The Leipzig Years — Kapitel 9
Elena Debachinsky © für Bohema
NEUN
Auto Grill. Venezia. Bella Italia.
Tag 2:
Lou brettert Salmas Schrottkarre die A57 von Venedig Richtung Padua runter.
Auf der Rückbank schlafen Stan und Dirk, wer will es ihnen verdenken, es ist 10 Uhr. So ne Scheiße, dass man aus Hotels immer so früh auschecken muss. Hotel, schön wärs, eine Scheune wars, die sich Hotel genannt hat. Hotel Anna in irgendeiner Vorstadt von Venedig, vielleicht auch einer eigenen Stadt in der Nähe, jedenfalls liegt das Hotel auf dem Festland. Das Wlan ging nicht und ich kann nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass die Betten frisch bezogen waren, als wir ankamen. Naja.
Venedig war auch scheiße, aber das haben wir, zumindest ich, auch erwartet. Viel zu voll und zu teuer, bis auf Aperol Spritzz, der ist in Italien wirklich herausragend günstig, um die zwei Euro, da kann man wirklich nicht meckern. Worüber ich allerdings schon meckern kann, ist, dass ich meine Sonnenbrille verloren habe. Als ich mich abends an einen Kanal gesetzt habe, mit einer Flasche Rotwein in der Hand, Sonnenbrille in der Brusttasche meines Hemdes, ist sie mir reingefallen, wie schon unzähligen Scheißtouris vor mir, ich schäm mich so. Das ist tragisch, das ist natürlich mehr als tragisch, weil Lou nämlich meinte er würde seine gesamten Klamotten verschenken, um eine Sonnenbrille zu finden, die ihm so gut steht, wie meine mir und es ist tragisch weil ich so verdammt abhängig nach Sonnenbrillen bin. Alles ist mir immer zu hell und natürlich ist mir vor allem Italien im Sommer zu hell.
So sitz ich jetzt mit Dirks Sonnenbrille, die mir nicht steht und die ich auch nur haben darf, weil er schläft, auf dem Beifahrersitz und schreie bei jeder Raststätte ‘’Haaalt’’, weil es da Sonnenbrillen gibt und ich von meiner nur weiß dass sie ursprünglich von Felipe ist und der ist ja Italiener, also…
Tag 4:
Wir sind in einer kleinen Wohnung in Monte Carlo!
Nicht dem Monte Carlo in Monaco, sondern in einer kleinen Provinzstadt in der Toskana. Gott sei dank, wussten wir das, als wir hingefahren sind, sonst wäre die Enttäuschung jetzt groß. In die Stadt, nein Stadt stimmt einfach nicht, nichtmal Dorf würde stimmen, es ist ein kleines Örtchen, auf einem Hügel, und auf diesen Hügel, darf man nicht mit dem Auto fahren. Wir haben Salmas Auto also unten geparkt und sind zu Fuss hochgelaufen. Es ist wunderschön und ich für meinen Teil muss sagen, ich glaube ich wäre mehr enttäuscht, wenn wir im anderen Monte Carlo gelandet wären. Mit der Zeit stellt sich aber raus, dass es hier nicht wirklich etwas anderes ausser Aperol trinken zu tun gibt und Dirk spielt den Track ‘’Aber hier Leben, nein Danke!’’ von Tocotronic einmal am Tag ab. Er hat recht.
Und weil es hier eben so wenig zu tun gibt, liege ich in meiner Hängematte in dem Olivenhain hinter Monte Carlo und denke nach. Ich hab echt derbe lang nicht mastubiert, was ein bisschen klar ist, weil ich ja mit Lou die ganze Zeit in einem Bett penne und der hat da sicher nicht so Bock drauf. Aber jetzt hier so, der Olivenhain, die Hängematte, die Abgeschiedenheit, das käme grad schon ganz gut rein.
Es geht nicht. Viel schlimmer, jetzt, wo ich es probiere, merke ich, ich will nicht. Bleib mir weg mit erotischen Gedanken, bleib mir weg mit allem, was mich traurig macht.
In einem Olivenhain in der Hängematte zu liegen, alleine zu sein, an nichts zu denken, das ist Urlaub, das ist Dolce Vita, da geht's mir gut.
In einem Olivenhain in der Hängematte zu liegen, alleine zu sein, an Hanna zu denken, das ist Scheiße, das ist Elend Vita, da gehts mir beschissen.
