns und unsere Community. Inwiefern passe ich mich die ganze Zeit an? Kann ich mich je genug anpassen, dass ich dann passe am Ende? Wie viel von mir selbst muss ich geben und streichen und ignorieren, damit ich irgendeinem Ideal entspreche, das jemand von mir sehen will? Wie viel Integration ist Assimilation? Wie viel geht es darum, dass irgendwer mein ganzes Ich oder mein ganzes Selbst akzeptieren möchte, aber im Endeffekt nur die leicht kaubare Variante von mir sehen möchte?

Von links nach rechts: Anahita, Esma, Asma & Emelie. © Luca Wellenzohn

Anahita Neghabat: Ich finde, es ist gar keine provokante Frage, weil es in Österreich einfach eine Realität ist. Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut und FPÖ und ÖVP gemeinsam über 50% der Stimmen haben… Die FPÖ hat vor Jahren schon „Daham statt Islam“ und „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“ plakatiert. Die Frage, ob wir zu muslimisch für dieses Land sind, bildet demnach einfach nur die Realität ab. Es gab ja in Deutschland das Netzwerktreffen in Potsdam (Correctiv berichtete, 10.01.24), bei dem zahlreiche Akteur*innen aus Österreich ebenfalls dabei waren. Bei dem Treffen wurde über die Fantasie von “Remigration”, also Leute abzuschieben, von Massen-Deportationen gesprochen. Das betrifft Menschen, die muslimisch-migrantisch markiert sind, egal, was für einen Status sie haben, ob sie eine Staatsbürgerschaft haben etc. Wir erleben eine Entwicklung, wo der Wille der Wähler*innen ist, dass der Staat nicht einmal mehr die schützt, die Staatsbürger*innen sind. Es ist schlimm genug, dass bestimmte Menschenleben als weniger wert gelten, Menschen an den EU-Außengrenzen ermordet werden, auch mithilfe von österreichischer Politik. Aber bisher war es Konsens, dass ein Staat zumindest dafür verantwortlich ist, die eigenen Staatsbürger*innen zu schützen. Das wird immer mehr in Frage gestellt von vielen Wähler*innen und auch von etablierten politischen Parteien. Deswegen bildet diese Frage einfach die Realität ab, sie geht gar nicht darüber hinaus.

Bohema: Wie habt ihr die Künstler*innen für die Ausstellung gewählt? Gab es bestimmte Kriterien, die erfüllt werden sollten?

Asma Aiad: Es gab einen Open Call, bei dem sich Künstler*innen bewerben konnten mit ihrer Arbeit passend zum Thema. Dieses Mal haben wir geschaut, dass wir wirklich alle Künstler*innen nehmen. Es haben sich auch Leute beworben für Dinge, die wir dann im Rahmenprogramm eingebaut haben, zum Beispiel für Lesungen, oder Musiker*innen, die mit einem Konzert auftreten werden, Performances, Comedy… Zwei Arbeiten waren so groß, dass sie hier leider räumlich keinen Platz haben. Wir bräuchten ein Museum! Die räumliche Knappheit war unser einziges Kriterium. Sonst haben wir geschaut, dass so weit wie möglich alle Künstler*innen ihren Platz bekommen. Wir wollten auch Künstler*innen, die das erste Mal ausstellen oder noch gar keine Erfahrung haben mit Kunst – es sind nicht alle Personen, die hier ausstellen, „Künstler*innen“. Es sind auch Leute dabei, die etwas ganz anderes machen, aber eine Idee haben, die sie kreativ darstellen wollen. Da haben wir uns dann zusammen überlegt, wie man das umsetzt. Das ist das Schöne an Muslim*Contemporary: Es kommen so viele Köpfe zusammen, dass zum Schluss Teamwork entsteht, auch in einzelnen Arbeiten. Jemand sagt, „mich beschäftigt dieses Thema, oder ich habe etwas erlebt… wie denkst du könnte ich das kreativ darstellen?“. Dann kommen wir alle zusammen und man überlegt gemeinsam, wie man es am besten umsetzen könnte. Natürlich sind das individuelle künstlerische Arbeiten von individuellen Künstler*innen, aber zum Schluss steckt so viel Teamwork dahinter, dass es eigentlich eine Gesamtausstellung ist und nicht so einzeln zu denken ist. Das hat es seit Tag Eins so schön gemacht und ist etwas ganz Besonderes.

