Waves – Eine Welle durch das Hier und Jetzt

Ein Familiendrama, das mit atmosphärischen Bildern, Klängen und viel Bass unter die Haut geht

Foto: Waves, A24

Foto: Waves, A24

Trey Edward Shults schafft mit Waves ein Erlebnis, das man nicht unbeschwert genießt. Ich spreche hier absichtlich von einem Erlebnis, denn die stimmungsvollen Bilder, Klänge und Bässe lassen die Emotionen der Figuren hautnah mitfühlen. Nicht nur schauspielerisch eine Glanzleistung – auch die spezielle Machart von Trey Edward Shults’ drittem Spielfilm überzeugt. 

Er zeigt das Leben einer afroamerikanischen Familie aus Südflorida, die sich nach mehreren Schicksalsschlägen und einem tragischen Verlust zurück ins Leben kämpfen muss. Auf den ersten Blick scheint die Familie intakt und harmonisch. Auf den zweiten werden innerfamiliäre Probleme deutlich sichtbar. Der Film zeigt, wie Rassismus nicht nur unsere Gesellschaft prägt, sondern auch das jeweilige Selbstbild der Betroffenen zu beeinflussen vermag. So übt der Vater des 18-jährigen Tylers massiven Druck auf den Teenager aus, um ihn im Sport weiter nach vorne zu pushen. Er hat für das, was sie haben, doppelt so hart arbeiten müssen und erwartet nun das gleiche von seinem Sohn. 

Coming-of-Age und mehr

Zu Anfang steht der 18-jährige Tyler (Kelvin Harrison Jr.) im Fokus. Er ist der Star des Ringerteams seiner Highschool und mit der schönen Alexis (Alexa Demie) zusammen. Die Zukunftsängste, geschürt durch seine Verletzung an der Schulter, und der gleichzeitige Druck des Vaters, lassen ihn im Laufe des Films immer öfter zu Rauschmitteln greifen, bis dann sein Kartenhaus zusammenbricht. Der Zorn über seine hilflose Lage lässt ihn durchdrehen. 

Waves zeigt auf ehrliche Art und Weise, wie das Selbstbild Taylors ins Wanken gerät und er schlussendlich daran zerbricht. Hierbei empfindet man jedoch keineswegs nur Sympathie für den Protagonisten. Tyler ist aufbrausend, konfliktgeladen und unbeherrscht. Er kämpft mit dem Leistungsdruck, mit Identitätsproblemen und dem Herzschmerz seiner ersten großen Liebe. Waves ist aber kein klassischer Coming-of-Age-Film, er zeigt subtil, welche Auswirkungen das Verhalten der Einzelnen auf das jeweilige Gegenüber haben. Jeder hat hier sein Päckchen zu tragen. Jeder der Figuren reflektiert sich früher oder später im Laufe des Films. 

Die Stimmung und Emotionen müssen nicht künstlich erzeugt werden ­– die Erzählweise und das Spiel wirken ganz für sich. Das Besondere ist, dass der Film nicht vieler Worte bedarf. Auch wenn Nebencharaktere nur kurzzeitig zu sehen sind, lassen sich ihre Handlungsweisen und Emotionen gänzlich nachvollziehen. Selbst Tylers Vater mag man für den Zusammenbruch der Familie nicht die Schuld zuweisen. Um die Schuldfrage soll es in den 137 Minuten aber auch gar nicht gehen. 

Perspektivwechsel ab der zweiten Hälfte des Films

Ab der zweiten Hälfte des Films rückt Tylers Schwester Emily ins Zentrum des Geschehens. Nicht nur die Spannung innerhalb der Familie, auch der Film als solcher beruhigt sich in seiner Gestaltungsweise. Die verschwommenen Bilder, 360°-Kamerfahrten und harten Beats weichen für die idyllische Seite Floridas. Die Kamera bleibt jedoch weiterhin nah an den Figuren. Die 16-jährige Emily (Taylor Russell) dabei begleitet, wie sie die Hürden ihres Alltags bewältigen muss. Sie lernt Luke aus dem Ringerteam der Schule kennen, mit dem sie sich ihren Ängsten und der Vergangenheit stellen und schlussendlich loslassen kann. 

Der Titel Waves ist mehrfach interpretierbar, jedoch am ehesten dahingehend, dass er den Zuschauer – wie eine Welle – durch das Hier und Jetzt der einzelnen Figuren trägt. Close-Ups, kreisende Bewegungen der Kamera sowie expressive Farben lassen den Betrachter ins Geschehen eintauchen – Luft holen – und erneut abtauchen. Die Machart des Films erinnert stark an das 2016 erschienene Drama Moonlight (R: Berry Jenkins). Oder auch an die Serie Euphoria, bei der ähnlich ungewohnte Kamerabewegungen mit unseren Sehgewohnheiten spielen. Es überrascht nicht, dass hier der gleiche Kameramann – Drew Daniels – seine Finger im Spiel hatte. 

Previous
Previous

Grazer Grenzgang

Next
Next

„Cut my dance into pieces…“