Theater heute oder was ich ändern würde, wenn ich könnte

Sexismus, Rassismus und Klassismus hinter den hübschen Theaterfassaden - Von fehlender Gleichberechtigung und dem Frust darüber.

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Das Theater ist in einer Krise. Diese Einstellung existiert, seit Theater existiert. Es gab immer Menschen, die entweder die Perspektive dieser Kunstform nicht erkannt oder andere Medien bevorzugt haben, die niedrigschwelliger, billiger oder populärer waren. Aktuell sind wir wie zu Pestzeiten in einer Krise, die zwar über die Kunstform hinausgeht, uns aber gleichzeitig den Wert des Miteinanders aufzeigt. Auch ich bin mit dem Theater gerade in einer Findungskrise. Eine Freundin aus meinem Studium hat mich gefragt, was meine Pläne und Träume für die Zukunft wären und dieser Gedanke lässt mich seitdem nicht mehr los. Vor der Pandemie dachte ich, dass sich schon ein Platz für mich in der Schauspiel-Welt finden würde, aber nachdem wir jetzt ein Jahr lang in dieser verqueren Realität gelebt haben und ich auch um mich herum wahrnehme, wie schwierig und nervig und diskriminierend es da draußen zugeht, werden Zweifel in mir lauter.

Sexismus, Rassismus und Klassismus stehen bis heute nicht nur an der Berliner Volksbühne sondern in der kompletten deutschsprachigen Theaterlandschaft an der Tagesordnung. Ich finde es oberflächlich und falsch, diesem Verhalten damit zu begegnen, dass ich ja als Schauspielerin dann kündigen kann, wenn so etwas an meinem Arbeitsplatz vorfällt. Die finanzielle Situation von Menschen am Theater ist nicht immer so rosig, dass sie sagen könnten: Ok, ich verliere mit einer Beschwerde nicht nur meinen Job, sondern muss wahrscheinlich mit einer Konventionalstrafe rechnen, weil ich meinen Vertrag gebrochen habe. Aber hey, alles für die Gleichberechtigung!

Dabei würde ich auch gerne alles für die Gleichberechtigung geben!

Aber wir leben leider in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft. In dieser fühlen sich Männer besonders wohl, weil ihr Selbstbewusstsein dadurch gestärkt wird, dass die Hälfte der Menschheit (nämlich Frauen) ihnen scheinbar unterlegen ist. Intendanten der alten Schule konnten und können nur zu solchen Tyrannen werden, weil sie sich dank unterdrückter Frauen umso größer, mächtiger und wichtiger fühlen. Es entsteht dabei aber auch ein wechselseitiger Hass aufeinander, da die Einen Angst haben, ihre Macht zu verlieren und die Anderen endlich Macht bzw. Gleichberechtigung erlangen wollen.

Erst, wenn Frauen ein sicheres und ausreichendes Einkommen erhalten, kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden

„Ich brauche keinen Mann zu hassen; er kann mir nicht schaden. Ich brauche keinem Mann zu schmeicheln; er kann mir nichts geben.“ (Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein, 1929). Aber, um von diesem Exkurs wieder in die Theaterrealität zurückzukehren, es ist nun einmal so, dass die meisten Theaterhäuser im deutschsprachigen Raum von Männern (künstlerisch) geleitet werden (78% in DE, Stand 2014) und somit Frauen von einem Mann (finanziell) abhängig sind. Theater sind nicht nur strukturell das letzte Überbleibsel einer feudalen Vorherrschaft, die einmal in ganz Europa der Status Quo war. Die sogenannten Hoftheater wurden nach 1918 mit dem endgültigen Fall der meisten Monarchien in Europa zu Stadt- und Staatstheatern, aber die Hierarchien blieben dieselben.

Ein Monarch, also der Intendant, hält alle Fäden in der Hand

Alternative Systeme wie Doppelspitzen, die die Konzentration von Macht auf eine Person aufheben würden, werden aber aber oft durch die kommunale oder bundesweite Politik - die die Fördergelder zahlt - nicht unterstützt. Gleichzeitig herrscht immer noch ein großer Hunger auf die großen Klassiker der Theaterliteratur. Virginia Woolf stellt auch hier eine interessante These auf: Was wäre gewesen, wenn Shakespeare eine ebenso talentierte Schwester gehabt hätte? Wäre ihr eine ähnlich verlockende Karriere möglich gewesen wie ihrem Bruder? Natürlich ist die Frage eher rhetorisch gestellt, denn im elisabethanischen England durften Frauen nicht einmal als Schauspielerinnen auf die Bühne, vom eigenen Lebensunterhalt in anderen Bereichen ganz zu schweigen. Sie waren von ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern abhängig.

Es ist erschreckend, in Woolfs Essay A Room of One´s Own aus 1929 die Parallelen zu heute zu erkennen. Während also meist mehr Stücke von Dramatikern als Dramatikerinnen (die es auch früher schon gab) aufgeführt werden, werden diese dann auch tendenziell eher von Regisseuren als Regisseurinnen inszeniert. Der Raum, der Frauen im Alltag oft verwehrt wird, wird ihnen auch in der Kunst nicht gegeben. In der 3sat-Dokumentation THEATER.MACHER.INNEN (große Empfehlung!) äußert sich René Pollesch über die Klassikerinszenierungen: Der deutsche Regisseur, der bald die Berliner Volksbühne übernimmt, schreibt die Texte seiner Inszenierungen selbst, wobei die Darsteller:innen ein Mitsprache- und Interpretationsrecht behalten. „Die können Nein sagen. Und das Nein wird gehört“, betont er.

Laut Pollesch sind klassische Texte meist schon immanent frauenfeindlich, weil oft neben vielen vielen Männerrollen nur eine Frau mitspielen kann. Wie soll da Gleichberechtigung auf der Bühne entstehen? Gut, das ist ja Polleschs Meinung und ich würde jetzt nicht vorschlagen, dass nie wieder Klassiker gespielt werden dürfen, weil es sich nunmal meist um Stücke handelt, die so gut geschrieben wurden, dass sie bis heute noch einen Stellenwert in der Kunst haben. Außerdem will ich nicht unkommentiert lassen, dass man mit René Pollesch wieder einen Mann an die Spitze eines großen Theaters setzt, was definitiv spannend wird, da er sich sehr klar zur Gleichberechtigung positioniert.

Es wäre schön, mehr leitende Frauen im Theater-Olymp zu sehen

Ich bin gespannt, was sich in den kommenden Jahren an Strukturen im deutschsprachigen Theater ändern wird und ob bald Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft keine Grundlage mehr für Diskriminierung sein werden. Dank der Arbeit vieler Frauen, Vereine und Organisationen wie dem Ensemble-Netzwerk, Themis oder Pro Quote Bühne gibt es Grund zur Hoffnung. Aber warum denn eigentlich Gedanken an ein Festengagement verschwenden, wenn es so viele Gründe gibt, die mir Sodbrennen bereiten? Naja, es ist eine finanzielle Sicherheit. Ich dachte erst, das sei kein besonders künstlerischer Gedanke von mir, aber ein Schauspieler meinte vor kurzem, dass sei doch sehr richtig: wie soll ich mich mit ständigen Geldsorgen auf eine kreative Arbeit einlassen können? Erst kommt das Fressen, dann die Kunst, um Bertolt Brecht etwas abzuwandeln. Außerdem gehört Theatermachen an sich endlich einmal anständig bezahlt, aber das ist wieder ein anderes Thema…

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