© Luca Wellenzohn

Anahita Neghabat: Die Galerie war deswegen auch die letzten Tage eigentlich eine Werkstatt, wo wirklich Zusammenarbeit stattgefunden hat. Ich habe unten eine Installation und ich bin irgendwann mittags angekommen und jemand hatte es für mich schon zusammengenäht. Es gibt auch Leute, die das Werkzeug oder die Skills nicht haben, die notwendig wären, um eine Idee umzusetzen – es ging aber vom ersten Jahr an immer darum, alles zu ermöglichen oder die Tools an die Hand zu geben, es umzusetzen. Ich finde es zeigt auch, was große Institutionen, die die Gelder haben, eigentlich machen müssten. Nämlich eben nicht zu sagen, wir laden Leute ein, die müssen aber alles selbst wissen und alles parat haben. Es braucht diese Fürsorge im Umgang miteinander, diese Unterstützung, Zuspruch und Vertrauen. Es braucht Zeit und eigentlich Geld, aber weil wir das nicht haben, braucht es viel Ehrenamt und eine große Community, dann geht es auch.

Bohema: Welche Themen dominieren aus eurer Sicht die Ausstellung dieses Jahr?

Esma Bošnjaković: Geschichten. Dadurch, dass der Open Call sehr märchenhaft war – orientiert an Geschichten, an Märchen, an den Erzählungen, die wir uns wünschen oder wie wir uns die Geschichte gerne erzählen würden. Deswegen haben wir sehr viele Märchen, auch fiktionale Inspirationsquellen. Zwei Arbeiten sind komplett mit Artificial Intelligence entstanden.

Asma Aiad: Die Ausstellung behandelt viel das Thema Zugehörigkeit, Identität, aber fern davon, sich nur über den Rassismus zu definieren. Wir haben eine großartige Arbeit über Henna, Henna zeichnen, Henna feiern – aber auch viel die Sehnsucht nach Ferne. Das Thema Sofra, zusammenkommen, essen und beieinander sein… Ich habe das Gefühl, eben dieses Märchenhafte hat ein bisschen dazu eingeladen, sich von den Dingen zu lösen und zu träumen. Räume zu schaffen, in denen man träumen darf.

Bohema: Wie gehen die Künstler*innen von Muslim*Contemporary mit dem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne um? Kann man das überhaupt kategorisieren?

Asma Aiad: Ich glaube das Coole bei uns ist, dass wir diese ganzen Begriffe von Tradition, Moderne, was ist modern, was ist traditionell, durchbrechen. Dass man immer so davon ausgeht, das Traditionelle ist altmodisch oder rückständig und nicht mehr zeitgemäß - das Moderne ist das Zeitgenössische. Ich habe das Gefühl, dass wir das bei Muslim*Contemporary durchbrechen und sagen, eigentlich gibt es Traditionen, die urwichtig sind, aber irgendwie verloren gehen. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel über das Thema Gastfreundschaft geredet, dass Menschen als Gastarbeiter*innen eingeladen, aber nie als Gäste behandelt wurden und man sich unter Gast etwas ganz anderes vorstellen würde. In all unseren Events spielen diese Themen Gastfreundschaft und sich um Menschen kümmern, Traditionen rund um Essen und Menschen willkommen heißen immer eine sehr wichtige Rolle. Das ist aber nichts Altmodisches, sondern ganz im Gegenteil - das sind Traditionen, die für uns wichtig sind, das sind Werte, die für uns eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig sollte das aber modern sein – warum nicht?! Man sollte mehr hinterfragen: was ist traditionell, was ist modern? Ich habe das Gefühl, dass wir versuchen, diesen negativen Touch hinter uns zu lassen.

