…Sonst wird’s überflüssig

Frank Castorf über Jelineks Frechheit, Inszenierungsverbot als Ritterschlag und die Notwendigkeit des Extremen - Wir treffen ihn kurz vor der Premiere von Schwarzes Meer im Besprechungszimmer des Landestheaters Niederösterreich.

Frank Castorf erzählt /// Andrea Gabriel (c)

 

Bohema: In diesem Stück schickt ja die Autorin Irina Kastrinidis ihre weibliche Hauptfigur auf die Suche nach ihrer Herkunft. Wie aktuell ist dieses Thema des Bevölkerungsaustausches zwischen Griechenland und der Türkei heute noch in den besagten Ländern?

Frank Castorf: Naja, stellen Sie sich vor wie es wär, wenn ich jetzt hier sitzen und sagen würde, dass es keinen Völkermord in Auschwitz gegeben hätte. In Griechenland ist es immer noch ein Trauma, auch in der Familie von Irina Kastrinidis.

B: Wie finden Sie den Text von Frau Kastrinidis?

C: Sie ist Schauspielerin. Dann hat sie begonnen Aquarelle zu malen und dann sie hat den Text geschrieben und beim Inszenieren habe ich so richtig Appetit auf den Stoff bekommen und dachte mir: „Mensch, der ist gut. Hat sie den geklaut?“ Aber ne, das ist eigen, wie sie einen hohen Ton produziert. Sie versucht ja nicht zu imitieren, sie selbst findet für gewisse Situationen einen melancholischen Ton, der nicht immer nur „Trinkt Coca-Cola!“ ist.

B: Schwarzes Meer ist natürlich ein geografisch festgelegter Ort. Würde man es wörtlich nehmen, könnte es ebenso zum Kontext passen. Der Name der Hauptrolle „Eleftheria“ bedeutet Freiheit auf Griechisch. Nehmen Sie solche Metaebenen szenisch in Ihrer Inszenierung auf?

C: Man kommt ins Spinnen, kann man sagen. Man kann sagen, assoziieren. Es ist immer ganz gut, Umwege zu machen, um dann wieder zurück auf die Hauptstraße zu kommen und weiterzufahren. Nicht alles hängt mit allem zusammen, aber es gibt Sachen, die sicherlich immer im Gedächtnis bleiben werden. Wenn man schweigt, kann man die Vergangenheit nicht verarbeiten, dann wird’s nur verdrängt.

B: Jetzt haben Sie Handke, Jelinek und Kastrinidis inszeniert. Sehr viel Zeitgenössisches also, zumindest in Österreich. Liegt Ihnen das so gut oder sind Sie mit den Klassikern einfach durch?

C: Nee, ich mach ja jetzt Schillers Wallenstein in Dresden. Dann in der Hamburgischen Staatsoper Mussorgskys Oper Boris Godunow mit Kent Nagano und in Belgrad Die göttliche Komödie von Dante. Also, das ist sehr unterschiedlich. Das Interesse am Zeitgenössischen kam vom Burgtheater.

Ich mag Frau Jelinek und Herrn Handke als sture Schöngeister und Ex-Kommunist*innen.

Ich freue mich, dass Handke den Zdenek Adamec aus der Vergessenheit geholt hat und darüber einen Text geschrieben hat, den ich auch noch gut finde. Jelinek genauso in ihrer Frechheit, sich in alles einzumischen, was sie nichts angeht. Das ist nämlich genau die Aufgabe und die macht sie sensationell gut. Tolle Frau!

Castorf mitten in der Materie, Sebastian im Aufnehmemodus /// Andrea Gabriel (c)

B: Absolut! Ich habe den Eindruck, dass alteingesessene Theatermenschen in den letzten zwei Jahren den Mut aufgegeben haben, zu kämpfen. Während junge Künstler*innen, die in Corona ihre Karriere starten müssen, gewohnt sind zu kämpfen, kämpfen, kämpfen. Sie sind ja auch ein Künstler, der immer für seine Kunst gekämpft hat. Wie nehmen Sie den momentanen Geisteszustand in der Theaterlandschaft wahr?

C: Ich bin im moderat-totalitären System in der DDR aufgewachsen und hatte den Vorteil, dass im Prinzip jede zweite Arbeit verboten wurde. Man hat das ungern politisch begründet, eigentlich wollte man sie immer über die eine andere Schiene verbieten. Ich habe einen Othello gemacht und der wurde wegen anti-humaner und anti-historisierender Tendenzen abgesetzt. Jedes Verbot war ja wie ein Ritterschlag.

