Bohema Magazin Wien

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Vienna Shorts Tag 4-6: Review Collage

Das Vienna Shorts Filmfestival ist vorbei und wir reflektieren anschließend an unsere ersten Review Collage die zweite Hälfte des Festivals.

Sonntag - BILD FÜR BILD

Das wohl mit beeindruckendste Programm, welches dieses Jahr im Vienna Shorts stattfand, war das Stop-Motion Programm BILD FÜR BILD. Hier gab es eine ungeheuer große Dichte an Kreativität und sorgfältiger Handwerkskunst zu sehen. Unter anderem mit neueren Filmen, wie der tschechische Film DCERA, der 2020 für einen Oscar nominiert wurde. Pappmaché ähnliche Figuren schmücken das Bild. Diese sehen irgendwie so aus, als hätten Kinder die gemacht, gleichzeitig besitzen sie eine gewisse erwachsene Ernsthaftigkeit, welche sich durch ihre Gesichter zieht. Bemerkenswert ist auch die Kamera, die wie bei einem Realfilm genutzt wird. Wir sehen Nahaufnahmen, hektische Schnitte und ganz still steht diese dabei eh nicht. Dazu kommt eine melancholische Geschichte über Tochter und Vater, die es schafft, ohne Worte ganz viel Kummer zu kommunizieren.

Oğulcan Korkmaz

DCERA - © Vienna Shorts

Piece of Meat - © Vienna Shorts

Der Stop-Motion Kurzfilm Piece of Meat zeigt das Leben eines Stück Fleisches, seiner essbaren Bekannten und anderen leblosen Gegenständen. Das Stück totes Tier ist Schicksalsschlägen ausgesetzt, wie sterbende Liebende, Geldsorgen und Einsamkeit. Am Ende ist die Verzweiflung so stark, dass nur noch der Selbstmord als Ausweg bleibt. Symbolisch werden Klassenunterschiede und ein Ergötz an Verliererstorys repräsentiert.  Diese Inszenierung ist random und kitschig zugleich, aber auch etwas ganz Neues.  

Stephanie Madeleine Grechenig

Sonntag - ANALOGE FANTASIEN

Das Programm ANALOGE FANTASIEN stellte im Stadtkino in zwei Vorstellungen Filme der Schule Friedl Kubelka vor. Diese Super-8-, 16mm- und 35mm-Filme wurden hierbei mit wechselnden Projektoren vorgeführt. Auffällig waren die verschiedenen Ansätze. Der Stummfilm Juri von Johannes Schrems zeigt beispielsweise 30 Minuten lang Familienmaterial, das zum Nachdenken anregt. Er entspricht nämlich in vielen Aspekten den typischen Home Movies, die man (wenn auch heute eher in anderen Formaten) aus der eigenen Familie kennt. Lediglich die relativ hohe Schnittfrequenz und der Eindruck, die filmende Person wisse halbwegs, was sie macht, trennen Juri von dem Rest dieses großen Erinnerungsmeeres. Da stellt sich die Frage, wann man einen Film im Kino zeigen sollte, statt ihn als Denkmal im Privaten zu belassen. Die Antwort darauf ist wahrscheinlich: Immer! Der Film Kind mit Mutter von Wilma Calisir hat einen ähnlichen familiären Kontext, aber hier wird ganz bewusst mit dem Material gespielt. Das analoge schwarz-weiß stellt die Mutter am Smartphone dar. Während das Bild mindestens 50 Jahre alt erscheint, zeugt es jedoch inhaltlich von unserer Zeit. Eine nette Irritation! Die anderen Filme entsprachen eher den Formen, die man vielleicht sonst so im Kino oder auf Festivals sieht. Da war beispielsweise der hochstilisierte Reflexionsfilm Am Rande des Vorhangs von Antoinette Zwirchmayr oder das Experimentalwerk Sonnenfilm von Antonia de la Luz Kašik. Zwei nebeneinanderliegende vertikale Aufnahmen vom Sonnenauf- und Untergang über dem Meer. In Zeitraffer beobachten wir die Wellen und den Feuerball so lange, bis sie den Anfangspunkt des anderen Bildes wieder eingenommen haben. Könnte auch aus den 60ern oder so sein. Ab damit ins Filmmuseum!

Am Rande des Vorhangs - © Vienna Shorts

How to Survive the Heatwave and Stay Human - © Vienna Shorts

Sonntag - LETZTE GENERATION

Unter dem Titel LETZTE GENERATION wurden Sonntagabend im Museumsquartier acht Kurzfilme gezeigt, die sich alle mit dem Thema „Umwelt“ beschäftigen. Naheliegend werden hier viele postapokalyptische Szenarien gezeichnet. Der israelische Film How to Survive the Heatwave and Stay Human zeigt in poppiger Ästhetik mit geilem Soundtrack eine nicht allzu entfernte Dystopie, in der die Hitze das Verlassen des wohltemperierten Wohlstandhauses verbietet. Paradise von Jerome Cortie hingegen zeigt in Videospielästhetik eine postapokalyptische Welt, in der die reichen Überlebenden der Klimakatastrophe mit den letzten Refugien der Erde vertraut gemacht werden. Die wahren Highlights waren jedoch Afterlives von Michael Heindl und PLSTC von Laen Sanches. Heindl hat sich für sein Werk das Thema des (Plastik-)Mülls vorgenommen und nutzt die Taktik der direkten Konfrontation. Statt dokumentarisch die Auswirkungen dieser Verschmutzung im Meer – das ja eh weit genug weg von uns ist – aufzuzeigen, holt er die verstoßenen Objekte direkt in unseren Alltag. Ein Plastikrohr an einem Brunnen führt nun zu einer Bewässerung des Asphalts, ein Tennisball an einer Wiener U-Bahn blockiert den Türschließmechanismus und Plastikteile in einem Belüftungsgerät schaffen ein nervtötendes Rattern. Wenn man sich nicht um seinen Abfall kümmert, wird er eben im Guerillastil nach Wien gebracht! Auch PLSTC beschäftigt sich mit diesem Thema. Hier werden verschiedene Tierarten in realistisch-stilisierten Bewegtbildern als Opfer eines Plastiktodes gezeichnet. Das Besondere hierbei: Alle Filmdioramen sind von einer KI generiert. Die künstliche Verschmutzung der Meere auf einer ganz neuen, automatisierten Ebene! Welten besser als die ganzen KI-Videos, die wie Plastikmüll auf YouTube angespült werden.