“Nur in der Fremdzuschreibung werden wir homogen”

Bohema: Wie würdet ihr sagen, dass sich die muslimische Vielfalt widerspiegelt in der Ausstellung?

Asma Aiad: Es kann immer vielfältiger sein. Gebt uns größere Räume, dann holen wir noch mehr Leute! Aber ich finde schon, dass wir von Jahr zu Jahr immer mehr unterschiedliche Menschen erreichen.

Anahita Neghabat: …auch unterschiedliche politische Traditionen, weil wir ja gerade auch über Traditionen gesprochen haben. Wir haben ganz viele unterschiedliche nationale Identitäten, also abgesehen von Österreich, Deutschland, auch bei den Herkunftsländern. Dann aber auch ganz unterschiedliche ethnische Gruppierungen - unsere Biografien sind so komplex und es werden ur viele unterschiedliche Themen behandelt, auch was die persönliche soziale Positionierung angeht.

Asma Aiad: Was uns auch immer schon wichtig war, deswegen auch dieses Muslim Sternchen, dass man runterbricht, was es bedeutet, muslimisch zu sein. Natürlich gibt es Menschen unter uns, die sagen ich finde mich selbst muslimisch, andere wiederum sind gar nicht muslimisch, obwohl sie einen muslimischen Background haben, die muslimisch gelesen sind, weil sie davon auch selbst betroffen sind, obwohl sie selbst keine Muslime sind. Ich habe das Gefühl, dass auch die Zielgruppe immer diverser wird und dass wir in den letzten Jahren immer mehr auch so eine kritische weiße Zielgruppe erreichen, die einfach fragt: wie schaffe ich es, Ally zu sein? Wie schaffe ich es für euch da zu sein und auch Dinge zu lernen, Dinge zu verlernen, euch zu unterstützen? Wir haben unsere bestie white friends, die mithelfen – emotional support white people. Genau das ist das, was wir uns auch vorstellen. Wir machen hier etwas, wo wir Themen aufbrechen und einen Space für eine Community schaffen. Aber zum Schluss geht es um eine Gesellschaft, in der wir alle miteinander leben.

Während des Interviews im Ausstellungsraum. /// © Luca Wellenzohn

Anahita Neghabat: Für uns ist es eh eine Realität, deswegen ist es schwierig auf die Frage zu antworten. Ich glaube nur in der Fremdzuschreibung werden wir homogen. Muslimisch ist eine Fremdzuschreibung, eine rassistische Konstruktion als homogene Kategorie - was ja total absurd ist. Ich meine, Österreich ist so ein kleines Land, der Rest der Welt ist so groß! Wir sind sooooo unterschiedlich und für uns ist es eine gelebte selbstverständliche Realität. Auch wenn man eine marginalisierte Position hat, hat man ja immer mit der Mehrheitsgesellschaft zu tun. Es ist umgekehrt so, dass die Mehrheitsgesellschaft nichts mit uns zu tun hat und von unserer Komplexität und Diversität nichts weiß. Wir haben hier zum Glück den Raum, viel komplexer über Identität und Zugehörigkeit zu sprechen. In meiner Arbeit geht es beispielsweise um Grenzen und um meine eigenen multiplen Zugehörigkeiten, wie komplex diese sind. Ich bin Perserin, aber ich bin auch Armenierin, aber nicht Armenierin aus Armenien, sondern Armenierin aus dem Iran, dann bin ich Österreicherin, meine Großmutter kommt aus Schlesien. Was bedeutet das als politische Konsequenz? Ich glaube, wir ringen die ganze Zeit mit dieser Diversität und Komplexität, die wir haben, es ist nur die Fremdwahrnehmung, die das einfach nicht raffen will. Deswegen laden wir die Leute ein herzukommen und einen Einblick zu bekommen und das auch besser zu verstehen.

“Bitte lass’ es kein Trend sein!”