Ich will nicht mehr liegen, will nicht mehr nur an Hanna denken, will irgendwas tun, brauch Ablenkung, also lauf ich wieder hoch zur Wohnung, hol den Autoschlüssel und fahre zum einkaufen. No more Mr. Trübsal!
Die Küche sieht aus wie scheiße, auf dem Tisch liegen tausen Gläser von Gestern und Dirks Laptop, an welchem er sitzt und schreibt, Lukas und Lou hängen am Handy, sind aber so zufrieden damit, dass sie nicht mit zum einkaufen wollen. Hunger haben aber trotzdem alle.
Mir solls recht sein, ich hab auch Lust, alleine zu fahren, Mukke zu hören, die Gedanken irgendwohin schweifen zu lassen, wo es nicht weh tut.
Der nächste Supermarkt ist in Margione. Der Weg dorthin führt mich 20 Minuten staubige, ausgestorbene Straßen entlang. Wenn ich hier einen Platten bekomme, tötet mich die Sonne, bevor Hilfe kommt. Hätt ich mal ein Handy mitgenommen, es wäre nicht das erste mal, das Salmas Auto unterwegs schlapp macht. Das letzte Mal musste ich mitten im Winter um ein Haar sogar im Auto übernachten. Da hatt ich richtig Glück, dass um 22 Uhr noch jemand vorbeigefahren ist der keine Angst hatte mitten auf einer dunklen Landstraße anzuhalten.
Heute hab ich Glück, wobei ne, damals hatte ich einfach Pech. Bis zum Supermarkt schaff ich es easy, auch der Rückweg fängt gut an, außer dass Hanna mir einfach nicht mehr aus dem Kopf geht seit der Hängemattengeschichte. Ich muss daran denken, wie wir aus dem Lachen nicht mehr rauskamen, weil ihr alter Kumpel Michael Glaser sich so komisch verhalten hat. Ich muss daran denken, wie wir ihn eigentlich ausgelacht haben, was ja fast gemein ist, aber er hat es nicht gemerkt und ich schwöre es war auch nicht böse gemeint, er ist einfach ein witziger Kerl. Er verhält sich einfach lustig, ohne das vielleicht so genau zu merken. Die Erinnerung ist Teil einer größeren, wir waren zwei Tage wach, immer zusammen, ich wollte in der Zwischenzeit eigentlich mal nach München fahren, bin super verschallert zum Bahnhof, sie meinte sie kommt mit, nur um am Bahnhof dann zu sagen, sie kommt doch nicht mit, ich hatte schon ein Ticket für 70 Euro für sie gekauft, danach war mir auch meins scheiß egal, ich bin also auch wieder mit Hanna mit und wir sind abends dann zu diesem Grillabend bei Michael Glaser. Verdammt gute Zeit. Während ich mich frage, ob es jemals wieder so sein wird, mal ganz abgesehen von der ganzen Liebe Geschichte, einfach nur, ob wir jemals wieder so eine Zeit miteinander verbringen werden, so sorglos, so frei, so ohne Trauer irgendwo in meinem Kopf, während ich mich das frage spielt das Autoradio ‘’Going to California’’ von Led Zeppelin und die erste Zeile lässt sofort Tränen in meine Augen schießen.
‘’Spent my days with a woman unkind,
smoke my stuff and drink all my wine,
made up my mind
make a new start…’’
Scheiße, ich weiß doch auch nicht.
Zurück in der Casa, helfen mir Lou und Stan dabei, die Einkäufe einzuräumen, Dirk bleibt am schmutzigen Tisch sitzen, er müsse ‘’schreiben, Mann, ich bin Autor.’’ Geht mir aufn Sack so ne Egonummer und Dirk und ich rücken ein bisschen aneinander. Klar, bin ja eh angefressen, weil Hanna mir nicht so wirklich aus dem Kopf rausgeht.
Beim Kochen schafft Stan es irgendwie, sein Handyladekabel mit dem Brotmesser durchschneiden, wir alle müssen krass lachen, ich bin irgendwie nicht mehr sauer auf den Dirk und denk auch kurz nicht mehr an Hanna.
Urlaub ist schon verdammt gut.
Elena Debachinsky © für Bohema
Tag 8:
Am Strand hinter Pisa. (Der schiefe Turm ist sehr langweilig)
Die Jungs bauen eine Sandburg und ich gehe spazieren, wie ich das machen würde, wenn ich in einem Film leben würde. Hände auf dem Rücken verschränkt, die Wellen spülen leicht um meine nackten Füße herum.
