„Cut my dance into pieces…“

Anmerkungen zur Premiere von protect. there is no wind in geometrical worlds im brut Wien.

Foto: Natali Glisic, Lukas Schöffel/brut wien

Foto: Natali Glisic, Lukas Schöffel/brut wien

Nachdem sie weder am 26. März noch am 12. November 2020 regulär in den Räumlichkeiten des brut vor Publikum aufgeführt werden konnte, fand die Premiere von Inge Gappmaiers Tanz-Performance protect. there is no wind in geometrical worlds am 17. Januar 2021 als Online-Videoscreening statt. Die Solo-Performance wurde dazu vorab gefilmt, geschnitten und war nach einer kurzen Einführung als Stream verfügbar. 

Gappmaier zeigte eine schlichte Inszenierung, in der sie auf einer leeren Bühne – die entweder vollständig ausgeleuchtet oder von zwei Scheinwerferkegeln akzentuiert wurde – zu abstrakter Musik tanzte und teilweise sang (nämlich Trouble von Robots Don’t Sleep am Ende des Stücks). Projektionen auf der Rückseite der Bühne waren die einzigen hinzukommenden gestalterischen Elemente. Sie zeigten zu Beginn eine Blumenwiese, durch die der Wind weht, später eine tanzende Person, die sich ebenfalls im Freien aufhält und deren Bewegungen Gappmaier nachahmte. 

Aus der Verlegung in den virtuellen Raum ergibt sich notwendigerweise eine Veränderung im Blick, den die Zuseher auf die Aufführung werfen. Es ist nichts Ungewöhnliches, ein Video einer abgefilmten Bühne zu sehen, bei dessen Betrachtung man sich leicht in die Situation eines Theaterbesuches versetzen kann – zumindest hinsichtlich der Perspektive. Und auch wenn die Kamera erhöht über den Sitzreihen positioniert ist, wie in diesem Fall, entsteht doch der Eindruck eines fixen Sitzplatzes, den man einnimmt. Bloß, niemand sitzt davor oder daneben. 

Wenn Kameraschnitte und Blickwinkelwechsel mehr zerstören als nützen

Umso überraschender kam der erste Schnitt in dem Video, das, wie sich nun herausstellte, keineswegs nur als „Transfermedium“ zum Einsatz kam. Es bildete das dargestellte Werk also nicht nur ab, sondern benutzte dieses zur Kreation eines Neuen. Ohne ersichtlichen Grund wurde auf Nahaufnahmen geschnitten, die Perspektive verändert und teilweise sogar von der Rückseite der Bühne nach vorne gefilmt. Die dadurch entstandene Irritation verwies auf Inhalte der Performance, deren stringenter Nachvollzug durch das Video jedoch verunmöglicht wurde.

Wie der Titel andeutet, beschäftigt sich Gappmaier mit den „geometrischen Welten“ computerbasierter Kommunikation. Dass dort kein Wind weht, scheint die Videoadaption mit den entsprechenden Eingriffen in das Werk dahingehend kompensiert zu haben, dass sie die Zuseher immer andere Perspektiven auf die Performance einnehmen ließ, welche für diese so wenig nachvollziehbar bleiben mussten, wie die Änderung von Windböen. 

Dabei hätte Gappmaiers Aufführung einiges an Reflexionsmöglichkeiten geboten. Beispielsweise in Szenen wie jener, in der sie ihre Beine mit ihren Händen umschlungen hält und sich dadurch in eine Position eingeschränkter Bewegungsfreiheit bringt, die sie mühsam zu verlassen versucht, was ihr schließlich auch gelingt. Das scheinbar Einfache – die Hände wieder zu öffnen – liegt oft fern und es wird krampfhaft nach anderen Möglichkeiten gesucht, sich aus der selbstverschuldeten Lage zu befreien. Ein Bild, das sich durchaus auf andere Bereiche umlegen lässt.

Durch die Transformation eines Solo-Tanzstücks in ein Video über Bewegung drängen sich andere Fragen und Interpretationen auf

Es ist aufschlussreich, dass die aus einer Onlineadaption entstandene Möglichkeit, alle Zuseher virtuell den selben (und besten) Platz einnehmen zu lassen, ungenutzt blieb. Dafür wurde eine andere genutzt, nämlich sie näher an das Geschehen heranzubringen und „auf mehreren Plätzen gleichzeitig sitzen zu lassen“. Dass dies keineswegs von Vorteil für den Nachvollzug des Dargestellten ist, sondern bloß die Möglichkeiten der Technik, die für eine Premiere dieser Art notwendig ist, ausschöpft, als wäre dies ein stummer Zwang, ist exemplarisch für die Misere des Kulturbetriebs, der sich in der Anpassung an die jeweiligen Voraussetzungen um seine spezifischen Qualitäten bringt, deren Fundament ästhetische Überlegungen und Entscheidungen wären.

In einer Szene sieht sich Gappmaier eine Projektion der leeren Sitzreihen des Theaterraums an, die also wie ein Spiegel fungiert. Dort findet sich kein Publikum. Es sitzt zuhause vor den Bildschirmen, am Sofa oder sonst wo – jedenfalls an einem bestimmen Platz. Und auch die Projektion zeigt fixe Sitzplätze. Die bleiben wegen der Schutzmaßnahmen leer. Dass die Möglichkeit, sie virtuell zu füllen, das heißt vor allem, den Zusehern vor den Bildschirmen eine ­– und zwar nur eine – Perspektive auf die Bühne zu ermöglichen, ungenutzt blieb, ist eine schlechte Verdoppelung der Wirklichkeit. 

Das Stück stellt „Fragen nach dem isolierten und narzisstischen Selbst“, wie es im Ankündigungstext heißt, nimmt ein derartiges Selbst als Zuseher jedoch gar nicht an. Dieses würde in der Rezeption die unterschiedlichen Inhalte der Performance synthetisieren können (oder auch nicht), ohne auf Perspektivenwechsel angewiesen zu sein. Ein Tanzstück gehorcht anderen formalen Regeln als ein Video. Der Begriff der Performance jedoch, der nicht ohne Grund auch in diesem Artikel verwendet wurde, kündigt die Verwischung der Unterschiede bereits an. Freilich lassen sich die Mittel verschiedener Genres kombinieren. Das hier besprochene Stück hat dadurch aber jene des originären ausgehebelt. 

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