Bohema: Welche Rolle spielt die Ausstellung in der österreichischen Debatte über muslimische Teilhabe und gesellschaftliche Vielfalt?

Asma Aiad: Ich glaube die Ausstellung thematisiert es an vielen Stellen. Ich finde es immer interessant zu sehen, wie die Reaktionen darauf sind. Wir haben verschiedenste Reaktionen, von Angriffen zu Anfragen, ob wir nicht alle gefährlich sind, bis hin zu sehr positiven Rückmeldungen, auch von Seiten der Fördergeber*innen. Oder auch von Institutionen, die gesagt haben „hey, wir supporten das“ - auch Institutionen, die sagen „hey, wir wollen euch auch bei uns im Haus zu Gast haben“. Es gibt wirklich viel positive Rückmeldung und dann beten wir immer: bitte lass es kein Trend sein! Leider sehen wir immer wieder, dass es das sein kann. Wie schaut das dann langfristig aus, wie schafft man es, etwas auf die Beine zu stellen, was langfristig und nachhaltig ist? Wie kann es weiterhin gewährleistet sein, dass diese Arbeit auch funktioniert? Sie funktioniert gerade, weil so viele Menschen sie supporten und auch ehrenamtlich arbeiten, aber wenn wirklich alle fair bezahlt werden sollen, dann braucht es da noch mehr Förderungen.

Esma Bošnjaković: Um nochmal auf die gesellschaftliche Teilhabe einzugehen: Wir sind eh Teil der Gesellschaft! Die Muslim*Contemporary macht im Endeffekt nur die Teilhabe sichtbar. Sie bringt Leute an einen Platz und macht das sichtbar, was eh schon ur lange passiert. Wir zeigen es nur in einem Rahmen, in dem es vielleicht noch nicht gezeigt wurde.

Bohema: Inwiefern seht ihr das Festival als Plattform für soziale und politische Diskussion?

Asma Aiad: Die Leute sollen kommen, sie sollen diskutieren, sie sollen streiten, sollen miteinander reden. Sie sollen sich gegenseitig ein Spiegel sein, miteinander tanzen, essen und trinken. Es soll diese Plattform geben auf verschiedene Arten und Weisen. Das ist uns immer wirklich wichtig beim Kuratieren vom Programm, dass es nicht eine Diskussion eines hochkarätigen Panels sein muss, in der man etwas hochphilosophisch angeht – sondern, dass man einfach beim Essen und Çay tinken miteinander reden und diskutieren kann.

Esma Bošnjaković: Es wird sehr oft davon ausgegangen, dass man Kunst alleinig konsumiert oder Kunst etwas ist, was man sich anschaut, dann geht man nach Hause und denkt darüber nach. Aber das ist im Endeffekt nicht unser Verständnis von Kunst. Wir wollen, dass miteinander über die Kunst geredet und in Diskussion getreten wird. Wir können alle dazulernen, uns einander spiegeln und Dinge miteinander verstehen.

Anahita Neghabat: Wir wissen auch einfach aus Erfahrung, dass Bündnisse viel stabiler und stärker sind, wenn man schon einmal miteinander Brot gebrochen hat, miteinander getanzt hat oder miteinander Çay getrunken hat. Das ist enorm wichtig, in Zeiten, in denen wir auch gegeneinander ausgespielt werden, wo sehr viel Schmerz da ist. Leute gehen unterschiedlich damit um und es ist wichtig, dass wir trotzdem verbündet bleiben und dafür ist es von großer Bedeutung, dass wir auch physisch in Räumen zusammenkommen und nicht immer nur vor der Kamera oder auf der Bühne. Man macht trotzdem Dinge gemeinsam, bleibt verbündet und unterstützt einander.

Bohema: Gab es bestimmte Herausforderungen bei der Gestaltung von der Ausstellung oder insgesamt von dem Festival, vor allem im Hinblick auf Darstellung von sensiblen Themen?