Als ich vor vier Jahren nach Leipzig gezogen bin, war ich eine ganz andere Person als jetzt. Klar. Erfahrungen. Der Reichtum der vom Glück verlassenen.
Ich habe das schonmal geschrieben, ich schreibe es nochmal. Ich habe so viele verschiedene Leben gelebt und ich weiß nicht, ob ich eins missen will, weiß nichtmal ob ich einen Tag missen will.
Ich weiß nur, dass ich glücklich sein will. Das will ja jeder. Leicht ists aber einfach nicht.
Auch wenn das jetzt vielleicht grauenvoll klingt, aber ich weiß nicht, ob ich jemals wirklich glücklich war, das ist Teil dieser ganzen Sehnsuchtsgeschichte. Irgendwo, da liegt das Glück, in irgendeiner fernen Zukunft, irgendwo, da liegt ein Zuhause für mich, irgendwo, da gibt es einen Ort, an den ich gehöre und den suche ich, das ist meine Aufgabe. Mittlerweile bin ich ja schon ein bisschen vorangekommen, auf diesem Weg. Ich weiß jetzt, dass der Ort kein physischer ist, ich weiß jetzt, dass ich allein dafür verantwortlich bin, glücklich zu werden, dass das kein Dirk für mich erledigen kann, kein Lou und auch keine Hanna.
Ich habe mein Leben in den letzten Jahren in eine enorme Sackgasse gefahren. Ich weiß nicht genau, wann ich falsch abgebogen bin, wann es passiert ist, dass die Hoffnungslosigkeit, die Sinnlosigkeit und die damit einhergehende Depression das Ruder übernommen haben. Ich weiß nur, dass ich das Ruder wieder zurück haben möchte, dass ich wieder eine Zukunft habe, eine auf die ich mich freuen kann, eine die mir keine Angst macht.
Um ehrlich zu sein, glaube ich einfach nicht, dass Leipzig der Ort ist, an welchem ich all das erreichen kann und das liegt nicht mal an Hanna. Das liegt daran, dass die Muster, in welchen ich dort lebe, zu eingefahren sind. Meine Angst vor der Leere kann ich dort immer sofort füllen, mit Leuten, mit Kneipen, mit Alkohol, mit was auch immer. Ich möchte ab sofort aktiv Zeit mit Leuten verbringen, wenn ich das möchte, mich bei denen melden, oder ja sagen zu Einladungen. Nicht mehr, wie es jetzt ist, passiv von Treffen zu Treffen getrieben zu werden. Ich möchte wieder mehr schreiben. Ich möchte wie schon gesagt verdammt nochmal eine Zukunft, vor der ich keine Angst habe. Das ist in unserer Welt schon schwer genug, da muss ich mir nicht auch noch in meiner individuellen selber im Weg stehen.
Ich hab im Verlauf des letzten Jahres so oft ans umziehen gedacht, so oft an Wien gedacht, aber nie einen Schritt in diese Richtung gemacht. Warum nicht? Wenn ich das Ruder wieder selber in die Hand nehmen möchte, muss ich mir endlich eins verinnerlichen: Entscheidungen werden nicht von außen für mich getroffen, ich muss sie selber treffen und dann auch durchsetzen. Wow. Das mag jetzt für die meisten wie das absolut logische Lebens ABC klingen, für mich ist das aber eine wichtige Erkenntnis.
Auf dem Weg zurück zu den anderen bin ich aufgeregt, vorfreudig, nervös.
Lou kommt mir entgegen.
‘’Lou?’’
‘’Ja?’’
‘’Ich zieh nach Wien.’’
‘’Ich weiß. Ich auch.’’
Dirk und Stan haben wir noch nicht Bescheid gegeben. Ich weiß nicht genau, wie sie reagieren werden.
Dirk ist nicht wirklich am besten Punkt in seinem Leben, hat sein Studium abgebrochen, hat kein Vetrauen in seine Kunst, sieht deswegen seine Zukunft auch eher woanders, weiß aber leider überhaupt nicht wo, jetzt hat ihm die Anna auch noch gesagt, dass sie nach Den Haag ziehen wird und klar, die kannten sich nicht lange, aber scheiße ist das schon für den Dirk
(“ Ich brauch ne neue Art um Leute kennen zu lernen. Kippen hab ich immer und nach Kippen gefragt werd ich nie, vielleicht frag ich in Zukunft einfach: Hey brauchst du zufällig ne Kippe?”).
