Where shall I start? Where can I end?

Die Odyssee im Schauspielhaus Wien - Mit Stirnlampe, Schlauchboot und Kakerlake auf der Suche nach Homer.

(c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

(c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

Endlich ist die Stunde gekommen – Theater findet wieder statt. So ganz in echt, transitorisch, auf der Bühne, wie wir es lieben. Der Inszenierungstitel verspricht ein Epos, der Bühnenraum des Schauspielhauses ist mit höchster Kunstfertigkeit in eine unterirdische Höhle verwandelt (Konzept, Regie, Bühne & Kostüme: Jakob Engel & Jan Philipp Stange), die Nebelmaschine angeworfen und atmosphärisches Tropfen hallt von den Wänden wider. So weit, so immersiv.

Doch dann tritt die Kakerlake (herrlich überspitzt: Judith Altmeyer) auf, und konfrontiert uns gnadenlos mit unseren Erwartungen. Liebes Publikum, spricht sie uns an, mit blauen Kulleraugen und kindlicher Stimme. Liebes Publikum, es laste, ob der gewaltigen Erwartungen an diese erste Theateraufführung seit langem, ja ein ungeheurer Druck auf ihr. Und da hat sie recht. Am besten, weil realistischsten, wäre es, sich auf eine mittelmäßige Show einzustellen, fährt sie fort. Damit wäre uns doch allen geholfen. (Und auch damit behält sie irgendwie recht.)

„Zur Nachmittagsjause gibt’s in der KiTa Knäckebrot mit Äpfeln”

Im Laufe der nächsten hundert Minuten wird uns die quietschfidele Kakerlake noch allerhand aus ihrem Alltag erzählen: Von ihrem Job im Kindergarten (einen detaillierteren Tagesablauf aus der „KiTa“ bekommt man nicht mal von einer redebedürftigen Jungmutter!), vom einsamen Opa, mit dem sie regelmäßig telefoniert und der ein großer Homer-Fan ist, von Cappuccino und Amarena (den Kaninchen, die einst ihre Haustiere waren) und so weiter…

Die Kakerlake. (c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

Die Kakerlake. (c) Matthias Heschl/Schauspielhaus Wien

Wer bei der Erwähnung des Homer-Opas jetzt kurz stutzig geworden ist und sich fragt, ob es sich hierbei um den einzigen Bezug zur Odyssee handelt, tut recht daran. Der Frage Antwort lautet: nicht ganz. Zwischen den Kakerlaken-Szenen wird die Höhle von drei Männern (Simon Bauer, Sebastian Schindegger, Til Schindler – allesamt große Pantomimekünstler) in voller Klettermontur erkundet, fast schon im Zeitlupentempo und ohne Dialoge. Dafür mit Müsliriegeln, Schlauchboot und Schwimmflossen. Und einer Gesangseinlage. Und Stirnlampen haben sie natürlich auch, sie sind ja Höhlenforscher.

„Tell me, about a complicated man, muse”

Ach ja, zurück zum Homer-Bezug. Der versteckt sich gut getarnt in einer Felsspalte. Dort hat ein mythisches Wesen (magisch: Jacob Bussmann) sein DJ-Pult aufgestellt und hüllt die Unterwelt mit seiner Stimme und atmosphärischen Synthesizer-Klängen in eine Trance. „Tell me, about a complicated man, muse, tell me, how he wandered and was lost when he had wrecked the holy town of Troy.“ Er, der hier als einzige Figur zu keiner Zeit die Bühnenhöhle verlässt, er, der von den Sirenen, von Zyklopen und vom Anfang und vom Ende singt, er hält den roten Faden dieses Abends in den Händen. Man kann sich zurücklehnen und einlullen lassen von diesen berauschenden Sirenenliedern irgendwo zwischen Angelo Badalamenti und Moby. Und einfach akzeptieren, dass die Kakerlake es mit ihrem Vortrag über Erwartungshaltungen genau auf den Punkt gebracht hat. 

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