Theater in Zeiten des Verzichts

Die Achterbahnfahrt der Theaterdebatten zwischen experimentellen Höhen und existentiellen Tiefen.

Foto: Muhammad Al Firman/UNSPLASH

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Es ist gar nicht so einfach in Zeiten wie diesen einen Text über die Unverzichtbarkeit des Theaters zu schreiben, wenn sich gerade das in den letzten Monaten herauskristallisiert hat: auf Theater kann verzichtet werden. Zu diesem Entschluss kam die Theaterwelt über Umwege und Aufschreie, über Gesprächsrunden und Diskussionen (online, versteht sich), sowie über Zoom-Experimente und Geistervorstellungen. Während in der Öffentlichkeit von Infektionswellen die Rede war, schwappten in der Theaterwelt frische Impulse, alteingesessene Meinungen und neue Debatten wie zischende Wellen auf den Sandstrand oder die Covid-Viren auf die Bevölkerung.

Was über Theater diskutiert wurde, während die Bühnen geschlossen und für uns die eigenen vier Wände die Bretter, die die Welt bedeuten waren

Beginnen wir mit der Frage nach der Systemrelevanz von Kunst- und Kulturinstitutionen. Nachdem es zuerst eine große Empörung gab, dass das Theater nicht als relevant für das System gilt, folgte eine Art Beruhigung der Gemüter mit der Aussage: ja vielleicht nicht ganz systemrelevant, aber lebensrelevant. Denn seien wir mal ehrlich: eine längere Zeit nicht ins Theater zu gehen ist schon möglich. Aber dass das Leben dadurch an Farbe verliert, bleibt unbestreitbar. Das gilt für alle Kunst- und Kulturinstitutionen.

Ins Theater zu gehen bleibt eine Freiwilligkeit, eine freiwillige Freizeitgestaltung. Natürlich gibt es Kunstschaffende, die sich ihre Kunst zum Beruf mit wirtschaftlichem Wert gemacht haben. Aber ohne ein Publikum, dass sich in der eigenen Freizeit dem Kunstvergnügen widmet, gibt es diese Berufe nicht. Die Geburt der Freizeit ist eine Konsequenz der Industrialisierung, die mit strikten Arbeitszeiten und Frei-Zeiten den Arbeitenden ermöglichte, ihren Feierabend nach eigenem Belieben zu gestalten. Dort entwickelte sich die (Massen-)Unterhaltungsindustrie, wie wir sie heute kennen und mitgestalten.

Theater, Bordelle, Fitnessstudios - doch alles das Gleiche?

Die nächste Empörung erfolgte über die von der Regierung gesetzlich beschriebene Gleichstellung der Kunst- und Kulturinstitutionen mit anderen Freizeiteinrichtungen wie Fitnessstudios, Bordellen, Vergnügungsparks und Spielhallen. Diese scheint auf den ersten Blick zwar paradox. Auf den zweiten Blick aber, unter Einbezug dieser historischen Tatsache, allerdings korrekt. Gibt sich das Theater als der Spiegel der Gesellschaft und als Diskursstätte, muss es von seinem elitären hohen Ross runter und einsehen, dass die Gesellschaft auch dort existiert, wo sie oft vergessen und übersehen wird.

Trotz allem darf natürlich nicht vergessen werden, dass die Berufe in der Kunst- und Kulturbranche die ganze Zeit gefährdet sind und viele Kunstschaffende jeden Cent umdrehen müssen. Diese Frage ist allerdings eine politische, die sich in einer Gesellschaft, die so auf soziales Mit- und Füreinander pocht an die Kulturpolitik gerichtet werden, und am wichtigsten, endlich Gehör finden muss. Schaffensdruck und die Angst vor existenzgefährdenden finanziellen Kürzungen sind meist die falschen Motoren für neue, innovative Kunst(um)formungen.

Die Mommy Issues digitaler Unterhaltungsmedien, wie zum Beispiel des Films, gegenüber der alten, großen und elitären Institution Theater, haben sich plötzlich in Luft aufgelöst. Denn jetzt, im digitalen Zeitalter und ausgerechnet während einer Pandemie, in welcher fast alle Kunstformen in den digitalen Raum ausweichen müssen, hat das Theater seinen erzieherischen Anspruch auf inhaltlicher und substanzieller Ebene verloren. Es kann beobachtet werden, wie sich eine neue Sparte in den Theaterhäusern etabliert hat: das Netztheater. Die Häuser öffnen ihre Archive mit Inszenierungen vergangener Spielzeiten. Die Theaterschaffenden experimentieren mit Zoom & Co und es kommen grandiose Inszenierungen heraus - zwar nicht immer, aber gute Kunst braucht seine Zeit. Zwar kann eine Kunstform wie das darstellende Spiel, die in ihrem Kern Leiblichkeit, Gegenwärtigkeit und Analogie ist, nie wirklich digital stattfinden. Es auszuloten, kann trotzdem probiert werden.

Endlich auf der Couch und in Zürich im Theater zur gleichen Zeit sein

Netz heißt Mobilität. So hatten Theaterbegeisterte endlich die Möglichkeit eine Inszenierung in einer anderen Stadt und sogar in einem anderen Land zu sehen. Das ist sonst nur schwer der Fall. Das ist auf jeden Fall eine große Errungenschaft. Viele Häuser haben auch bewiesen, dass Theater nicht nur Text, Kostüm und Mensch ist, sondern dass andere Formate, wie Lesereihen, Solo-Performances der Ensemblemitglieder, partizipative Aufführungen und ein kreativerer Blick hinter die Kulissen, spannend sein können und als Überbrücker durchaus funktionieren. Es ist vorstellbar, dass einige digitale Formate bleiben, aber im Großen und Ganzen sind und waren diese Formate Provisorien, Stand jetzt. Aber das ist fürs erste auch okay, die Vorfreude steigt.

Die Pandemie hat etwas zum Klimaschutz beigetragen, diesen Kraftakt muss das Theater als Institution noch leisten. Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind globale, spartenübergreifende Probleme, die mit jedem Tag nur relevanter werden. Die Produktionsbedingungen von Aufführungen und Proben sind alles andere als grün. Wasser- und Materialverschwendung und volle Einkaufswagen bei Amazon wegen verworfenen Requisiten helfen nicht dabei, Nachhaltigkeit auch auf der Bühne zum Ziel zu machen. Auch der Gastspielbetrieb ist ein Punkt der unter die grüne Lupe genommen werden sollte.

Apropos Lupe, schon mal auf die klein gedruckten Sponsorenlogos auf den Programmheften, der Homepage und in Spielzeitheften von großen Theaterhäusern geschaut? Das Theater gibt sich als Kunststätte manchmal ach so kritisch, richtig und unverbesserlich, aber hinterfragt anscheinend kaum den ideologischen Hintergrund mancher ihrer Förderer.

Spannend bleibt, was sich tatsächlich ändern wird. Denn Debatten sind erst dann mehr als nur leere Worthülsen, wenn sie anregen, verändern und bewegen. Vielleicht ist die Tatsache, dass die Theaterhäuser mit ihrer Öffnung noch warten müssen, gar nicht so schlimm; denn für die Realisierung einiger der oben angesprochenen Punkte scheint jetzt eine gute Zeit.

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