Ihm jetzt einen seiner engsten Freunde zu stehlen, naja ich kann mich ja nicht selber stehlen, ganz weg bin ich ja dann auch nicht, aber anders wirds schon, das kann man nicht verleugnen, das wird hart für ihn, da bin ich mir sicher.
Stan hat jetzt Clara und sein Studium und einen Job in einem Second Hand Klamotten Geschäft. Auch abgesehen davon, sind wir gar nicht mehr so eng wie wir es mal waren. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich dann fast doch immer nur mit Dirk rumgehangen habe wenn ich bei denen war, dass Dirk und ich uns einfach so gut verstanden haben, dass Stan manchmal irgendwie zu kurz gekommen ist. Mann, das tut mir leid. Mit mir und Stan hat alles angefangen. Wir haben uns in der zweiten Uni Woche kennengelernt, ich hab ihn nach einer Kippe gefragt und er hat mir eine Kippe gegeben, danach ganz leise gemurmelt ich hab ihn kaum verstanden, aber so war Stan, zumindest früher mal, jetzt ist er nicht mehr so schüchtern. Über Stan hab ich auch Hanna kennengelernt, über Hanna und mich hat sich dann ein gesamter Freundeskreis gebildet, irgendwo ist Liv jetzt deswegen mit Thala zusammen, Felipe und Sara, wobei die glaube ich nichts mehr haben, ich hatte keine Zeit mich um andere emotionale Miseren zu kümmern, ich war zu sehr mit meiner eigenen beschäftigt.
Naja, bevor ich zu viel drum herum rede, die Freundschaft zwischen Stan und mir ist der Ursprung von ganz vielem und irgendwie ist es hart so ein Ende, zumindest mal eine starke Veränderung einzuläuten.
Wir sitzen im ‘’Dolce Vitae’’, dem teuersten Restaurant ,in dem ich jemals war, viel zu teuer für uns alle, der Urlaub hat sowieso schon unsere finanziellen Ressourcen überschritten und Dirk musste deshalb noch für uns aufkommen. Er hat was auf der hohen Kante.
Dass das Restaurant so teuer ist, ist auch noch meine Schuld, nein, natürlich nicht der reine Fakt, dass es teuer ist, vielmehr der Fakt, dass wir hier sitzen.
Ich weiß nicht warum, aber es ist heute extrem voll in Monte Carlo.
Jedes Restaurant des Ortes, und das sind ca fünf Stück, was ungefähr 0,1 Restaurants pro Einwohner ausmachen dürfte, ist bis auf den letzten Platz belegt.
Jedes? Nein. Ein kleines, am hinteren Ende der Monte Carlosischen Hauptschlagader, der Via Roma hat noch einen freien Tisch und ich meinte, ich schau mal auf die Karte, schau mal, obs sehr teuer ist. Die Karte hing neben dem Eingang, war jedoch wegen Tischen samt Restaurantbesuchenden schwer zugänglich und lesen konnte ich sie auf die Entfernung auch eher schlecht, deswegen ging ich einfach davon aus, dass der Preis schon einigermaßen in Ordnung wäre. Nen Sauhunger hatt ich, deswegen wahrscheinlich auch.
Zu Stan, Dirks und meiner Überraschung, haben wir herausgefunden, dass Pasta in Italien eigentlich eine Vorspeise ist, beziehungsweise, dass man zwei Hauptspeisen ist, erst Nudeln, dann ein Fleisch oder Fischgericht. Kranker Scheiß. Lou wusste das.
Ich ess trotzdem nur ein Fleischgericht, was ich ja sonst nicht esse, aber es ist Urlaub, da kann ich manchmal nicht widerstehen und auch die anderen beschränken sich auf eine Mahlzeit.
Die Stimmung ist verdammt gut, ich fühl mich verdammt miserabel, gleich müssen wir Dirk und Stan den Boden unter den Füßen weg ziehen.
Als wir fertig gegessen haben, haben wir doch nicht fertig gegessen, Stan bestellt eine Käseplatte und das Restaurantpersonal lacht uns aus und ruft sich gegenseitig was auf italienisch zu, was auch ein paar der des italienisch mächtigen Gäste dazu veranlasst grinsend in unsere Richtung zu schauen. Kulinarischer Fauxpas. Eine Käseplatte ist wohl eher eine Vorspeiße.