Es gab ja keine wirklichen Medien, es gab das Gerücht. Und wenn das Gerücht da war, dann waren die Menschen da. Die haben sich über hunderte Kilometer in Bewegung gesetzt. Ich wünsche nicht jedem die Erfahrung der DDR, aber durchzuhalten ist gut. Egal wie man seine Kunst bewertet, am Burgtheater war Claus Peymann eine sehr wichtige Institution und teilweise selbst in Berlin, wenn er sich politisch wirklich eingesetzt hat.

Es fehlt ein bisschen an künstlerischen Intendant*innen

Und die es sind, sind sehr vom Management geprägt, also vom Erfolg. Erfolge sind auch Zuschauer*innen, aber in erster Linie Medien. Und in allererster Linie fehlt es an Kulturpolitiker*innen, die früher überhaupt keine wirkliche Rolle gespielt haben. Heute sehe ich bei vielen Intendanten so ein Untertauch-Prinzip. Im Augenblick geht’s den Theatern nicht mal schlecht, nur Zuschauer*innen sind nicht richtig da, aber sie sind immer das teuerste. Man kommt immer mit dem Geld des Theaters aus, wenn man nicht Theater machen will.

Ich kann hoffen, dass junge Leute kämpfen. Viele sagen ja, wir möchten gerne, aber wir können nicht. Die Potenz des Hungerns, auch des geistigen Hungerns, die muss man wissen. Das hat ein Dostojewski gehabt, das hat ein Tennessee Williams gehabt, also viele Menschen, die sehr extreme Kunstrichtungen praktiziert haben, haben das gemerkt. Wenn man zu satt ist, ist das nicht gut. Wenn das Theater nicht wirklich kämpft und sagt: „Wir sind was Besonderes! Kommt her! Das ist live!“, dann wird man es schwer haben.

B: Wenn etwas Neues gemacht wird, das den Leuten vielleicht gegen den Strich geht, wird’s ja schnell zum Eklat. Die Leute in ihren bequemen Prinzipien aufrütteln, das ist doch das, was Kunst machen soll. Dieses Ventil hat in den letzten zwei Jahren sehr an Wichtigkeit verloren. Muss man weitermachen?

C: Ja sicher! Sowas Sensationelles wie Heldenplatz von Bernhard und Peymann fehlt heute. Natürlich muss man jeder Zeitung oder jedem Medium auch ein wenig skeptisch gegenüber stehen, weil sie ja auch etwas verkaufen wollen. Es ist ja nicht aus Altruismus, die Presse ist ein Geschäftsmodell. Junge Leute müssen ran.

Die Namen haben sich so festgesetzt, sind wie in Zement gegossen.

B: Sie inszenieren seit einigen Jahren neben Schauspiel vermehrt auch Oper. Das Publikum der beiden Sparten ist höchst unterschiedlich. Was ist Ihre Erklärung dafür, dass Saalschlachten und Eklats heute im Schauspiel meistens ausbleiben? In der Oper hingegen gibt es Buhrufe und Kontroversen. Wie stehen Sie zu verbaler, kritischer Meinungsäußerung?

C: Man kann sagen, mir ist die Sphäre der Aufnahme, der Distribution wichtig. Ich bin, durch die Erfahrungen in Ostdeutschland, immer davon ausgegangen, dass nur der Zusammenhalt der Menschen, die Kunst produzieren, wichtig ist. Die Anderen kann ich dann einladen und die müssen geradezu „ja“ und „nein“ sagen. Der Widerspruch ist das einzige, was wichtig ist. Und die ganze Gegenbewegung der Dadaisten, der Surrealisten oder Futuristen gegen das konservative Kunstverständnis auf die Art „Zerschneidet einen Rubens!“, hat einen geradezu kriegerischen Begriff des Andersseins in die Kunst gebracht. Das impliziert natürlich mit Recht auch die Leute, die sagen, so geht das nicht. Ich hab das ja auch nirgendwo so extrem erlebt, wie in Bayreuth und das hat mich glücklich gemacht. Das ist eine Freiheit in dem Raum zu sagen: „Der denkt - und er denkt: Das ist falsch.“

Der Diskurs muss im Extrem geführt werden. Sonst ist das langweilig, sonst wird’s überflüssig.

B: Ja!

C: Ist total meine Meinung!

B: Das wollte ich hören.

Jetzt macht sich Frank Castorf auf dem Weg, um seinen wartenden Sohn (der bei Schwarzes Meer auch auf der Bühne zu erleben ist) im Hotel zu erlösen. Vielleicht bringt er noch etwas vom Griechen mit.

Schwarzes Meer ist in dieser Spielzeit noch dreimal (25. Februar, 10. und 16. März) in St. Pölten zu sehen. Noch unsicher? Sebastian schrieb auch eine Kritik über die Premiere, mehr muss man nicht wissen…

Theatermänner /// Andrea Gabriel (c)

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