Esma Bošnjaković: Mein Leben ist ein sensibles Thema. (lacht)

Ausstellungsansicht Muslim*Contemporary /// © Luca Wellenzohn

Anahita Neghabat: Muslim*Contemporary hat schon nach dem ersten Jahr einen schweren politischen Angriff erlebt. 2020 gab es eine große Polizeioperation namens "Operation Luxor” unter dem damaligen Innenminister Karl Nehammer in ganz vielen muslimischen Haushalten und es waren auch muslimische, antirassistische Akademiker*innen und Aktivist*innen davon betroffen. Jetzt, Jahre später, wurde gerichtlich festgestellt, dass es keine Rechtsgrundlage für diese Hausdurchsuchungen gab. Es gab keine einzige Verurteilung und trotzdem hat diese Operation sehr viel Angst verbreitet. Asma hat damals den mutigen Schritt gewagt, genau am ersten Jahrestag dieser Polizeioperation die erste Edition von Muslim*Contemporary zu veranstalten und auch diese Razzia zu thematisieren. Das war zu einem Zeitpunkt, als österreichische Medien noch überhaupt nicht darüber berichten wollten, weil sie dachten, vielleicht sind die doch alle radikal. Kurz darauf, wenige Wochen später, kam von der damaligen ÖVP-Generalsekretärin und einer Wiener Gemeinderätin ein politischer Vorwurf, warum wir gefördert worden seien von der Stadt Wien. Uns wurde Linksislamismus vorgeworfen, Gewaltbereitschaft, die typischen Sachen. Sowas ist vor allem für junge Künstler*innen und auch für Menschen, die eh schon von Diskriminierung betroffen sind und vielleicht auch zum Teil nicht so etabliert sind in der Kunstwelt, extrem schlimm. Es ist beängstigend, viele von uns leben in Österreich, weil unsere Familien vor Regimen geflohen sind, wo sie verfolgt wurden. Es ist auch unfair, es hat einen extremen administrativen Mehraufwand für die Förderstellen erzeugt. Das heißt, die überlegen sich dann vielleicht auch zweimal, ob sie uns nochmal fördern. Wir haben es dann an die Öffentlichkeit gebracht, in der Hoffnung, dass man sieht, dass diese Vorwürfe komplett absurd und populistisch sind. Die mediale Berichterstattung hat das anerkannt, auch Medien, die eher konservativ sind, haben in our favor berichtet.

Warum ich das jetzt so ausführlich erzähle, obwohl es vier Jahre her ist? Weil es einfach ein sehr, sehr gutes Beispiel dafür ist, dass es sehr schwierig ist, als muslimische Person in Österreich etwas zu machen, was explizit muslimisch ist und dann auch noch politisch - ohne dass einem Islamismus vorgeworfen wird. Es ist schwierig, zivilgesellschaftlich aktiv zu sein, antirassistisch, feministisch aktiv zu sein, ohne kriminalisiert zu werden. Das hat sich fortgesetzt, würde ich sagen. Diese Herausforderungen spürt man einfach an allen möglichen Punkten immer wieder. Umso wichtiger ist es, dass wir Unterstützung von Minister-Akteur*innen haben, die uns auch damals unterstützt haben, indem sie den offenen Brief unterzeichnet haben, mit uns kooperieren. Das ist wichtig, weil es dann natürlich viel schwieriger ist, uns Dinge vorzuwerfen. Wenn wir viele Verbündete von anerkannten Institutionen haben, ist es nicht so leicht, allen, die mit uns zu tun haben, vorzuwerfen, dass sie Islamist*innen seien. Die Absurdität wird immer ersichtlicher, aber diese Herausforderungen bleiben natürlich und haben sich sicher im letzten Jahr auch nochmal anders zugespitzt.

Bohema: Wie habt ihr den Raum gestaltet, um den verschiedenen Werken und Themen gerecht zu werden? Gibt es interaktive und multimediale Elemente, die das Publikum besonders ansprechen sollen?