Dirk, Lou und ich lachen erst beschämt, aber jagen uns dann die Käseplatte auch rein, Stan hat einen Punkt. Nicht nur metaphorisch, Stan bekommt wirklich einen Punkt, wir führen Liste, Stan hat jetzt drei, Lou fünf, Dirk erst zwei und ich noch keinen aber ich vermute, dass es sich dabei um ein Komplott handelt, die müssen abgesprochen haben, mir keine Punkte zu geben und sich selbst kann man ja keine geben, ‘’Da hab ich wirklich einen Punkt, oder Leute?’’, das geht nicht. Außer man ist Dirk und braucht die Punkte für Verabredungsselbstbewusstsein.
Ich kenne mich mit Käse nicht aus, aber auf unserer Platte gibt es harten Käse und weichen, keine Scheiben, sondern Stücke, dreieckig, dazu Marmelade, Feigenmarmelade und es ist wunderbar. Urlaub in Italien.
Jetzt ein Grappa.
Hoch die kleinen Gläser.
So, jetzt.
‘’Jo, wartet mal.’’
‘’Na los, der Arm ist schwer, der Dirk ist durstig.’’
‘’Wir müssen euch was sagen.’’
Die schweren Arme sinken wieder auf den Tisch, wir müssen euch was sagen ist immer ein ernster Satz, sobald man etwas muss, ist es kein Spaß mehr, alle wissen das.
‘’Wenn ihr mir jetzt den Urlaub kaputt macht, lass euch euch über die Planke laufen.’’
Ich muss schlucken, ich will weder Urlaube zerstören, noch über irgenwelche Planken geschickt werden, ich kenn die Jungs erst seit vier Jahren, davor haben sie 18 Jahre am Meer gelebt, ich weiß nicht, was da alles passiert ist.
‘’Lou und ich haben heute am Strand gequatscht. Ihr wisst ja, dass es mir schon länger nicht mehr so ganz gut geht, die Depressionen, die Ziellosigkeit, die Hanna und so … Ich muss was machen, um dieses Sackgassengefühl endlich zu bekämpfen und ich kann das in Leipzig einfach nicht mehr. Lou gehts da ja relativ ähnlich und deswegen haben wir entschieden, dass wir nach Wien ziehen.’’
Kurz und schmerzlos. Vielleicht nicht ganz schmerzlos.
Ich weiß jetzt schon, dass ich den Blick in Dirks Augen nie vergessen werde, nie vergessen werde, wie Dirks zierliche Hand, (er hat sehr zierliche Hände), ganz schlaff das vor ihm auf dem Tisch stehende Glas Grappa, nur noch leicht berührt, nie vergessen wie Dirk ein weiteres Mal bemerkt, dass etwas sagen MÜSSEN, nie gut sein kann.
‘’Nicht glücklich verliebt zu sein, ist ok, wenn man zumindest nicht alleine nicht glücklich verliebt ist, nicht zu studieren ist ok, wenn man zumindest nicht alleine nicht studiert, nicht mehr zu schreiben ist ok, wenn man zumindest nicht alleine nicht schreibt. Gemeinsam trösten Dirk und ich uns schon ganz gut darüber weg.’’
Ich sag nicht nur, dass ich nach Wien ziehe, ich sag auch, dass ich ihn bei dem ganzen Scheiß, den wir zumindest zu zweit durchziehen konnten, allein lasse. Es tut mir leid, Dirk. Ich lass dich nie allein, ich hoffe, das weißt du, ich bin nur einfach nicht mehr immer da.
‘’Meint ihr das ernst?’’ fragt Stan.
‘’Naja, wir ziehen jetzt nicht nächste Woche oder so um.’’ gibt Lou zurück.
‘’Erst so nächstes Jahr, im Frühling vielleicht.’’
‘’Nächstes Jahr im Frühling? Genau dann, wenn alles wieder schön wird nach der langen Dunkelheit wollt ihr reinhauen, ja nice.’’
‘’Ey voll, ich weiß dass das auch echt beschissene Seiten mit sich bringt, ich werd Leipzig echt vermissen, euch echt vermissen, aber ich glaub ich muss das einfach machen.’’
‘’Ne, mal Spaß beiseite. Ich weiß, dass ihr das machen müsst und ich bin verdammt stolz auf euch. Ich weiß auch, dass ihr dann nicht aus der Welt seid, es wird halt einfach anders, aber deswegen ja nicht automatisch beschissen.’’
