Über.leben: Grosze Klappe 9

Von time of your life zu time to end your life in nullkommanichts? Urlaubsschnösel, Feierabendlusche und Duschlappen auf der Kippe zwischen Wolke sieben und Nervenzusammenbruch.

Fuck paradise, surviving is good enough /// Aleksandra Timofeeeeva (c)

80-er-Schlabberhemd, Analogkamera um den Hals und Ferien in irgendeiner putzigen Altstadt. Ein leichtes Windchen spielt mit deinen Beinhaaren, die sonst das ganze Jahr unter der Jeans verkommen: Dir geht’s wie Gott in Frankreich. Eh klar, du bist ein weißer Mann in Cannes. Du schießt ein paar Fotos, schlenderst durch uralte Kirchen und Gässlein und fühlst dich, natürlich auf Daddys Money, frei wie ein Vogel. Ultimate White People Holiday, aber dich juckts nicht, einmal im Jahr geht auch dein White Guilt in den Urlaub, wenn du sowas überhaupt hast.

Aber wehe dir, wenn du dich nicht rechtzeitig in eins der ausgeputzten Abzockerestaurants setzt, dann wird aus time of your life time to end your life. Plötzlich hast du einen irren Hunger, obwohl du gerade erst gefrühstückt hast, das erste Lokal, wo du dich hinsetzen möchtest, macht aber schon Siesta. Das zweite auch, die halbe Stadt pennt plötzlich. Natürlich musst du jetzt auch noch aufs Klo, die Kamera ist schwerer als der Stein von Hans im Glück, der Gurt schneidet dir in die Schulter. Vom Wind ist keine Spur mehr, du schwitzt, verzweifelst, rennst schon fast auf der Suche nach Essen und einem Loch, wo du dich erleichtern könntest. Ein Kampf ums Überleben, so fühlt es sich zumindest an. Am Ende hast du dann Bauchschmerzen vom überwürzten Döner, der offensichtlich zu lange in der Hitze rumstand und fühlst dich höchstens wie Gott in Wiener Neustadt. Oder in Floridsdorf.

Fallbeispiel zwei, nach einem langen Arbeitstag alleine zuhause:

Mir müsste es blendend gehen, ich liege im Bett und mache endlich das, was ich vermeintlich will, nämlich einen Film zu schauen. Doch ich zähle die Sekunden bis zur Schlafenszeit, wenn endlich alles vorbei ist. Irgendwie juckt mein ganzer Körper, der Kissen drückt, die Füße sind kalt und ich müsste mich längst auf die Seite legen, aber dann sehe ich den Film nicht. Alles ist scheiße. Fühlt es sich so an, alt zu sein? Gerade eben stand ich noch nackt auf dem Teppich, frisch geduscht, meines Körpers bewusst, dazu ein Lieblingssong aus der Dose. Vielleicht der hier. 

Mir war wohlig warm, ich fühlte mich mitten im Leben, fast high. Das war so richtig being alive. Und jetzt, nur 15 Minuten später, kämpfe ich mit starrem Nacken im Bett ums reine Überleben. Ist es nicht skurril, wie nah sie beieinander sind, leben und überleben?

Giraffe auf dem Klo

Wenn du mal drauf aufpasst, findest du diesen Wechsel an jeder Ecke. Zum Beispiel im Bad. Da stehe ich unter dem Duschkopf, das Wasser schwemmt alle meine Sorgen weg, umarmt mich lauwarm, während mich die Musik zärtlich von hinten nimmt. Eine Ménage-à-trois auf Dampfwolke sieben. Nur fünf Minuten später verfluche ich in der Pose ‚Giraffe am Wasserloch‘ beim Fußnägelschneiden, dass ich von King David nur den Namen, die Körpergröße aber von seinem Widersacher habe. Der Rücken schmerzt, aus dem offenen Fenster zieht es kalt auf meine Bandscheibe, meine Arme schlafen langsam ein, während mich aus der Box, die auf der Waschmaschine plötzlich genau auf Ohrenhöhe steht und nicht mehr vom Geplansche übertönt wird, Stevie Wonder anbrüllt. Ich bin kurz vor einem kapitalen Nervenzusammenbruch, es kostet mir all meine postsowjetisches Dickhäutigkeit, die ich über meinen ungarischen Vater und meine ostdeutsche Mutter Stalins Kolonialismus verdanke, um doch irgendwie weiterzumachen. Und das scheint auch generell die einzige Lösung zu sein. So keep rocking that boat, am Ende sterben wir eh.

Bock auf mehr groszen Stuss? Hier entlang zu allen Ausgaben.

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