Asma Aiad: Unsere Ausstellungsdesignerin hat es sich wirklich sehr gut überlegt, dass Kunst nicht nur etwas bleibt, was wir kennen, dass es nur etwas ist, was man von weit hinter einer großen Vitrine anschaut und nicht damit interagieren kann. Die Arbeiten sind sehr verschieden aufgebaut. Wir haben zwei Stockwerke, unten sind einige Videoarbeiten, die dazu einladen, mit ihnen zu interagieren. Eine Arbeit ist nicht nur eine Videoarbeit, sondern eine ganze Installation mit Pflanzen, welche wirklich auch ein Teil dieser Szene sind, die man in dem Video sieht. Oft hört man Geräusche, teilweise rieche ich sogar etwas, obwohl es eigentlich nichts zu riechen gibt. Aber wenn man das alles hört, dann fühlt es sich so an. Man kann knüpfen, es gibt Spiegel, die einen einladen reinzuschauen, Märchen, Rätsel, Henna… Es ist wirklich sehr einladend, interaktiv mitzumachen, man kann sich hinsetzen, man kann zuhören - man soll einfach verstehen, dass Kunst ein Teil unseres Lebens ist, und nicht etwas, was ganz special nur von weitem anzuschauen ist. Das war schon immer der Wunsch unserer Ausstellung.

Ein partizipativer und interaktiver Teil der Ausstellung ist die Knüpfstation samt Videoanleitung, bei der jede Besucher*in knüpfen und zum Gesamtwerk beitragen kann (welches am Ende Klimts Der Kuss darstellen soll) /// © Luca Wellenzohn

Bohema: Zum Abschluss: Was ist euer Höhepunkt an dem Festival, wenn ihr das überhaupt sagen könnt?

Asma Aiad: Ich finde es ur cool, dass wir heuer wirklich länger Programm anbieten. Und natürlich auch, dass wir auch in andere Bundesländer als Wien gehen, in Wien passiert eh so viel. Die anderen Bundesländer haben immer gesagt, wir sollen zu ihnen kommen, sind extra angereist die letzten Jahre. Es finde es toll, dass wir diesmal in Vorarlberg sind und auch dort Formate anbieten, Workshops und Veranstaltungen und so viel mehr. Das freut mich wirklich, wirklich sehr. Ich bin auch gespannt auf die verschiedenen Veranstaltungen, wo man wieder Leute sieht, die man so lange nicht gesehen hat. Einfach zum Plaudern, Baklava essen, miteinander eine schöne Zeit verbringen.

Anahita Neghabat: Ich freue mich auf alles extrem. Ich freue mich auf das Ganze dazwischen, das ich geschildert habe. Zusammenkommen. Ich liebe auch den Aufbau - ich fand es ur toll die letzten Tage, wenn dann alle einander unterstützen und auf Ideen kommen. Aber wenn ich eine Sache herausgreifen müsste, die wir bisher noch nicht hatten: Ich freue mich sehr, dass wir Comedy haben. Ich finde es ist wichtig, dass wir Räume schaffen, in denen wir einfach lachen können und uns erlauben, dass nicht immer alles von dieser Schwere getragen sein muss und auch andere Formen finden, um mit dieser umzugehen. Ich bin mir zwar sicher, dass es politische Comedy sein wird, und es wird um schlimme Dinge gehen, aber wir erlauben uns, andere Umgangsformen damit zu finden, die uns entsprechen.

Esma Bošnjaković: Ich freue mich auf die jungen Menschen. Jedes Jahr melden sich Gruppenführungen an, Schulklassen und so weiter. Ich freue mich einfach auf die Gesichter von den jungen Kids, die herumgehen und denken, „das kann ich auch machen, hier ist es ur cool!“. Da denken wir uns nämlich immer wieder: okay, deswegen machen wir das.

Bohema: Vielen Dank euch für dieses großartige Interview.


Die Ausstellung in der Eschenbachgasse läuft noch bis 27.10.24, alle Infos findet ihr unter https://muslimcontemporary.at/programm-mc24. Danach werden bis 09.11.24 weitere Veranstaltungen stattfinden. Geht hin und lasst euch verzaubern!

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