Talentparade im Mozart-Saal

Ein geisternder Schumann, ein Statement von Kian Soltani und eine banale aber tränenreiche Zugabe - Kammermusikabend im wiedereröffneten Konzerthaus mit Julia Hagen, Aaron Pilsan und Jevgēnijs Čepoveckis.

Julia Hagen, Aaron Pilsan und Jevgēnijs Čepoveckis mitten im Action (c) Lukas Beck/Wiener Konzerthaus

Julia Hagen, Aaron Pilsan und Jevgēnijs Čepoveckis mitten im Action (c) Lukas Beck/Wiener Konzerthaus

Aaron Pilsan am Klavier begann Brahms‘ erstes Klaviertrio solo, mit einem feierlichen, fast religiösen Thema. Es erinnerte an die Schlussmomente irgendeiner majestätischen Schnulze und passte (leider) gut zur vorangegangenen Ansage von Intendant Matthias Naske, der an die unglaublichen 196 spielfreien Tage erinnerte. Dann durfte das Cello einsetzen. Es waren die ersten Töne, die ich von der gefeierten Jungcellistin Julia Hagen zu hören bekam. Ihr Klang ist fein, kein Presshammer, hätte dort auch nicht gepasst. Perfekte Intonation, gekonnte Linienführung: Der Hype um sie ist nicht umsonst, mein Cellistenherz schlug gleich höher.

Optischer Höhepunkt: Grimassengroßmeister Pilsan

Erst jetzt durfte auch Geiger Jevgēnijs Čepoveckis ran. Sein Klang erinnerte mich an David Oistrakh. Vielleicht war es sein Vibrato, vielleicht habe ich im Lockdown zu viele verstaubte Aufnahmen konsumiert. Nicht ganz oistrakhesque war seine Power; wenn Hagen und Pilsan Vollgas geben, lief er manchmal Gefahr, unterzugehen. Und Pilsan gab gerne Gummi, war Feuer und Flamme. Sein Repertoire an teilweise höchst unterhaltsamen Gesichtsausdrücken ist unerschöpflich, er durchlebte jede Sekunde intensiv. Es war eine Wonne, ihm zuzusehen. Wenn hin und wieder die Pferde mit ihm durchgingen, überschattete sein Bechstein den Rest (er ist Stipendiat bei Bechstein, daher kein Steinway; der Flügel klang etwas hart, schnelle Läufe waren dafür besonders klar). Das tat er aber nur selten, oft packte er auch sein wirklich zartes Pianissimo aus.

Das Scherzo ist eher eine nette Geschichte, die sich in Pathos überschlägt, als ein Scherz. Die drei Great Talents (so heißt das Förderprogramm des Hauses) offenbarten hier zwei große Stärken. Zum einen kommunizierten sie intensiv. Blickkontakt hier, perfekter Einsatz da: Die Chemie hat gepasst. Zum anderen hatten sie Spaß am Extremen. Wenn es sein musste, dann donnerte der Flügel, dann kratzten die Bögen, um im nächsten Moment abrupt ins Pianissimo zu gehen. Der Satz war mit seiner beachtlichen Gänsehautdichte mein Brahms-Höhepunkt.

Magyarische Melodien als Inspiration

Der dritte Satz mit seinen schwierigen Streicher-Doppelgriffen brachte hier und da leichte Intonationsschwächen. Das vergaß man aber im Schlusssatz, zu dem sich der erst 20-jährige Brahms von feurigen ungarischen Melodien inspirieren ließ. Die hatte er von seinem exzentrischen Kammermusikpartner Ede Reményi; Musik aus meiner alten Heimat war für Brahms ein Leben lang eine wichtige Motivquelle. Die Streicher*innen hatten kein Mitleid mit Pilsan und trieben ihn mit seinen flotten Triolen an, doch er schlug sich wacker.

Zwischen den zwei (wirklich hammergeilen) Stücken des Abends geisterte Robert Schumann in der durch hunderte Masken gefilterte Luft. Er schrieb kurz vor der Fertigstellung des Brahms-Trios öffentlich über den jungen Musiker: „Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten [...] ein Berufener“. Mit dieser Ausrufung zum Musik-Messias ermöglichte er erst das Veröffentlichen seiner ersten Werke (unter anderem dieses Trios), setzte den armen, an sich selbst zweifelnden Brahms aber auch mächtig unter Leistungsdruck.

Robert Schumann, das geisternde Bindeglied

Schumann war auch in seiner Rezension zu Mendelssohns erstem Trio großzügig mit Lob, beschrieb ihn als „Mozart des 19. Jahrhunderts“. Dabei hatte Schumann eigentlich eine scharfe Zunge... In diesen Fällen lag er jedenfalls goldrichtig, Mendelssohns Trio wurde zu einem Musterwerk der Gattung. Hört euch mal rein, ein echtes Kleinod. Auch diesmal war das Scherzo ein Höhepunkt. Im Gegensatz zum Brahmsschen ist dieses ein lustiger Satz, eine flotte Unterhaltung in Noten zwischen den drei aufgeweckten Musiker*innen. Pilsan zahlte hier das Stressmachen im letzten Brahmssatz zurück und zündete den Turbo an, die Streicher*innen zogen aber mit.

So aufwühlend und großartig das Konzert auch war, zum Heulen hat es mich nicht gebracht. Bis bei Julia Hagen beim Verbeugen die Freudentränen ausbrachen. Als dann als Zugabe Brahms‘ Wiegenlied gespielt wurde, war kein Halten mehr, meine Maske wurde ordentlich durchnässt. Im Anschluss konnte ich den anwesenden Starcellisten Kian Soltani zu einem kleinen Statement bewegen. Er ist neben Hagen Shootingstar der heimischen (und weltweiten) Celloszene, zudem langjähriger Kammermusikpartner von Pilsan: „Es war fantastisch. Überhaupt nicht nur, weil es das erste Konzert war“. Recht hat er. Kaum zu fassen, dass wir ab jetzt täglich diese Freude erleben können. Das konkrete Konzert könnt ihr am 1. Juni um 14:05 auf Ö1 nachhören.

Die mitgenommene Julia Hagen bringt mich immer noch fast zum Heulen (c) Lukas Beck/Wiener Konzerthaus

Die mitgenommene Julia Hagen bringt mich immer noch fast zum Heulen (c) Lukas Beck/Wiener Konzerthaus

Für die, die mehr von den Dreien hören wollen: Sie werden alle noch vor der Sommerpause im Konzerthaus auftreten. Termine: Julia Hagen, Jevgēnijs Čepoveckis und Aaron Pilsan.

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