‘’Aber, wenn ihr weg seid, wer wäscht denn dann sein Geschirr im Kutter nie ab, nachdem er da vier Tage gehaust hat?
Stans Satz war auflockernd gemeint, ein kleiner Witz, um zu zeigen, dass alles in Ordnung ist, aber er zeigt was ganz anderes, er zeigt, wie verdammt traurig das alles ist, wir merken das sofort, jeder von uns fängt an zu weinen, es wird nicht geredet, 10 Sekunden oder 10 Minuten lang wird nur geschluchzt und Tränen gewischt, dann meint Dirk ‘’Das ist ja wie ne scheiß Trennung, ich wusste nicht dass sowas in Freundschaften geht’’, Lou erwidert, dass er hofft die denken nicht wir weinen, weil der Grappa uns zu stark ist und wir müssen lachen. Es ist schon alles in Ordnung, kein Urlaub ist kaputt, keine Freundschaft ist zu Ende, niemand wird allein gelassen.
Abends sitzen wir in der Küche, Lou zeigt Stan irgendwas am Handy, Dirk macht sich seinen dritten Gin Tonic und ich mach mir meinen zweiten, in Unwillen, eigentlich hab ich gar keinen Bock zu saufen, irgendwie find ich aber, ich muss, ich kann ja Dirk nicht jetzt schon das ‘’Naja irgendwie lass ich dich doch allein’’ Gefühl geben. Vielleicht will er das aber, er ist nicht besonders gesprächig, hat zwar schon ein paar mal gesagt, alles sei in Ordnung, aber emotional ist er trotzdem. Das ist auch absolut fair.
Lou zeigt Stan nichts mehr am Handy, sie überlegen jetzt wer mehr Hauptstädte kennt und da Geographie mein Steckenpferd ist und Dirk sagt er geht ne Runde spazieren (während er das sagt, greift er nach seinen Kopfhörer, international language für: Ich geh alleine), schließ ich mich den beiden an. Wir schlagen das große Urlaubsbuch auf, das Buch, in dem wir die Punkteliste und ähnliche Notizen führen.
‘’Berlin’’
‘’Lissabon’’
‘’Madrid’’
‘’London’’
‘’Paris’’
‘’Andorra La Vella’’
‘’Stockholm’’
‘’Edinburgh’’
‘’Monte Carlo’’
‘’Scherzkeks’’
‘’Ne, ich meins ernst’’, mein ich,’’Monte Carlo ist die Hauptstadt von Monaco.’’
‘’Son Scheiss digga, Monaco ist die Hauptstadt von Monaco.’’
‘’Ne das denkt man, ist aber nicht so.’’ Ich bin mir sicher.
‘’Ey digga, ich halts da mit Lou, Monaco ist die Hauptstadt von Monaco.’’
‘’Ich wette wirklich um alles was du willst Stan.’’
‘’Monaco ist die Hauptstadt von Monaco, Monte Carlo ist ein Stadtteil.''
‘’Hast du gegoogelt?’’
‘’Ja.’’
‘’Oh. Ich war mir echt sicher.’’
‘’Wie war das mit der Wette?’’
‘’Ich hab nur zwei Hauptstädte gewusst.’’
‘’Das ist echt erbärmlich. Sofia.’’
‘’Zürich.’’
‘’Bern ist die Hauptstadt.’’ Lou ist Schweizer, wir müssen das nicht googlen.
‘’Scheiße.’’
Ich bin froh. Ich bin froh, dass der Stan auch so schnell verkackt hat und ich bin froh, dass niemand daran gedacht hat, dass Wien ja auch ne Hauptstadt ist. Darüber wollen wir heute nicht mehr nachdenken.
“Wie war dein Spaziergang, Dirkl?”
‘’Ich hab mir eine Flasche Rotwein in einem Restaurant gekauft, viel zu teuer, aber das wars wert, hab mich auf die Mauer gesetzt und auf das Land unter uns geschaut, ich hab geweint, und Lenny Kravitz gehört. ‘It aint over, till its over’. War verdammt schön Mann.
It aint over, till its over.’’
‘’It aint over, till its over. Hab dich lieb, Mann.’’
Der Roman “The Leipzig Years” ist das geistige Eigentum von Nils Kaiser kaiser.nils1@web.de
Der Nächste Teil erscheint am 23 Februar 2025
Lektorat Yannik Barth
Collage: Elena Debachinsky