Dominik Schwaab

Dienstag - MENSCHENRECHTE I

Jasmina ist voller Vorfreude auf die bevorstehende Reise nach Berlin. Ein wenig Abstand von zu Hause, würde bedeuten, endlich mehr Zeit mit ihrem Klassenkameraden Lukas verbringen zu können. Eines Abends kommt die Polizei ohne Vorankündigung in die Wohnung und teilt Jasmina und ihren Eltern mit, dass sie abgeschoben werden sollen. Vergeblich versucht die Schülerin einen Ausweg zu finden. Doch es steht fest, sie müssen ihre Heimat Deutschland in fünfzehn Minuten verlassen. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit macht sich breit und lässt nur noch eine Option übrig. 

Nach dem Film Fünfzehn Minuten war das Schweigen und die Sprachlosigkeit vorprogrammiert. Auf äußerst mitfühlende Weise wird gezeigt, wie schrecklich und grausam eine solche Nachricht für ein junges Leben ist.

Stephanie Madeleine Grechenig

Fünfzehn Minuten - © Vienna Shorts

Dienstag - ZEITENWENDE 1938

Ja, Filmaufnahmen von 1938, von Straßen voller uniformierter Truppen und Hakenkreuzbehangenen Gebäuden, kennt man. Vor allem aber kennt man sie aus Propagandaaufnahmen der NSDAP oder aus Prestige-Dokumentarfilmen (die oftmals unhinterfragt ebenso auf das Nazi-Filmmaterial zurückgreifen). Amateurfilme aus dieser Zeit dürften den Wenigsten bekannt sein. Der eklatante Unterschied (in Ästhetik und Wirkung) zwischen den meist mit Musik unterlegten „Hochglanz-Aufnahmen“ der Zeit und dem Amateurfilm lässt das fantastisch kuratierte Programm ZEITENWENDE 1938 am Dienstagabend im Metrokino erkennen. Seit über zehn Jahren sammelt das Filmarchiv analoge Amateurfilme, die oft ungesehen auf Dachböden einstauben – als Zeitdokumente, die uns aus der Gegenwart heraus die Vergangenheit neu sehen lassen.

Tatsächlich ist die Wirkung dieser Filme enorm. Während den bedacht erstellten Propagandafilmen (und einige der Amateuraufnahmen, die versiertere Schnitttechniken nutzen) immer etwas Gemachtes anheftet, das den Blick auf den Realitätsbezug der Bilder verschleiert – natürlich wissen wir alle, dass die Bilder echt sind, aber fühlen sie sich auch so an? – treffen wacklige Aufnahmen von der hazenkreuzgesäumten Ringstraße, hastige Schwenks auf über die Köpfe hinwegdonnernde Kampfflieger, einen anderen Nerv. “Das hätte ich filmen können”, spürt man bei diesen Bildern unbestimmt, auf einmal wird die Zeit in ihrer Materialität greifbar, ein wenige Meter vor der Kamera vorbeirollender Hitler wirkt nicht mehr wie die Figur aus dem Geschichtsbuch, sondern handfest, real und irgendwie auch banal. Dass das so ist, hat natürlich viel mit den eigenen Sehgewohnheiten zu tun: feingeschliffene Schnitttechniken, Close-Ups und unterlegte Musik werden eher im Modus des Spielfilms wahrgenommen, während die Aufnahmen, die wir hier zu sehen bekommen, eben an Familienaufnahmen erinnern, an Urlaubsvideos aus der Kindheit, vielleicht auch an YouTube-Videos oder Instagram-Stories – Filmbilder also, die “authentisch” scheinen, hinter denen wir weder Studio noch Kostümbildnerin vermuten, obwohl auch dieser Blick natürlich kein irgendwie natürlicher, ursprünglicher ist und spätestens seit The Blair Witch Project auch industriell hergestellt wird – bestes Beispiel mit geschichtlichem Bezug ist hier wohl die niederländische Webserie Anne Frank House, die in wackligen Handkamera-Bildern voll auf einen scheinbaren Realitätseffekt setzt, was – besonders im Vergleich zu den im Metrokino gezeigten Filmen – kläglich scheitert. So sind es bei den Amateurfilmen besonders die kleinen Details, die sich eben nicht geplant anfertigen lassen, die ein unerwartetes Moment in kleinen Gesten offenbaren: die unsicheren Blicke der bäuerlichen NSDAP-Soldaten bei einem Aufmarsch in Horn, der Stolz einer Familie, die vor dem neuen Auto (samt großen Hakenkreuz am Kühlergrill) posiert, ein Kind, das beim Schlittenfahren immer wieder strauchelt und fällt. Und Hitler, der etwas unbeholfen Blumen entgegennimmt, mit dem Finger auf Menschen zeigt (warum, lässt sich nicht beantworten) und auf einmal vom Zeige- zum kleinen Finger wechselt.

Anton Schroeder